Himmelstadt/Würzburg (POW) Die gelben Plastikkisten stapeln sich bis zur Decke, die Schreibtische sind voll mit Papier und Umschlägen. Jeder Schritt im Raum muss überlegt sein, möchte man keine Post zertreten, die auf dem Boden liegt. Briefe wohin das Auge sieht, Kisten und Kartons überall: Willkommen im Weihnachtspostamt in Himmelstadt. Rund 68.000 Briefe werden hier bis zum Fest gelesen und beantwortet. Logisch, dass das Christkind dabei Hilfe braucht. In diesem Jahr bekommt es sie von 36 Ehrenamtlichen.
Eine von ihnen ist Rosemarie Schotte. Sie beantwortet seit 1993 Jahr für Jahr Briefe an das Christkind, geschrieben meist von Kindern. Inzwischen leitet sie das Weihnachtspostamt. Ihre Arbeit wird fast jährlich mehr, weil immer mehr Briefe in Himmelstadt landen. „Das liegt an der Mund-Propaganda“, schätzt Schotte. 1986 wurde das Weihnachtspostamt eröffnet, 3500 Briefe kamen damals an, ein Bruchteil von heute. Inzwischen kommt schon vor Ostern die erste Post: „Ich möchte sichergehen, dass meine Wünsche erfüllt werden, daher schreibe ich so früh“, steht dann oft in den Briefen. Beantwortet werden sie trotzdem erst im Advent, das Christkind braucht schließlich auch mal Urlaub.
Von außen ist das Weihnachtspostamt unscheinbar. Ein rot verputztes Reihenhaus in einer Nebenstraße. Hinter einem kleinen Tor – geschmückt mit Tannenzweigen – geht es rechts durch eine hellbraune Holztür, und schon steht der Besucher mitten in einer kleinen Stube, in der es nach Holz und Papier riecht und wo scheinbar ein geordnetes Chaos regiert. In einer Ecke steht eine große Weltkarte mit jeder Menge bunten Stecknadeln. Sie markieren Norwegen, England, Italien, aber auch Brasilien, die USA und Kanada. Dank des Internets hat sich die Aktion weltweit herumgesprochen. „Oft bekommen wir Post von ausländischen Schulklassen, die Deutsch lernen und uns von ihrer Kultur erzählen wollen“, sagt Schotte. Auch solche Schreiben beantworten die Ehrenamtlichen, das Porto für die vielen Briefe übernimmt die Deutsche Post.
Der klassische Wunschzettel macht den Großteil der Briefe aus. Oft schön verziert, viele mit Fotos der Kleinen. In kindlicher Schrift sind Sätze zu lesen wie: „Meine Eltern möchten nicht, dass ich ein Handy bekomme, dabei bin ich doch schon groß. Kannst du nicht etwas machen?“ oder „Abends kann ich oft nicht einschlafen, mit einem großen Teddybären ist das bestimmt viel leichter.“ Bis Weihnachten werden noch viele solche Wünsche kommen. Schotte und ihr Team garantieren, alle bis zum 17. Dezember abgeschickten Briefe vor dem Fest zu beantworten. E-Mails schreibt das Christkind übrigens auch im Zeitalter des Internets nicht und nimmt auch keine entgegen. „Wir setzen auf das schöne Gefühl, einen echten Brief zu bekommen“, sagt Schotte dazu und hat das nächste Kuvert in der Hand, mit dem Wunsch nach weißer Weihnacht. „Dann könnte ich mit meinem Bruder eine Schneeballschlacht im Garten machen“, schreibt Lisa.
Auch Erwachsene sind manchmal unter den Absendern. Manche versuchen Profit aus dem Angebot des Weihnachstpostamts zu schlagen: „Eine Frau schrieb uns mal einen Brief mit Adressen ihrer Freunde und Verwandten. Sie hätte aufgrund ihrer Arbeit keine Zeit für Weihnachtspost. Wir sollten das übernehmen“, erzählt Schotte und schüttelt fassungslos den Kopf. Viele wollten nur den Weihnachtsstempel, denn den gibt es nur in Himmelstadt. Auf solche Briefe antworten Schotte und ihre Helfer nur selten. Manche Erwachsenen seien einsam und möchten etwas Ansprache. Diese Briefe landen in einem gesonderten Fach, Schotte beantwortet sie ausführlich und individuell. Post erreicht Himmelstadt auch von Kindern, die schon fast Teenager sind: „Ich glaube eigentlich nicht mehr ans Christkind, aber wenn du wirklich antwortest, überlege ich es mir nochmal“, heißt es dann oft.
„Ritsch, ritsch“ macht es fast im Sekundentakt. Die Technik hat Einzug erhalten, auch beim Christkind. „Seit diesem Jahr haben wir eine Maschine zum Brieföffnen“, sagt Schotte. Den Umschlag in einen Schlitz legen, von links nach rechts ziehen – und schon ist er offen. Etwas Hilfe in dem kleinen Raum, der eigentlich das Wohnzimmer einer Ferienwohnung ist. Dann geht die Haustür auf – neue Arbeit naht. Ein Mann bringt drei weitere Kisten voll mit Briefen und Päckchen. Auch das Paket einer Kindergartengruppe ist dabei. Die Kleinen haben für das Christkind gebastelt, Engel aus schwarzem Papier und mit weißer Watte verziert.
Helga Scheb, auch eine der irdischen Helferinnen, stellt fest, dass die Wünsche der Kinder immer technischer werden: „Bei manchen Dingen weiß ich überhaupt nicht, was das sein soll“, sagt sie und lacht. Legosteine und Stofftiere seien aber trotzdem noch gefragt. Manche Briefe gehen ihr auch sehr nahe. Sie erinnert sich an ein Kind, das von seinem krebskranken Vater geschrieben hatte und sich vom Christkind baldige Heilung wünschte. „Über so ein Schreiben sitzen wir länger und überlegen, mit welchen persönlichen Zeilen wir antworten können“, sagt Scheb.
Auch ihre Kollegin Schotte kennt solche Geschichten: Vor einigen Jahren bekam sie Post von einem Kind, dessen Familie sie kannte. „Die Großeltern waren sehr krank und der Vater arbeitslos. Da bin ich am Heiligabend zum Haus der Familie gefahren und habe, als die Familie in der Kirche war, heimlich einige Geschenke vorbeigebracht“, erzählt Schotte. Auch traurige Briefe von Kindern, deren Väter für die Bundeswehr in Afghanistan sind, erreichen das Postamt. „So etwas beschäftigt mich dann auch zu Hause“, gesteht sie.
Die Adresse des Christkinds lautet:
An das Christkind, 97267 Himmelstadt
(4910/1557; E-Mail voraus)
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