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Dokumentation

Benediktinische Grundhaltungen als große Hilfe

Vortrag von Bischof Dr. Franz Jung bei der Wiedereröffnung des Recollectio-Hauses in Münsterschwarzach am Montag, 14. Oktober 2019

Sehr geehrter, lieber Abt Michael,

sehr geehrte Frau Dr. Paeth,

sehr geehrter Herr Dr. Ott,

meine sehr verehrten Damen und Herren,

Der Prolog der Benediktsregel und die Einladung zum wahren Leben

„Wer ist der Mensch, der das Leben liebt und gute Tage zu sehen wünscht?"

Wenn du das hörst und antwortest: „Ich", dann sagt Gott zu dir:

„Willst du wahres und unvergängliches Leben,

bewahre deine Zunge vor Bösem und deine Lippen vor falscher Rede!

Meide das Böse und tu das Gute!

Suche Frieden und jage ihm nach!“

Der berühmte Passus aus dem Prolog der Benediktsregel (Prol 15-17) scheint mir wie gemacht, um den Auftrag und die Mission des Recollectio Hauses zu beschreiben.

Die Frage des Psalms 34, die der Mönchsvater Benedikt aufgreift, hat es in sich:

"Wer ist der Mensch, der das Leben liebt und gute Tage zu sehen wünscht?"

Liebt nicht jeder Mensch das Leben? Und wünscht nicht jeder, gute Tage zu sehen? So möchte man fragen. Ja, schon, ist man geneigt zu antworten. Aber ganz so einfach ist es dann doch nicht. Denn die Frage nach der Liebe zum Leben und nach den guten Tagen erhebt sich oftmals erst nach einer langen Durststrecke.

Man wundert sich bisweilen, wie lange Menschen es aushalten und hinnehmen, dass das Leben beschwerlich und mühsam, ja unerträglich geworden ist und an die Stelle der ersehnten guten Tage viele Tage der Mühsal und Beschwernis getreten sind, wie der Dulder Ijob klagt (Ijob 7,6).

Oftmals stellt sich erst nach einer Lebenskrise die Frage, was denn das sei: Ein gutes Leben? Und was das sein könnte: Wahres und unvergängliches Leben?

Und es beginnt ein Weg der Suche, der dem Suchenden so einiges abverlangt. Was die Einleitung zu dem zitierten Abschnitt sagt (Prol 14), gilt auch für jeden Gast im Recollectio Haus. Der Herr erwartet von ihm, dass er ein „Arbeiter“ ist, einer, der die Bereitschaft mitbringt, an sich zu arbeiten und Gott an sich arbeiten zu lassen und der bei dem Weg, der vor ihm liegt, keine Mühen scheut.

Die benediktinischen Grundhaltungen sind auf diesem Weg sicher eine große Hilfe.

Demut zur Annahme der eigenen Lebenswirklichkeit

Dazu gehört zuerst die Demut. Denn es bedarf einer gehörigen Portion Demut, sich einzugestehen, dass man es aus eigener Kraft nicht mehr schafft und fremder Hilfe bedarf. Für nicht wenige Menschen ist das so etwas wie ein Gefühl der Niederlage.

Das gilt einmal mehr im kirchlichen Kontext. Die Vorstellung, dass auch „religiöse Profis“ an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit kommen könnten, scheint weit weg zu sein. Wer dem lieben Gott besonders nahe ist, der verfügt doch über eine Ressource, von der andere nur träumen können. Der muss doch keine Hilfe annehmen, sondern meistert die ihm gestellten Probleme spielend… - könnte man meinen.

