Sehr geehrte Frau Dekanin,
sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrter Herr Dr. Schuster,
liebe Freunde von der Gemeinschaft Sant'Egidio,
sehr geehrte Damen und Herren,
wie mittlerweile schon seit vielen Jahren, versammeln wir uns heute wieder zum Gedenken an einen der dunkelsten Tage in der Geschichte unserer Stadt, den 27. November 1941 und dem Beginn der Deportation der jüdischen Bürger mit dem Ziel ihrer vollkommenen Vernichtung. Die Shoah ist ein dramatischer Teil unserer nationalen Geschichte und geht alle an. Deshalb ist es von Bedeutung, dass wir diesen Gedenktag begehen und in Erinnerung rufen, um eine andere Zukunft aufzubauen. Deshalb ist es wichtig, dass auch junge Menschen in dieses Gedenken mit einbezogen werden. Denn wie das Zitat des spanischen Philosophen Santayana auf dem Plakat unserer Kundgebung sagt: „Wer sich nicht an die Geschichte erinnert, ist dazu verurteilt, sie neu zu durchleben“.
Wir dürfen die Schrecken dieser Ereignisse nicht unterschätzen. Die aufrichtige Anteilnahme an den Opfern des 27. November 1941 und der weiteren Deportationen aus unserer Stadt möchte daher zum Ausdruck bringen, dass wir uns heute bemühen, damit niemand mehr aus dem gesellschaftlichen Zusammenleben unserer Stadt und unseres Landes ausgegrenzt werde.
Die Erzählungen von diesem Tag sind erschütternd. Ein Zeuge, der gegenüber der Stadthalle in der Ortskrankenkasse arbeitete, schildert, dass die Juden am Nachmittag des 26. November 1941 „truppweise“ zur Stadthalle kamen und die Bevölkerung keinen Anteil nahm. Der Überlebende Siegfried Ramsfelder berichtet, dass er von drei Personen, davon zwei SS-Männern, abgeholt wurde, da er sich nicht rechtzeitig bis 16 Uhr in der Stadthalle eingefunden hatte; dann wurde er unter Schlägen dorthin abgeführt (vgl. Wege in die Vernichtung. Die Deportation der Juden aus Mainfranken 1941-1943, München 2003. S. 95).
Die Deportation war möglich geworden, weil ihr die Rassengesetze vorausgegangen waren. Diese Gesetze waren das Vorzimmer der Deportation. Mit ständig neuen Vorschriften wurden die Juden auf der Grundlage dieser Rassengesetze aus dem öffentlichen Leben verbannt. Sie bezogen sich sogar auf die unwesentlichsten Aspekte des öffentlichen und privaten Lebens und zeigten dadurch nicht nur ihren diskriminierenden Charakter, sondern auch ihre Absicht der Verfolgung. Die Rassengesetze führten Trennungen dort ein, wo die Geschichte durch die Zugehörigkeit zum gemeinsamen Vaterland Einheit geschaffen hatte. Die Grundlage dazu bildete eine Sichtweise, die die Menschheit in unterschiedliche und hierarchisch gegliederte Rassen einteilte. Bekanntermaßen war der Rassismus in jenen Jahren in den europäischen Gesellschaften weit verbreitet und zu einer wahren Krankheit in Europa geworden.
Heute müssen wir als Vertreter der Kirchen, der Religionen, der gesellschaftlichen und kulturellen Institutionen mit allen Bürgern vereint dafür eintreten, dass alle Formen von Rassismus bekämpft werden, da er den Keim der Vernichtung des anderen in sich trägt und das demokratische Zusammenleben untergräbt.
Die Katholische Kirche hat vor wenigen Wochen den 50. Jahrestag der Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils feierlich begangen. Es erteilt endgültig jeglicher Feindseligkeit gegen das jüdische Volk eine Absage und bedauert in der wegweisenden Konzilserklärung Nostra Aetate auch eigenes Versagen: „Außerdem beklagt die Kirche, die alle Verfolgungen gegen jegliche Menschen verwirft, im Bewusstsein des gemeinsamen Erbes mit den Juden, nicht aus politischen Gründen, sondern angetrieben von der religiösen Liebe des Evangeliums, Hass, Verfolgungen und Manifestationen des Antisemitismus, die, zu welcher Zeit auch immer und von welchen auch immer, gegen Juden gerichtet wurden“ (NA 7). Dieses Konzil ist vor allem durch diese Erklärung zu einem Wendepunkt geworden und hat die freundschaftliche Verbundenheit der Katholischen Kirche zum jüdischen Volk unumkehrbar gemacht. Sowohl Johannes Paul II. als auch Benedikt XVI. haben durch ihre Besuche in Synagogen und im Heiligen Land diese neue und untrennbare Verbundenheit unterstrichen und gestärkt.
In dieser Hinsicht danke ich auch der Gemeinschaft Sant'Egidio für den unermüdlichen Einsatz, um diese Freundschaft mit Leben zu erfüllen und alle Formen von Rassismus und Antisemitismus durch Kulturarbeit, Begegnungen und Zeugnisse zu bekämpfen.
Das Gedenken an die Shoah beinhaltet nämlich die Verantwortung, jede Form von Antisemitismus zu bekämpfen und auch – in Kultur, Gesellschaft und Politik – dafür einzutreten, dass alle Minderheiten in Deutschland Schutz erfahren und nicht diskriminiert werden. Denn neben den jüdischen Bürgern haben andere Minderheiten und Bevölkerungsgruppen gelitten, dafür steht heute auch die Anwesenheit von Rita Prigmore, einer Würzburger Sintezza, die Zeugnis gibt für die Verfolgung der Sinti und Roma.
Ich habe mich gefreut, dass in diesem Jahr neben dem Mahnmal an die Shoah mitten im Zentrum von Berlin das Mahnmal an den sogenannten Porajmos eingeweiht wurde, wie der Völkermord an den Sinti und Roma in der Sprache Romanes bezeichnet wird. Viele Jahre lang wurde diesem Leid zu wenig Beachtung geschenkt. Das Mahnmal weist uns auch darauf hin, dass diese unsere deutschen und europäischen Mitbürger heute noch Opfer von Diskriminierung und Ausgrenzung werden, und fordert uns zur Aufmerksamkeit auf.
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich danke allen, die heute gekommen sind und dadurch ihren Wunsch bekunden, sich für eine lebenswerte und menschenfreundliche Stadt einzusetzen, in der jede Minderheit willkommen ist und geachtet wird. Dieses Gedenken ist daher nicht nur von Trauer über die unvorstellbare Grausamkeit erfüllt, zu der Menschen in unserem Land fähig waren, es ist auch ein Zeichen der Hoffnung, dass wir gemeinsam eine Zukunft aufbauen können, in der wir aufeinander achten und einander beistehen, weil wir davon überzeugt sind, dass wir alle Schwestern und Brüder der einen Menschheitsfamilie und Kinder unseres Vaters im Himmel sind. Vielen Dank!