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Annäherung auf Japanisch

Bischof em. Dr. Paul-Werner Scheele erläutert Journalisten aus Fernost in Maidbronn die Kunst Riemenschneiders

Maidbronn (POW) „In Tokio sind derzeit Werke von Tilman Riemenschneider in einer großen Schau zu sehen. Und diese Ausstellung kommt auch bald zu uns nach Fukuoka.“ Das also ist der Grund, warum sich Naohito Iwata, Redakteur der Zeitung „Nishinihon Shinbun“, zusammen mit dem Fotografen Takuya Okabe auf die weite Reise nach Unterfranken gemacht hat: große Kunst des Meisters an originalen Plätzen sehen und mit ausgewiesenen Fachleuten ins Gespräch kommen. Zum Beispiel mit Bischof em. Dr. Paul-Werner Scheele, der zwei große Bände zum Thema veröffentlicht hat. „Können wir noch ein bisschen näher an das Kunstwerk hin?“, übersetzt Takako Maruga, in Berlin lebende freie Journalistin, für ihren Kollegen. „Bitte!“, antwortet der Bischof und lotst die Japaner in Richtung des Altarbilds der kleinen Kirche von Maidbronn.

Bei ihrer Ankunft in der vor Würzburgs Toren gelegenen Ortschaft bleiben die japanischen Journalisten fast ehrfürchtig erstarrt im Kirchenportal stehen. „Aaah!“ klingt es bewundernd aus den Mündern der ausländischen Besucher, als sie das über zwei Meter hohe und über 1,50 Meter breite Relief aus grauem Sandstein erblicken, das als das letzte Steinbildwerk des berühmten Bildhauers gilt. Ganz ähnlich angetan sei er gewesen – kurz nachdem er vor 50 Jahren an der Universität Würzburg seine Stelle als Assistent angetreten habe. Das berichtet der Bischof auf die Frage, wie es ihm beim ersten Anblick dieses Riemenschneider-Spätwerks ergangen sei. „Genau weiß ich das nicht mehr. Ich kann mich aber noch daran erinnern, dass ich bis dahin nur einige Abbildungen bekannter Riemenschneider-Werke gesehen hatte, aber noch keines in echt.“ Der Anblick sei den Fußweg aus der Würzburger Innenstadt aber wert gewesen, den er dafür unternommen hatte.

Dann erläutert der Bischof den Besuchern aus Fernost den geometrisch gegliederten Aufbau der „Beweinung Christi“. Dass die zentralen Figuren Maria, Josef von Arimatäa, Jesus, Nikodemus und Johannes ein Dreieck formen und die gesamte Fläche des Reliefs ein abgeschlossenes Rechteck bildet. „Damit ist diese Szene ein doppelter Abschied, weil sie auch von der Komposition her einen Abschied darstellt: von der Gotik hin zur Renaissance.“ Fotograf Okabe verfolgt die Ausführungen des Bischofs nur mit einem Ohr. Mal von der Empore aus, mal auf den Stufen des Altarraums kauernd, versucht er, den imposanten steinernen Altar ins rechte Licht zu rücken.

Mit Erstaunen nimmt Iwata die Erläuterung des deutschen Fachmanns zur Kenntnis, dass Nikodemus die Züge Riemenschneiders trägt. „Das ist bei ihm nichts Ungewöhnliches. Dadurch drückt er deutlich sichtbar aus, dass er sich mit seinem Werk und dessen theologischen Aussagen identifiziert“, sagt der Bischof. Der Tiefgang, der dem Gesamtwerk des Künstlers zu Eigen sei, lehre richtiges Sehen. „Das ist echte Lebenshilfe!“ Überhaupt zeichne Riemenschneider seine herausragende Kenntnis der biblischen Texte und der einzelnen darin beschriebenen Figuren aus.

„Und warum begeistern sich Ihrer Meinung auch heute noch die Menschen für diesen Künstler, der vor fast 500 Jahren gestorben ist?“, erkundigt sich Iwata und macht sich mit japanischen Schriftzeichen Notizen. „Riemenschneider hat mit viel Liebe zum Detail und großer Kunstfertigkeit Figuren gestaltet, die beseelt wirken und die den Menschen etwas mitteilen. Außerdem hat er immer darauf geachtet, auch brutale Szenen menschlich darzustellen. Er hat auf übertriebene Darstellung von Wunden oder ähnlichen Grausamkeiten verzichtet.“ Er selbst habe versucht, den Tiefgang und den Glaubenshintergrund des im Eichsfeld geborenen berühmten Würzburgers mit seinen Texten zu erschließen, erklärt Bischof Scheele. „Kunsthistorische Analysen, die darüber diskutieren, welcher Finger bei welcher Figur vom Meister selbst oder seiner Werkstatt ausgeführt wurden, gab es bis dahin schon genug.“

Aus seiner Aktentasche holt der Bischof seine Riemenschneider-Bücher. „Das neuere Buch hat besonders gute Bilder. Der Fotograf Ulrich Kneise hat tolle Aufnahmen gemacht. Fast so gut wie ein Japaner“, erläutert der Bischof schmunzelnd. Maruga übersetzt, und Okabe lächelt verlegen. Dann zeigt er den Journalisten Fotos des Altars von Creglingen („Die Schnitzereien waren lange Zeit hinter einer Bretterwand verborgen, die als Aufhängung für Trauerkränze diente“), von Adam und Eva an der Marienkapelle („Für diese Werke hat Riemenschneider mehr Honorar bekommen als vereinbart – und eine Reihe von Folgeaufträgen“) und der Rosenkranz-Madonna aus „Maria im Weingarten“ bei Volkach. „Spannend“, kommentiert Iwata die Schilderungen des Bischofs vom spektakulären Raub des Kunstwerks im Jahr 1962 und dem Weg, auf dem es wieder zurückkam, und verspricht beim Verabschieden, die berühmte Holzskulptur noch selbst in Augenschein zu nehmen. Und dann kommt auch noch die teure Digitalkamera zum Einsatz, die während des ganzen Gesprächs vor Iwatas Brust baumelte – für ein paar private Aufnahmen des Altarbilds.

(3712/0925; E-Mail voraus)

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