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Dokumentation

„Als Fürsprecherin wird sie bis heute angerufen“

Festpredigt von Bischof Dr. Franz Jung am Sonntag, 29. Mai, in der Pfarrkirche Sankt Vitus Veitshöchheim beim Festgottesdienst zu 300 Jahren Verehrung der heiligen Bilhildis

Lieber Herr Pfarrer Borawski,

liebe Schwestern und Brüder im Herrn,

ich freue mich sehr, mit Ihnen heute das Gedächtnis der Heiligen Bilhildis feiern zu dürfen. Seit 300 Jahren halten Sie ihr Andenken hoch und erfreuen sich ihres Beistandes. Für die Pflege dieser Tradition danke ich Ihnen von Herzen.

Ihr Jubiläum ist mir Anlass, darüber nachzudenken, was sie uns heute noch zu sagen hat. Fünf Punkte möchte ich Ihnen dazu vorlegen, die mir von bleibender Aktualität zu sein scheinen.

Ein Leben mit Brüchen: die junge Witwe Bilhildis

Bilhildis wird als junges Mädchen aus gutem Hause einem älteren Mann verheiratet. Bei diesem Mann handelt es sich wahrscheinlich um Hetan II., den Sohn Gozberts, den Sohn des Fürsten also, auf dessen Veranlassung hin die drei Frankenapostel ermordet worden waren. Ziel der Heirat war, den Bestand der Dynastie Gozberts zu sichern. Das heißt auf Deutsch: Bilhildis hatte die Aufgabe, ihrem Mann einen männlichen Nachkommen zu schenken, da sein Sohn aus erster Ehe verstorben war. Von einer Liebesheirat war also kaum die Rede. Nichtsdestoweniger erfüllte Bilhildis die in sie gesetzten Erwartungen und schenkte ihrem Mann einen Sohn.

Es kam dann alles anders als geplant, wie so oft im Leben: Ihr Mann fiel kurz nach der Hochzeit im Krieg und ihr kleiner Junge verstarb leider auch allzu früh. Ein Schock. Die junge Frau stand plötzlich mutterseelenalleine da. Die bisherige Lebensplanung hatte sich mit einem Schlag erledigt. Das musste sie erst einmal verkraften.

Viele Fragen werden zu dieser Zeit in ihr aufgebrochen sein. Was ist das jetzt eigentlich mit meinem Leben? Habe ich meine Zeit vertan? Was ist mir da widerfahren? Bin ich gescheitert? Wir kennen das innere Ringen in diesen existenziell bedrängenden Situationen. Da stellen sich Schuldfragen. War ich selbst schuld, dass alles so gekommen ist, weil ich mich gegen meine Überzeugung auf dieses Abenteuer eingelassen habe? War es derart verlockend, Mitglied des herrscherlichen Hauses zu werden, dass ich des Preises nicht achtete, den ich dafür bezahlen musste?

Zu den bohrenden Fragen nach dem eigenen Versagen stellen sich nicht selten Vorwürfe gegen andere ein. Wer hat mich in eine solche ausweglose Situation gebracht? Die eigenen Eltern, die nach einer guten Partie für ihr Kind Ausschau gehalten hatten? Die gesellschaftlichen Erwartungen, die den Rahmen dafür abgegeben haben, eine junge Frau in eine solche Situation zu bringen?

Alles Fragen, auf die man keine einfachen Antworten findet, die aber an die Substanz gehen und einen Menschen mit voller Wucht treffen. Wir können uns lebhaft vorstellen, wie Bilhildis gerungen hat und ringen musste.

In dieser Situation tat Bilhildis das einzig richtige. Sie versuchte Abstand zu gewinnen. Nicht nur innerlich, sondern auch räumlich - oder besser: vor allem räumlich, um dann mehr Zeit zu haben für die innere Bearbeitung ihres bisherigen Lebensweges. Sie verließ ihre fränkische Heimat, um nach Mainz zu gehen. Ein Ortswechsel tut in solchen Situationen gut. Er hilft, innerlich auf Distanz zu gehen, um nicht durch die bisherige Umgebung und das vertraute Beziehungsnetz immer wieder neu von den alten Geschichten eingeholt zu werden.

Bilhildis lehrt uns, in bedrängenden Situationen sich nicht unterkriegen zu lassen. Bilhildis wahrt sich die nötige Distanz. Sie zerfleischt sich nicht in Selbstvorwürfen. Sie schiebt auch nicht anderen die Schuld zu. Sie versucht die Frage offen zu halten nach dem Sinn. Wozu war das gut, was mir im Leben widerfahren ist? Und was will Gott mir damit sagen? Denn davon war sie fest überzeugt, dass sie von Gott nicht verlassen wurde trotz des Schweren, was ihr zu tragen aufgebürdet worden war.

