Würzburg (POW) Die Advents- und Weihnachtszeit empfindet nicht jeder als eine besinnliche und ruhige Phase des Jahres. Diplom-Psychologin Ingrid Ingelmann, stellvertretende Leiterin der Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstelle (EFL) Würzburg, und Pastoralreferent Klaus Schmalzl, Fachreferent für Ehe-, Familien- und Lebensberatung, sprechen in folgendem Interview über die Ursachen von Weihnachtsstress und zeigen Methoden auf, wie man sich ihm entziehen kann.
POW: Geschenke einkaufen, Plätzchen backen, Weihnachtspost verschicken, Bürostress – in der Weihnachtszeit spitzt sich der Stresspegel in vielen Bereichen zu. Wieso sind die Wochen vor Weihnachten so hektisch und stressig?
Ingrid Ingelmann: Der Dezember ist der letzte Monat im Jahr. In vielen Firmen herrscht dort Höchstbetrieb, in der Schule werden noch Prüfungen geschrieben. Der gewünschten Besinnlichkeit werden Grenzen von außen gesetzt. Der Advent ist ein Spiegelbild des ganzen Jahres. Wenn man im gesamten vorherigen Jahr nicht in der Lage gewesen ist, den Stresspegel zu reduzieren, schafft man es auch dann nicht zwingend.
Klaus Schmalzl: Es ist schön, dass es diese Sehnsucht nach einer harmonisch-schönen Zeit gibt. Diese Sehnsucht existiert generationenübergreifend, unabhängig von religiösen Befindlichkeiten. Der nüchterne Blick auf die Realität zeigt aber, dass auch Stress zu unserem Alltag dazugehört. Der Stresspegel hat allgemein zugenommen. Das hat wiederum zur Folge, dass die Sehnsucht nach einer harmonischen Zeit geweckt und gestärkt wird. Wenn ich diese harmonische Zeit ersehne, ist das jedoch auch mit Arbeit meinerseits verbunden. Dazu kann und muss ich selber Beiträge leisten.
POW: Ist es also notwendig, in der Weihnachtszeit auch einmal „Nein“ zu sagen?
Schmalzl: Die Fähigkeit, auch Nein sagen zu können, ist wichtig. Angebote gibt es in Hülle und Fülle. Der Konsumrausch geht auch nicht spurlos an einem vorüber. Es ist sinnvoll, sich bewusst Freiräume und Augenblicke der Stille zu suchen. Leider frisst der Trubel häufig die Stille.
Ingelmann: Der Alltag in den Familien hört nicht auf, nur weil die Adventszeit begonnen hat. Wie ich mich in dieser Zeit fühle, hat in der Tat auch etwas mit Auswählen zu tun. Sehne ich mich nach Besinnlichkeit und Stille, kann ich nicht alles gleichzeitig wahrnehmen. Es ist wichtig, beispielsweise Termine zu begrenzen und zu dieser Begrenztheit zu stehen.
POW: Führt nicht gerade das Begrenzen von Terminen zu Konflikten? In einer Familie möchte schließlich niemand zu kurz kommen.
Schmalzl: Nein sagen heißt auch nicht ablehnen. Es bedeutet, sorgsam mit seinen begrenzten Möglichkeiten umzugehen. In der Psychologie spricht man von der „Psychohygiene“. Der Begriff beschreibt die Fähigkeit, achtsam mit sich selbst umzugehen. In der Weihnachtszeit passiert es häufig, dass man ganz besonders hohe Ansprüche an das eigene Glück entwickelt: An Weihnachten muss es ganz besonders friedlich sein, alle müssen sich ganz besonders gut verstehen. Man darf seine eigenen Erwartungen aber nicht ins Unermessliche steigern. Der Advent ist auch keine Zeit des permanenten Zusammenseins. Ich darf alleine spazieren gehen, mir eine Pause gönnen. Man muss es aber kommunizieren. Eine explosive Spannung gerade in so einer intensiven Zeit kann dadurch abgebaut werden.
Ingelmann: Man sollte sich die Frage stellen, was einem selbst gut tun würde. So kann man die Zeit gemeinsam mit seinem Partner oder der Familie gestalten. Das Vorbesprechen, das Kommunizieren spielt dabei eine erhebliche Rolle. Spricht man seine Wünsche frühzeitig aus, hat jeder Zeit, sich darauf einzustellen und es können Kompromisse gefunden werden.
Schmalzl: Je mehr ich für mich selbst sorge, desto entspannter bin ich auch im Umgang mit anderen. Alle haben das Recht, gut auf sich aufzupassen. Ich würde es sogar als „Selbstmanagement“ bezeichnen. Je besser dies gelingt, desto einfacher ist das Zusammenleben mit anderen. Es gibt die Redewendung: „Heimliche Bedürfnisse werden unheimlich selten erfüllt.“ In Familien rate ich zu einer Familienkonferenz. Man nimmt sich 30 Minuten Zeit und bespricht, wie man beispielsweise das Weihnachtsfest begehen möchte, da in der besten Familie keiner die Erwartungen eines jeden von den Augen ablesen kann.
POW: Die anstrengenden Vorbereitungen auf das Weihnachtsfest steigern auch die Vorfreude auf die Feiertage. Gehört der Weihnachtsstress nicht auch irgendwie dazu?
Schmalzl: Es ist normal, dass die Weihnachtszeit eine stressige Zeit ist. Man sollte sie als eine stressige Zeit annehmen, aber auch das Verzichten lernen. Oft werden Eheberatungen gebraucht, wenn eine Zeit, die besonders schön hätte sein sollen, ins Gegenteil umgeschlagen ist. Oft passiert das nach Urlauben oder in der Weihnachtszeit.
POW: Die Advents- und Weihnachtszeit wird von vielen als Zeit des Zusammenseins und der Nähe aufgefasst. Doch nicht jeder verbringt sie mit der Familie oder einem Partner. Ist die Weihnachtszeit für Singles und Menschen, die Weihnachten alleine feiern, nicht mehr belastend denn besinnlich?
Ingelmann: Trennungen geschehen bei Paaren auch vor Weihnachten, das kann dann für die Seite, die die Trennung nicht wollte, besonders belastend sein. In den vergangenen Jahren stieg auch das Angebot an Reisen in der Weihnachtszeit und um Silvester an. Es gibt sicher mehrere Gründe für eine Reise um diese Zeit. Vielleicht ist es aber auch ein Zeichen dafür, dass viele an den Festtagen nicht zuhause sein wollen oder können.
Schmalzl: Wichtig ist es, den Schmerz des Alleinseins auszuhalten. Aus dem Moment, in dem ich mein Alleinsein spüre, kann die Kraft erwachsen, neue Kontakte zu knüpfen. Veranstaltungsangebote und zahlreiche Events in der Weihnachtszeit versuchen oft, den Schmerz zu übertünchen. Das gelingt aber nur vordergründig, es ist keine gute Antwort auf das Alleinsein.
Interview: Bernadette Weimer (POW)
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