Würzburg (POW) „Wiederkehr der Religion – Trend oder Täuschung?“ lautete der Titel des Studientags der Katholisch-Theologischen Fakultät der Julius-Maximilians-Universität Würzburg am Montag, 24. November. Referenten aus Berlin, Münster, Köln und Würzburg gaben Einblicke in den Forschungsstand ihrer Disziplinen und sprachen über die Bedeutung von Religion und Kirche in der heutigen Zeit. Die Teilnehmer hatten die Möglichkeit, während verschiedener Workshops selbst die unterschiedlichen Aspekte des vielschichtigen Themas zu diskutieren und mit Referenten und Dozenten ins Gespräch zu kommen. In einer abschließenden Podiumsdiskussion debattierten insgesamt fünf Theologieprofessoren sowie Domkapitular Dr. Helmut Gabel über die Situation von Religion und Glaube sowie Rolle und Zukunft der Kirche in Deutschland.
Professor Dr. Wilhelm Gräb, Inhaber des Lehrstuhls für Praktische Theologie an der Humboldt-Universität Berlin, ging in seinem Vortrag auf die Rolle von Religion in der zeitgenössischen Popularkultur ein. So seien derzeit nicht nur CDs singender Zisterziensermönche auf vorderen Plätzen der Charts zu finden, auch griffen populäre Filme und Fernsehserien immer wieder religiöse Motive und Symbole auf. „Die Filmtrilogie ‚Der Herr der Ringe‘ eröffnet mit ausdrucksstarken und vieldeutigen audio-visuellen Symbolwelten einen kulturellen Möglichkeitsraum für die jeweils eigene religiöse Lebens- und Weltdeutung“, sagte Gräb. Die Frage nach dem Sinn sei „zur entscheidenden religiösen Frage“ geworden, auf die Menschen oftmals eine subjektive Antwort suchten und sich dabei eben nicht mehr nur bei der institutionalisierten Religion, der Kirche, sondern vielmehr aus zahlreichen Quellen bedienten.
Der Religionssoziologe Professor Dr. Detlef Pollack von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster warnte davor, in zu vielen Lebensbereichen religiöse Fragen sehen zu wollen. So dürfe beispielsweise die Frage nach dem Sinn des Lebens nicht immer nur als religiöse Frage gesehen werden. Außerdem sprach er sich dagegen aus, die in der Wissenschaft vielfach beschriebenen gesellschaftlichen Individualisierungstendenzen zu stark in den Vordergrund zu rücken. Vielmehr plädierte er für eine kombinierte Betrachtungsweise der Wissenschaft, die in ihren Erklärungen sowohl Säkularisierungs- als auch Individualisierungsthese berücksichtige. Erstere Annahme geht davon aus, dass mit zunehmender Modernität einer Gesellschaft das Niveau der Religiosität sinkt. Die von ihm skizzierte Individualisierungsthese nimmt an, dass die Abnahme der Relevanz von institutionalisierter Religiosität, beispielsweise der Kirchen, in einer Gesellschaft nicht automatisch zu einem Bedeutungsverlust von Religion, sondern vielmehr zu einer Individualisierung führe.
Professor Dr. Hans-Joachim Höhn, Lehrstuhlinhaber für Systematische Theologie an der Universität Köln, stellte fest, dass in der heutigen Gesellschaft zwei gegenläufige Prozesse zugleich stattfänden: Die Religion befinde sich in einem Aufwind, allerdings in einer Gesellschaft, die sich immer weiter säkularisiere. In vielen Bereichen hätten Religion und Kirche mittlerweile äquivalente Nachfolger gefunden, allerdings stünden der liberale Staat sowie die Moderne mittlerweile auch häufig vor Problemen, die zu lösen sie selbst nicht mehr im Stande seien. Religion, sagte Höhn in Anlehnung an den Philosophen und Soziologen Jürgen Habermas, könne hier Lösungen anbieten, doch brauche es „Fremdenführer“, die ein „Fremdeln“ zwischen Kirche, Religion und Moderne zu überbrücken wüssten.
An der abschließenden Podiumsdiskussion nahmen neben den drei Referenten auch Domkapitular Dr. Helmut Gabel, der Würzburger Pastoraltheologe Professor Dr. Erich Garhammer sowie der Würzburger Professor für Evangelische Theologie, Dr. Dr. Klaas Huizing, teil. Die Podiumsteilnehmer diskutierten über die Verschiedenartigkeit der Vorstellungen und Bilder von Religion und Kirche aber auch über konkrete Möglichkeiten und Wege für die Kirche in ihrer derzeitigen Situation. Wie könne man Menschen erreichen, die eben nicht mehr regelmäßig Gottesdienste oder kirchliche Veranstaltungen besuchten, wie könne Kirche organisiert werden, ohne dabei die Interessen der Menschen, den Bedarf nach „religiösem Kitsch“ (Höhn) zu vernachlässigen? Domkapitular Gabel sagte, dass gerade in der Erwachsenenbildung der Diözese Würzburg versucht werde, auch andere Zielgruppen zu erreichen, die Kirche als „einladende und gastfreundliche Kirche“ zu präsentieren. Ein düsteres Bild zeichnete hingegen Gräb: Die Kirche habe „bei der Seelsorge verspielt“, sagte er und führte weiter aus, dass es „völlig abwegig ist, die Kirche wieder so stark machen zu wollen, dass Menschen dort Antworten auf die Sinnfrage finden“.
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