•           Dass aber auch der pastorale Alltag mit dem anstrengenden Spagat zwischen den Erwartungen der Gemeinden und der eigenen Vorstellung vom seelsorglichen Dienst eine Überforderung sein könnte,

•           dass es auch in klösterlichen Lebensgemeinschaften Konflikte geben könnte, an denen man zerbrechen kann,

•           dass die Diskrepanz zwischen offiziellen religiösen Normvorstellungen und persönlicher Lebensgestaltung zur schwerwiegenden Beeinträchtigung der physischen wie psychischen Gesundheit führen könnte,

all das sind Erfahrungen, die einem Außenstehenden zunächst fremd anmuten könnten. Aber auch diese Krisenphänomene gehören zur kirchlichen Wirklichkeit.

Und: es kann jeden treffen, die Vertreter aller pastoralen Berufsgruppen in den deutschen Diözesen genauso wie die Mitglieder der Gemeinschaften des gottgeweihten Lebens, unabhängig von Rang, Stellung und Aufgabe.

Darüber hinaus ist bis zum heutigen Tag innerkirchlich wie außerkirchlich festzustellen, dass eine Lebenskrise oder ein Zusammenbruch jedweder Art noch immer mit einem gewissen Stigma behaftet ist nach der Art: „Der hat es nicht mehr gepackt“. Eine nicht zu unterschätzende Hürde, wenn man sich mit dem Gedanken trägt, um Unterstützung und Beratung nachzusuchen.

Die Haltung der Demut hilft, sich anderen anzuvertrauen und unter Zuhilfenahme fachkundiger Beratung daran zu gehen, sein Leben neu zu sortieren.

Verstörend mag dabei sein, dass in nicht wenigen krisenhaften Situationen der eigentliche Auslöser bei näherer Betrachtung in den Hintergrund tritt. Stattdessen werden plötzlich biographische Konstellationen sichtbar, die ein Leben schon lange begleiten und belasten:

•           ungelöste Probleme,

•           nicht ausgestandene oder verarbeitete Konflikte,

•           Belastungen aus der Kindheit oder Traumata jedweder Art

werden in der Krise plötzlich sichtbar und verlangen danach, wahrgenommen, ernst genommen, zugelassen und soweit als möglich bearbeitet zu werden.

Auch dieser Schritt fordert demjenigen, der ihn sich zumutet, einiges an Demut ab. Er oder sie muss sich der Wahrheit seines oder ihres Lebens stellen, ohne wegzulaufen und ohne die Augen zu verschließen.

Ein nicht selten schmerzlicher und kräftezehrender Prozess, weil deutlich wird, dass die Lösung viel tiefer zu suchen ist und ein Heilungsprozess viel breiter angelegt werden muss als es der unmittelbare Auslöser zunächst erahnen ließ.

Gut, dass es dafür einen geschützten Raum gibt wie das Recollectio Haus, wo diese komplexen Heilungsprozesse angegangen werden können.

Der Gehorsam und die Schweigsamkeit

Eine zweite benediktinische Grundhaltung hat hier ihren Ort: der Gehorsam. Die Fähigkeit und die Bereitschaft, genau hinzuhören. Hineinzuhorchen in sein Innerstes.

Hilfreich ist in diesem Zusammenhang sicher die Entscheidung gewesen, im Recollectio Haus in der Gruppe zu arbeiten und nicht nur in der Einzeltherapie. Denn neben den Rückmeldungen der Begleiter und Therapeuten sind es die Rückmeldungen aus der Gruppe, die einen oft ziemlich direkt und ungeschminkt darauf hinweisen, wo man steht und wie man wahrgenommen wird, jenseits der persönlichen Selbsteinschätzung. Hinzuhören wird da zur Mutprobe.

Nur wer Gott nicht mehr ins Wort fällt, wer darauf verzichtet, immer das letzte Wort zu haben und unbedingt Recht zu behalten, darf damit rechnen, Neues zu hören und in Erfahrung zu bringen über sich und sein Leben. Die Haltung der „docilitas“, die Offenheit für Belehrung, erleichtert eine Erneuerung im Gegensatz zu jeder ängstlichen Selbstbehauptung, die nicht bis zum Kern des Problems vordringt.

