Würzburg (POW) Als Aufforderung zu einer aktiven, kritischen Haltung gegenüber allem, was christliches Leben verhindert oder gar schmäht, hat Domkapitular em. Monsignore Dr. Heinz Geist am Mittwochabend, 10. März, die Offenbarung des Johannes gedeutet. Er sprach zum Thema „An den Engel der Gemeinde schreibe“. Die Fastenpredigten im Dom stehen in diesem Jahr unter dem Motto „Maranatha – Komm, Herr Jesus!“ und sind Teil der Veranstaltungsreihe „Würzburger Apokalypse 2010“. Geist betonte, dass die so genannte Apokalypse des Johannes Teil einer besonderen Literatur sei, die vor allem in den zwei vor- und nachchristlichen Jahrhunderten in bestimmten religiösen Kreisen entstand. „Apokalypsen sind keine geheimen Schriften im eigentlichen Sinn, auch wenn sie in einer codierten Sprache verfasst und darum nur für bestimmte gesellschaftliche Gruppen verständlich sind.“ Hintergrund ihrer Entstehung sei immer eine Krisensituation, hervorgerufen durch Repressalien jeder Art.
Zu verstehen sei der Inhalt der neutestamentlichen Offenbarung nur, wenn man beachte, dass sich wie ein roter Faden darin die Vorstellung finde, die künftigen Ereignisse im Himmel seien bereits Wirklichkeit und setzten sich im Laufe der Zeit auf Erden durch. „Ähnlich vielleicht, wie wenn man am PC ein Haus so entwirft, dass man es dort bereits begehen und einrichten kann, was sich aber in der Realität erst Schritt für Schritt verwirklichen lässt.“
Zielgruppe des Autors mit Namen Johannes, „der sicher nicht mit dem Apostel Johannes identisch ist“, seien die christlichen Gemeinden in der römischen Provinz Asien, der heutigen Westtürkei. Zeitlich ist die Entstehung des Textes nach Geists Worten in der Regierungszeit von Kaiser Domition (81 bis 96 nach Christus) zu verorten. Von ihm werde berichtet, dass er sich zumindest bei Hof mit dem Titel „Unser Herr und Gott“ anreden ließ, „was natürlich Christen nicht nachvollziehen konnten“. Die Briefe an die sieben christlichen Gemeinden der Provinz seien jeweils an den „Engel der Gemeinde“ adressiert. Dahinter stehe die jüdische Vorstellung, dass jede Gemeinde einen besonderen Schutzengel habe, der für die Gemeinde vor Gott verantwortlich sei. „Das unterstreicht die Ernsthaftigkeit und Dringlichkeit der Sendschreiben.“
Die Apokalypse macht deutlich, dass Johannes keine Vertröstung auf das Jenseits beabsichtige. Es werde daran erinnert, dass eine Gemeinde trotz aller Geschäftigkeit und Aktivität geistig tot sein könne, obwohl sie äußerlich gut dastehe, vielleicht bestens durchstrukturiert und organisiert sei und ihre äußere Fassade großartig erscheine. „Sie merken jetzt schon, dass wir gar nicht mehr von den sieben Gemeinden Kleinasiens von damals sprechen, sondern von so manchen Gemeinden heute.“ Am meisten beschäftige den Propheten Johannes, dass die Gemeinden sich zu sehr ihrer Umwelt anpassen könnten. „Er betrachtet die Welt von damals nicht nur als vorläufig, sondern auch als widergöttlich und möchte im Grunde jeden Kontakt mit ihr unterbinden.“ Das verrate die harte, kriegerische und negative Sprache, die eine scharfe Abgrenzung zur fremden Kultur zum Ziel habe.
Geist sprach davon, dass dem Text zu entnehmen sei, dass in kleinasiatischen Gemeinden da und dort liberale und konservative Strömungen aufeinanderprallten. „Man merkt da gar nicht, dass uns 1900 Jahre voneinander trennen.“ Die Furcht, dass ein interner Konflikt die Gemeinde destabilisieren könne, werde heute nicht mehr so geteilt. „Wir haben ein Stück gelernt, auch in unseren Gemeinden bei einem Grundkonsens mit verschiedenen Sichten unseres Christentums zu leben.“ Jeder einzelne Gläubige wie auch die Kirche insgesamt werde versuchen, mit Andersdenkenden in der Gemeinde, mit der nicht-christlichen Welt, mit anderen Religionen dialogisch umzugehen, da Gottes Geist auch in anderen und außerhalb der Kirche am Werk sei. Dennoch bleibe die Aufforderung des Apokalyptikers, die konkrete Wirklichkeit stets neu dem Evangelium zu unterstellen. „Das heißt auch, die Ungerechtigkeiten der Welt zu durchschauen und an ihrem Abbau zu arbeiten – in dem bescheidenen Rahmen, der uns möglich ist.“
Ausdrücklich macht der biblische Text auch darauf aufmerksam, dass Gegenwart und Zukunft im Licht eines Gottes zu sehen seien, der das Heil der Menschen wolle und herbeiführen wolle, „unaufdringlich, aber stet.“ Der Bittruf am Ende, „Amen, Komm, Herr Jesus“ beruhe wahrscheinlich auf der aramäischen Gebetsformel „maranatha“. Sie lasse sich, je nach Schreibweise, entweder mit „Unser Herr ist gekommen“ oder „Unser Herr, komm“ übersetzen. „Der Ruf beinhaltet beides: die Überzeugung, dass der Herr uns immer voraus ist und uns entgegenkommt, weil er schon gekommen ist. Das schließt sicher aber auch den sehnsüchtigen Wunsch ein, in der immerwährenden Gemeinschaft mit Christus zu leben, die uns im Tod geschenkt wird.“
Am Mittwoch, 17. März, um 19 Uhr spricht Professor Dr. Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz aus Dresden im Neumünster zum Thema „Die Stadt aus Licht – Apokalypse anders“. Der Bußgottesdienst am Mittwoch, 24. März, um 19 Uhr im Kiliansdom steht unter dem Motto „Seht, ich mache alles neu“. Dompfarrer Dr. Jürgen Vorndran ermutigt zu Reflexion und Neuanfang. Vor den Predigten spielt Domorganist Professor Stefan Schmidt jeweils ab 18.45 Uhr meditative Orgelmusik.
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