Liebe Pilgerinnen und Pilger, liebe Schwestern und Brüder,
mit dem heutigen Festgottesdienst eröffnen wir das Wallfahrtsjahr in Vierzehnheiligen.
Viele unter Ihnen sind nicht nur Freunde dieses berühmten Wallfahrtsortes, sondern leiten auch Wallfahrten zu diesem Gnadenort, an dem schon seit mehr als 550 Jahre die vierzehn Nothelfer verehrt werden.
Es wird berichtet, dass 1445/46 dem Schäfer Hermann Leicht das Christuskind und die Nothelfer erschienen sind, die ihm sagten: „Wir sein die viertzehn nothelffer und wöllen ein Cappeln haben, auch gnediglich hie rasten…“
Es wurde nicht nur zuerst 1448 eine kleine Kapelle und rund hundert Jahre später – 1543 – eine wehrhafte Kirchenburg errichtet, sondern 1743-72 nach den Plänen des berühmten Würzburgers Balthasar Neumann diese großartige barocke Wallfahrtskirche. Hier ist das Ziel vieler Pilgerinnen und Pilger, hier öffnet sich über die äußerst beeindruckende Raumgestalt, die herrlichen Kunstwerke und die 14 Nothelfer ein Stück weit der Himmel, das eigentliche Ziel unseres Lebensweges.
Liebe Schwestern und Brüder,
das diesjährige Wallfahrtsthema lautet: „Auf Gottes Wegen gehen“. Dieser Leitgedanke macht deutlich, dass wir Menschen in unserem Unterwegssein, nicht ziellos durch unser Leben irren müssen, sondern auf Gottes Wegen einem Ziel entgegengehen dürfen.
In der Heiligen Schrift wird insgesamt 168-mal das Wort ‚Weg’ oder ‚Wege’ gebraucht. Schon bei der ersten Erwähnung des Begriffes ‚Weg’ nach dem Sündenfall heißt es im Buch Genesis: „Er vertrieb den Menschen und stellte östlich des Gartens von Eden die Kerubim auf und das lodernde Flammenschwert, damit sie den Weg zum Baum des Lebens bewachten.“ (Gen 3,24) Der Weg zum Leben wird versperrt.
Bei der zweiten Erwähnung im Buch Genesis, bei der Begegnung der Engel mit Abraham, sagte der Herr: „Denn ich habe ihn (Abraham) dazu auserwählt, dass er seinen Söhnen und seinem Haus aufträgt, den Weg des Herrn einzuhalten und zu tun, was gut und recht ist, damit der Herr seine Zusagen an Abraham erfüllen kann.“ (Gen 18,19) Hier ruft der Herr Abraham, den Vater unseres Glaubens – und damit uns alle – auf, seinen Weg zu gehen.
Aber es ist oft für uns Menschen nicht einfach, den Weg Gottes zu finden und zu gehen.
Ganz am Ende der Bibel ist immer noch vom Weg die Rede. In der Offenbarung des Johannes wird beim Strafgericht Gottes gesagt: „Der sechste Engel goss seine Schale über den großen Strom, den Eufrat. Da trocknete das Wasser aus, so dass den Königen des Ostens der Weg offen stand.“ (Apk 16,12) Und vom Lied, das die Sieger über Satan zum Lobpreis Gottes anstimmten, heißt es: „Gerecht und zuverlässig sind deine Wege, du König der Völker.“ (Off 15,3) Mit anderen Worten: Gott bereitet uns die Wege. Er ist letztlich der Weg, den wir verlässlich gehen können.
Das Thema des Weges Gottes zieht sich durch die ganze Heilige Schrift.
Wie aktuell es auch heute noch ist, zeigt erst wieder die gerade geführte Diskussion um die Verschiebung des Stichtages zur Forschung mit embryonalen Stammzellen. Eine Mehrheit der Bundestagsabgeordneten hat sich am Freitag in Berlin durch Aufhebung der ersten – schon damals problematischen Festlegung der Stichtagsregelung – für eine weitere Aushöhlung des menschlichen Lebensschutzes ausgesprochen (346 (Ja) zu 228 (Nein-Stimmen). Bei allem Respekt vor dem echten Ringen, das auch deutlich wurde, wird doch in der Akzeptanz der Forschung an embryonalen Stammzellen, die aus embryonalen Menschen gewonnen werden, eine Grenze überschritten, die die Herrschaft des Menschen über den Menschen – wenn auch auf sehr subtile Weise – akzeptiert.