Es ist wie in der Offenbarung des Johannes. Wir haben es eben in der zweiten Lesung gehört: Christus ist „der Erste und der Letzte, das Alpha und das Omega“. Im Vertrauen auf ihn verzagt der Mensch nicht. Im Blick auf seinen Tod und seine Auferstehung ahnt der Glaubende, dass in jedem Ende ein Neuanfang beschlossen liegt, wenn man sich Gott nur ganz und gar anvertraut. Denn nicht der Tod ist das Letzte, sondern der lebendige Christus, zu dem hin wir unterwegs sind und der uns neu anruft, wenn wir auf unserem Lebensweg zurückzubleiben drohen.

Nach einer neuen Lebensperspektive suchen: der Weg zur Äbtissin

Die Stadt Mainz bot sich ihr als Zufluchtsort deshalb an, weil dort ihr Onkel Rigibert das Amt des Erzbischofs bekleidete. Er gewährte der jungen Witwe Schutz und eine neue Beheimatung.

Nun stand sie vor der Aufgabe, sich neu zu orientieren. Sollte sie noch einmal heiraten? Wäre es diesmal möglich, nicht verheiratet zu werden? Wäre es möglich, eine Partnerschaft einzugehen ohne den Druck und die Erwartung, dem regierenden Haus einen Thronfolger schenken zu müssen?

Bilhildis entschied sich anders. Sie wollte keine Heirat mehr. Sie wollte sich nicht länger den Zwängen der Gesellschaft mit ihren Erwartungen beugen. Sie wählte den Weg der Freiheit. Im Mittelalter war dieser Weg weiblicher Emanzipation der Weg ins Kloster. Dort war sie sicher vor der männlichen Dominanz. Sie gründete das Kloster Altmünster, mit dessen Kirchenmodell in der Hand sie immer dargestellt wird.

Konnte sie keine leibliche Mutter mehr sein, so wollte sie doch für viele Frauen zur geistlichen Mutter werden. Aufgrund ihrer Lebenserfahrung und des Ringens um ihren Weg konnte sie als gereifte Ratgeberin und Seelenführerin anderen Frauen helfen.

Bilhildis hatte ihre neue Berufung gefunden und ihrem Leben eine neue Ausrichtung gegeben. Es ist, als hätte sie den Ruf des auferstandenen Christus gehört, den wir eben in der Lesung aus der Offenbarung des Johannes vernommen haben: „der Geist und die Braut sagen komm! Wer durstig ist, der komme! Wer will, empfange unentgeltlich das Wasser des Lebens!“

Ja, Bilhildis hat den Ruf des Geistes nach dem lebendigen Wasser gehört. Sie wollte als Äbtissin der Braut Christi, der Kirche, dienen. Das Wasser des ewigen Lebens erquickte von neuem ihre Seele. Und durch ihr segensreiches Wirken wurde das Wasser zum Strom, der den Lebensdurst anderer Menschen zu stillen vermochte.

Die kostbare Reliquie des Grabtuches, das auf dem Antlitz Christi lag

Der Überlieferung nach erhielt Bilhildis für ihr Kloster eine überaus kostbare Reliquie, die auch heute noch in Mainz verehrt wird. Es handelt sich um das Grabtuch Christi. Genauer gesagt wurde ihr das kleinere Tuch vermacht, das nach dem Bericht des Johannesevangeliums über dem Antlitz des toten Christus lag und das am Ostertag an einem gesonderten Ort sorgfältig zusammengefaltet von den Jüngern aufgefunden worden war. Dieser Reliquie fühlte sich Bilhildis in besonderer Weise verbunden.

Der Grund ihrer besonderen Devotion der Grabtuchreliquie erschließt sich uns leicht. Sie hatte selbst erlebt, von den Banden des Todes umfangen und gefesselt zu sein. Auch sie war ihrem ersten Leben gestorben. Sie hatte Anteil erhalten an dem Tod Christi und war mit ihm begraben worden. Das Leichentuch hatte ihr tränenüberströmtes Antlitz bedeckt. Aber dieses Leichentuch des Herrn wurde in ihrer persönlichen Auferstehung auch wieder von ihr entfernt.

Dass das Grabtuch am Ostertag sorgfältig zusammenfaltet im Grab des Herrn lag, deutete sie wohl als Zeichen für ihr eigenes Leben. Dass das Tuch nicht einfach zerknüllt in der Ecke lag, zeigte an, dass der Tod tatsächlich bewältigt worden war und dass sie mit einer Episode ihres Lebens abschließen konnte und mit sich und mit ihrem Gott im Reinen war. Nach den Wirren des Todes, die sie selbst durchlitten hatte, fand sie zurück in ein geordnetes Leben.

Wie hieß es eben in der Lesung aus der Apokalypse des Johannes so schön: „Selig, die ihre Gewänder waschen: Sie haben Anteil am Baum des Lebens und sie werden durch die Tore in die Stadt eintreten können“. Sie hatte ihre Trauergewänder wie dieses Grabtuch gewaschen. Sie hatte das dunkle Leichentuch ihres Lebens in ein strahlend weißes Tuch der Hoffnung verwandelt. Im Blut des Lammes wurde es weiß gewaschen wie die Apokalypse in einem paradoxen Bild sagt. Das rote Blut wäscht weiß. Denn der Erlösungstod des Herrn umfängt alle unsere kleinen und größeren Tode, um sie zu neuem Leben zu wandeln. Deshalb war ihr die Grabtuchreliquie so kostbar: Das Tuch des Todes war ihr zum Angeld neuen Lebens geworden.