Zuhören und Gehorchen sind nicht nur im Ordensleben, sondern auch in den großen Exerzitien der Lebenskrisen innere Haltungen, die immer wieder der Einübung bedürfen und die nichts von ihrer provozierenden Kraft verloren haben.

Ja, „bewahre deine Zunge vor Bösem und deine Lippen vor falscher Rede“. Höre auf, dich dauernd selbst zu rechtfertigen oder andere zu beschuldigen, und kehre zurück zu dir und deinem Leben. „Gut ist es, schweigend zu harren auf die Hilfe des HERRN“ (Klgl 3,26).

Es ist ein weiter Weg, der am Anfang „nicht anders als eng sein kann“ (Prol 48), den man vom „bitteren Eifer“ hin zum „guten Eifer“ zurücklegen muss, wie es der Heilige Benedikt in seiner Regel formuliert (RB 72).

Vom bitteren Eifer, der einen in unguter Weise verzehrt und die Beziehungen zur Umwelt belastet, hin zum guten Eifer, durch den das Herz wieder weit wird (Prol 49).

Denn dann kann das Feuer des Anfangs wieder entfacht werden, ohne auszubrennen. Dann stellt sich die einstige Spannkraft von Neuem ein, allerdings mit der nötigen inneren Distanz. Diese Distanz erlaubt es, trotz aller Widerstände, die das wirkliche Leben nun mal für uns bereithält, gelassen und engagiert zugleich der eigenen Berufung wieder nachzugehen.

Heilende Gastfreundschaft

Meine Anleihen an der Weisheit der Benediktsregel zeigen, wie sehr ich es schätze, dass das Recollectio Haus in einen monastischen Kontext eingebettet ist. Hier geht es eben nicht nur um Psychologie und Psychotherapie, so notwendig und unabdingbar diese Humanwissenschaften zur Bearbeitung schwerwiegender Lebensprobleme auch sind. Neben den Therapieangeboten unterschiedlichster Art tragen die Atmosphäre der Sammlung, das Angebot, die Gottesdienste mitzuvollziehen, und die Zeiten der Kontemplation und Stille zum Heilungsprozess bei.

Denn im Letzten bedeutet Heilung, Gott als die unverfügbare und befreiende Mitte des eigenen Lebens wiederzuentdecken. Es ist der Gott, der uns in Kreuz und Leid besonders nahe ist, und der uns durch die Dunkelheiten unseres Lebens hindurch in sein Licht führen möchte.

Sehr angesprochen hat mich dabei immer die Tatsache, dass diejenigen, die das Recollectio Haus und seine Angebote in Anspruch nehmen, nicht als „Patienten“ oder „Kursteilnehmer“ bezeichnet werden, sondern als „Gäste“.

Auch das ein Hinweis aus der Regel des Heiligen Benedikt (RB 53). Denn Gastfreundschaft steht hier hoch im Kurs. In der Bezeichnung als „Gast“ kommt eine Haltung der Ehrfurcht vor dem Fremden zum Ausdruck. Schließlich begegnet nach Benedikt im Gast immer Christus selbst.

Der Gaststatus unterstreicht auch die Tatsache, dass derjenige, der um Aufnahme nachsucht, nur eine bestimmte Zeit zu bleiben gedenkt. Denn das Haus hat seine Aufgabe dann erfüllt, wenn es sich überflüssig macht. Nicht die Bindung an das Haus, sondern das „habitare secum“ wie Gregor der Große in der Benediktsvita sagt (Dial. II, 3.7), das „Wieder-bei-sich-wohnen-können“, das „Wieder-bei-sich-zuhause-sein“, ist das eigentliche Ziel.

Wie die Aufnehmenden dem Gast Ehrfurcht schulden, ist allerdings auch der Gast gehalten, den Ort seiner Beherbergung zu respektieren und die Ordnung durch seine Anwesenheit nicht zu stören. Schließlich erhofft er sich gerade dadurch Linderung seiner Leiden, dass er aus einer krankmachenden Ordnung ausbricht, um im verbindlichen, aber auch fordernden Rahmen des Recollectio Hauses neu ausgerichtet zu werden.