Dabei beginnt im ersten Augenblick unserer Zeugung der Weg des Menschen. Der Mensch wird nicht durch Zufall in dieses Dasein hinein geworfen. Er entsteht vielmehr, weil Gott ihn liebt.
Gott hat sich zuerst auf den Weg zu uns gemacht. Er rief uns bei unserem Namen in dieses Leben. Wie können wir da – und sei es auch zu Forschungszwecken – das beginnende, sich ausdifferenzierende Leben eines Menschen ‚benutzen’ und damit zu zerstören?
Gott sandte seinen Sohn in diese Welt, um uns zu retten. Christus teilte nicht nur einige Jahre den Lebensweg mit uns. Er konnte von sich sagen: „Ich bin der Weg….“(Joh 14,6).
An ihm dürfen und sollen wir uns orientieren. Er ist der Weg, der zum Leben führt, weil er das Leben ist und uns allein den Weg zum ewigen Leben öffnet. Diesen Weg gilt es zu finden und zu beschreiten!
Liebe Pilgerinnen und Pilger,
nicht erst seit dem Buch „Ich bin dann mal weg“ von Hape Kerkeling ist das Pilgern in Mode gekommen. Während der letzten Jahre ist allenthalben zu sehen, dass immer mehr Menschen sich auf den Weg machen, wallfahren und Gnadenorte aufsuchen. Das anstrengende Laufen ist nicht nur eine körperliche Herausforderung, sozusagen Fitness im Nebenpack, sondern das Sich-auf-den-Weg-machen bedeutet, aus dem Alltag und seinen Zwängen aufzubrechen, sich Zeit zu nehmen, über das eigene Leben, den Sinn und das Ziel des Lebensweges nachzudenken. Nicht wenige Menschen finden über das Pilgern wieder zum Glauben.
Dabei spielt zunächst sicherlich die Erfahrung der Gemeinschaft der Wallfahrer eine Rolle; dann aber das gemeinsame Beten und die Glaubenserfahrung, dass wir ‚auf Gottes Wegen gehen’, dass ER mit uns unterwegs ist und uns am Ziel erwartet.
Allen, die eine solche Wallfahrt vorbereiten, leiten und verantworten, möchte ich von Herzen Dank sagen! Es ist ein wertvoller Dienst, ein Geschenk an die Gemeinschaft – gerade in unserer Zeit, in der viele Menschen bindungslos werden, vereinsamen, leidvoll Brüche von Beziehungen erleben und am Glauben vorbei leben.
Viele Pilgerinnen und Pilger nach Vierzehnheiligen kommen aus dem Bistum Würzburg. Es ist nicht so, als ob wir dort keine Wallfahrtsorte hätten. Allein 45 Marienwallfahrtsorte sind auf dem fränkischen Marienweg zu nennen, aber auch der Kreuzberg und der Engelberg. Jeder dieser Orte ist es wert, aufgesucht zu werden. Aber die einzelnen Pilgerziele verbinden sich mit dem einen großen Lebensziel: der Heimat bei Gott. Überall spüren wir, dass wir pilgernd auf Gottes Wegen gehen! Und jeder Wallfahrtsort gibt einen oft sehr persönlichen Aspekt der Liebe Gottes frei. Hier sind es die 14 Nothelfer, deren Fürbitte wir uns in den unterschiedlichsten Lebenssituationen anvertrauen dürfen.
Am heutigen 4. Ostersonntag sind wir aufgerufen, um geistliche Berufe zu beten. Er ist nicht nur der Weg, sondern – um auch weiterhin in der Bildsprache zu bleiben – die Tür, durch die wir in das Reich Gottes eintreten. Wir brauchen junge Frauen und Männer, die den Mut haben, trotz marodierender „Diebe und Räuber“ (vgl. Joh 10,8) Christus, dem „Hirten und Hüter unserer Seelen“ (vgl. 1 Petr 2,25), zu vertrauen und die Berufung anzunehmen. Auch Vierzehnheiligen ist ein Wallfahrtsort, an dem diese große, immer drängender werdende Fürbitte als Wallfahrtsmotiv gelebt werden könnte. Wir alle müssen uns der geistlichen Not bewusst werden und Gott um Berufungen bitten, für die wir allerdings auch den Boden bereiten müssen, damit sie sich entfalten können. Wallfahren ist auch dafür ein guter Weg. So lasst uns auf Gottes Wegen gehen. Amen.