So wurde Bilhildis zur Fürsprecherin und Ratgeberin für alle Frauen, die ein ähnliches Schicksal erlitten hatten wie sie selbst. Aus leidvoller Erfahrung wusste sie zu helfen und neue Wege zu finden. Als Fürsprecherin wird sie bis heute angerufen bei Kinderlosigkeit und beim Verlust der Kinder. Von Frauen wird sie verehrt, die sich auf die Geburt vorbereiten und die nach der Geburt von Krankheit gequält werden.

Die zweite Taufe und die Gabe der Tränen

Noch ein bemerkenswerter Zug wird aus dem Leben der Bilhildis überliefert. Kurz vor ihrem herannahenden Tod hätten ihre Mitschwestern in einer Vision gesehen, dass Bilhildis das Sakrament der Taufe nicht in der vorgeschriebenen Form empfangen hätte. Nach eingehender Beratung rang man sich dazu durch, Bilhildis ein zweites Mal zu taufen, um auf Nummer sicher zu gehen. Durch den Empfang der Taufe sei ihr schließlich die Gabe der Tränen zuteil geworden.

Was eine bewegende Geschichte! Sie rundet das Bild von Bilhildis ab. Nach der Enttäuschung ihres Lebens, nach dem Neuanfang im Kloster, nach dem Empfang des Grabtuches Christi wird sie noch einmal ganz hineingetaucht in das Geheimnis von Tod und Auferstehung. Man könnte diese zweite Taufe auch als zweite Bekehrung verstehen. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass nun der ganze Mensch von Christus erfasst wird, dass sie in ihrem Herzen vom Herrn angerührt wird. Die Mystiker aller Zeiten wussten um das kostbare Geschenk der Gabe der Tränen.

Die Fähigkeit weinen zu können, weist darauf hin, dass jemand im Herzen berührt wurde und sich im Herzen berühren lässt. Alles, was in ihr verhärtet war, alles, was sie von sich ferngehalten hatte, weil es zu wehtat, kann sie nun zulassen. Sie darf sich am Ende mit ihrem Lebensweg und mit ihrem Gott versöhnen. Das Wasser der Taufe fließt weiter in den Tränen, die das Innere des Menschen reinigen und die dem Menschen ein empfindsames und feinfühliges Herz schenken. So ganz zu sich gekommen, ist Bilhildis schließlich in Frieden zu ihrem Schöpfer und Erlöser heimgekehrt.

Wie sagt der wiederkehrende Herr in der Offenbarung des Johannes: „Ja, ich komme bald“. Und die Kirche antwortet: „Amen. Komm, Herr Jesus!“ Mit der zweiten Taufe hatte Bilhildis ihr persönliches „Amen“ zur Wiederkunft Christi gesprochen. Mit den Tränen der Sehnsucht hatte sie ihm den Weg in ihr Herz bereitet. Sie wird uns so zum Vorbild eines versöhnten Sterbens und eines glücklichen Todes.

Der Beginn ihrer Verehrung in Veitshöchheim vor 300 Jahren

Ein letzter Gedanke. Im Jahre 1722 – also ungefähr 1.000 Jahre nach ihrem Tod – wurde auf Veranlassung von Bischof Johann Philipp Franz von Schönborn eine Reliquie der Bilhildis aus Mainz nach Veitshöchheim gebracht, ihrem mutmaßlichen Geburtsort. Seitdem schenkt ihr Angedenken und ihre fromme Verehrung auch hier viele geistliche Früchte.

So erweist sich einmal mehr das Wesen der Heiligen. Ihre Wirksamkeit ist nicht an einen Ort oder an eine bestimmte Zeit gebunden. Gerade weil die Heiligen in vollendeter Weise dem Herrn nachgefolgt sind und weil sie auf ihre Weise das Evangelium ganz gelebt haben, bleibt ihr Leben von einer Gültigkeit, die über alles Vergängliche hinaus Bestand hat. Ihr Leben und ihr Vorbild haben bis heute nichts von ihrem eigentümlichen Glanz verloren.

So wünsche ich der Gemeinde Veitshöchheim heute – zum Gedenken der Reliquienübertragung der Bilhildis vor 300 Jahren - von Herzen, ihr Gedächtnis in frommen Angedenken zu bewahren. So wird Bilhildis auch weiterhin ihre mütterliche Hand über die Menschen ihres Heimatortes halten und allen Trost und Segen spenden, die auf ihre Fürsprache hin beim Herrn Zuflucht und Halt suchen.

Ja, Gott segne uns alle auf die Fürsprache der Heiligen Bilhildis, Sie hier in Veitshöchheim, und uns alle in unserem Bistum Würzburg, das sich rühmen darf, eine solche „Christliche Frühlings-Blume fränckischer Heiligkeit“ beherbergt zu haben, wie ihr erster Biograph Ignaz Gropp einst voller Ehrerbietung sagte! Amen.