Dass auch das religiöse Leben pathologische Formen kennt, davon können die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Recollectio Hauses ein Lied singen.

In den Gästen begegnen sie den leidenden Gliedern Christi. Und sie begegnen einer Seite von Kirche, die von der offiziellen Sicht auf die Institution abweicht und nicht unbedingt zum Selbstbild einer Organisation gehört, die sich der Verkündigung der frohen und befreienden Botschaft des Evangeliums verschrieben hat.

Auch wenn sie ihrer Arbeit mit größter Diskretion nachgehen, wissen sie oft als erste um den mitunter hohen Preis, den kirchliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zahlen,

•           sei es im erhöhten Veränderungsstress unserer Tage,

•           sei es aufgrund der immer enger werdenden Personaldecke in den Bistümern,

•           sei es aufgrund überalterter Ordensgemeinschaften,

•           oder sei es im Blick auf systemische Ursachen, wie wir sie jetzt bei der Be- und Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs diskutieren.

Ihre Erfahrungen sind wichtig für uns Bischöfe und für die Personalverantwortlichen in den Diözesen und Ordensgemeinschaften, um gegenzusteuern oder entsprechende Hilfen bereit zu stellen.

Persönlich bin ich in diesem Zusammenhang Herrn Dr. Ott dankbar für seine Begleitung und Beratung in einigen sehr herausfordernden Situationen in der vergangenen Zeit. Ihre Unterstützung und Ihr Rat waren für mich sehr hilfreich.

Und natürlich danke ich Ihnen auch für Ihr konstruktives Mitwirken in den Gremien unseres Bistums wie beispielsweise in der AG Supervision, wo wir uns gerade erst vergangene Woche getroffen haben, um eine künftige Schwerpunktsetzung miteinander zu reflektieren.

Ihnen und dem Team des Recollectio Hauses bin ich aber auch dankbar für das positive Aufgreifen meiner Idee, eine Art Tertiat für die Priester nach circa zehn Dienstjahren zu erarbeiten. Ein Projekt, das sich für mich aus dem Befund der MHG Studie ergab, und das sich sicher auch gut mit den aktuell bestehenden Angeboten des Hauses verbinden lässt.

Wir wollen also eine Schule für den Dienst des Herrn einrichten…

Ich komme zum Schluss. „Wir wollen also eine Schule für den Dienst des Herrn einrichten…“ (Prol 45), so heißt es im Prolog der Benediktsregel im Blick auf die Errichtung eines Klosters. Auch das Recollectio-Haus versteht sich als Schule, als Lebens- und Glaubensschule, um den Dienst für den Herrn wieder neu zu erlernen und neu einzuüben. Ich bin froh darüber, eine solche Lebens- und Glaubensschule auf dem Gebiet unseres Bistums zu haben.

Mit ihnen freue ich mich über die gelungene Generalsanierung des Hauses. Das Haus wieder aufbauen – das hat mein großer Namenspatron Franziskus gelernt – meint allerdings nicht nur die Gebäudehülle wieder in Stand zu setzen, sondern das Haus der Kirche auch innerlich wieder auf Stand zu bringen.

Unter dieser Rücksicht wünsche ich Frau Dr. Paeth von Herzen alles Gute und Gottes Segen für ihre verantwortungsvolle Aufgabe in den fürwahr großen Fußstapfen ihres geschätzten Vorgängers.

Und ich freue mich auch weiterhin auf eine gute und konstruktive Zusammenarbeit mit dem Recollectio Haus in den kommenden Jahren. Die Renovierungsarbeiten, da bin ich mir ziemlich sicher, werden uns nicht ausgehen und es bleibt auf allen Seiten noch viel zu tun. Schön, Sie dabei an unserer Seite zu wissen!

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!