Würzburg (POW) Das Kiliansevangeliar und ausgewählte weitere historische Handschriften aus der ehemaligen „Würzburger Dombibliothek“ haben Bischof Dr. Franz Jung, Generalvikar Dr. Jürgen Vorndran und eine Delegation aus dem irischen Mullagh in der Grafschaft Cavan, Heimatort des heiligen Kilian, am Montag, 8. Juli, in der Würzburger Universitätsbibliothek in Augenschein genommen. Gastgeber und fachkundige Besucherführer waren Dr. Hans-Günter Schmidt, Leiter der Einrichtung, und Kerstin Kornhoff, Direktionsreferentin und Handschriftenspezialistin der Universitätsbibliothek. Bischof Jung dankte zum Abschluss auch im Namen der Gäste von der Insel für den informativen Einblick.
Das erste Buch, das die Besucher im Lesesaal für Sondersammlungen im Obergeschoss der Universitätsbibliothek gezeigt bekamen, war das Kiliansevangeliar. Dieses entpuppte sich zur Überraschung der Gäste als relativ klein. Im „Saint Kilian's Heritage Centre“ von Mullagh gibt es eine im Format deutlich größere Replik, wie die irischen Gäste um TP O'Reilly, Vorsitzender des Cavan County Council, bemerkten.
Mehrfach sei das Evangeliar, das ursprünglich im sechsten Jahrhundert in einem Skriptorium in Burgund entstand, im Laufe der Geschichte überarbeitet worden. So sei im elften Jahrhundert die Elfenbeinschnitzerei als Schmuck des Einbanddeckels hinzugekommen, die in Franken nach Vorlagen aus dem byzantinischen Kulturraum entstanden, möglicherweise in Bamberg. Unter Bischof Lorenz von Bibra, Ende des 15. Jahrhunderts, sei dann der schwere silberne Rahmen mit Reliquien und Edelsteinen hinzugekommen. „Das Buch hat immer gelebt. Das wird auch an der merowingischen Handschrift, mit der Anmerkungen zum Text hinzugefügt wurden, deutlich“, hob Schmidt hervor.
Vom Format sei es kompakt genug gewesen, um auf Reisen mitgenommen zu werden. Auch deswegen werde das Evangeliar legendarisch dem heiligen Kilian zugeschrieben. Mit einem Augenzwinkern kommentierte Madeleine Ui Mhealoid; Gründungsmitglied des „Saint Kilian’s Heritage Centre“, die Darstellung des Martyriums der Frankenapostel in der Elfenbeinschnitzerei: Der Schächer schlägt mit einem Streich Kilian, Kolonat und Totnan den Kopf ab. „Das nenne ich deutsche Effizienz.“ Schmidt verwies auf die hellen Stellen der Schnitzerei. „Diese rühren daher, dass Besucher des Doms früher das Kiliansevangeliar berühren durften. Wenn Sie den Fuß der Statue des heiligen Petrus im Petersdom in Rom kennen, wissen Sie um den Abnutzungseffekt.“
Einen Blick auf alte europäische Bezüge gab Kornhoff den Besuchern mit zwei altirischen Handschriften aus dem späten achten Jahrhundert. Die eine enthält Paulusbriefe, die mit viel Platz zwischen den Zeilen geschrieben sind. Verschiedene Schreiber haben Glossen, unter anderem auf Altirisch, hinterlassen: „Anhand dieser haben Sprachwissenschaftler diese alte Sprache rekonstruiert.“ Interessant sei, dass die Interlinearkommentare zum Teil in einer älteren Version des Irischen verfasst seien als der eigentliche Text. „Die plausibelste Theorie lautet, dass beim Kopieren einfach auch die Anmerkungen mitkopiert wurden“, erklärte Kornhoff.
Bei dem anderen Buch, einem Matthäus-Evangelium in irischen Großbuchstaben, finden sich hineingebunden auch kleine Zettel mit Anmerkungen und Notizen, also das, was heute als „wissenschaftlicher Apparat“ bezeichnet würde bzw. was bei der Arbeit in einem Zettelkasten landet. „In einem Teil des Buchs finden sich noch die Anmerkungen zwischen den Zeilen, hier waren diese scheinbar zu umfangreich, um an der passenden Stelle auf diese Weise eingefügt zu werden“, erklärte Schmidt. So gehe es an einer Stelle um die Kommentare zweier bedeutender Theologen ihrer Zeit: einmal um Sillán, Abt von Bangor in Irland und Lehrer von Columbanus. ein anderes Mal werde auf Mo-Cuonroc den Weisen verwiesen, Angehöriger der Semuine, eines Stammes aus dem County Waterford.
Passend zum Fest des heiligen Kilian hatte Schmidt für die Besucher auch ein Martyrologium aus dem neunten Jahrhundert vorbereitet. Darin ist in fränkischer Handschrift auf Latein verzeichnet, dass der Gedenktag des Heiligen am 8. Juli begangen wird.
Bis zur Säkularisation 1803 gehörte die Würzburger Dombibliothek zum Domstift in Würzburg. Seitdem wird das Handschriftenensemble, das zu den bedeutendsten in Mitteleuropa zählt, in der Universitätsbibliothek Würzburg aufbewahrt. Die Handschriften sind von der Universitätsbibliothek im eigenen Digitalisierungszentrum komplett digitalisiert worden und können im Internet unter libri-kiliani.eu sowie unter franconica.online eingesehen werden.
mh (POW)
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