Würzburg/Speyer/Schondra (POW) In einem Seminarraum werfen sich sechs Menschen neongelbe Tennisbälle zu. Wer einen fängt, erzählt, wie er heißt und wie es ihm gerade geht. „Andy Theuer, sehr angespannt“, sagt ein Mann mit kurzen braunen Haaren, die zu einem Scheitel nach links gegelt sind. Er trägt ein schwarzes Poloshirt, eine beige Hose und weiße Sneaker. Andy Theuer (33) möchte Priester werden. Gleich wird er zum ersten Mal eine Predigt vor Publikum halten.
Die Gruppe geht vom Seminarraum in die Hauskapelle des Priesterseminars in Speyer. Es ist ein warmer, sonniger Herbsttag Ende September. In einem Kurs lernen die Männer aus den (Erz-)Bistümern Speyer, Eichstätt, Würzburg und Bamberg einen Monat lang einen Teil des Handwerkszeugs, um als Priester zu arbeiten. Das Bistum Speyer schickt außerdem seine Pastoralreferentinnen und -referenten in den Kurs. Das erklärt, warum auch eine Frau dabei ist. Der Monat in Speyer gehört zum sogenannten Pastoralkurs. Der Begriff beschreibt die Ausbildungsphase vom Ende des Studiums bis zur Priesterweihe.
Die linke Wand der Kapelle besteht aus bunten Fenstern, die dem Raum ein angenehmes Licht geben. Die Gruppe setzt sich in die Kirchenbänke, und Theuer geht nach vorne. Er klammert sich etwas an seine Karteikarten. Doch er predigt ruhig und verständlich. Am Anfang erzählt er von seinem Navigationssystem im Auto. Immer wisse es den richtigen Weg zum Ziel. „Erst recht habe ich mir gewünscht, dass es so eine Stimme bei großen Lebensentscheidungen gibt. Gerade in dem Ringen, das mich oft begleitet hat“, erzählt er.
„Es war kein punktuelles Erlebnis, wo ich sagen würde, da kam der Heilige Geist auf mich herab. Ich habe mir eher kontinuierlich die Frage gestellt, ob ich Priester werden möchte“, beschreibt Theuer später im Gespräch. „Meinem jüngeren Ich hätte ich geraten: Das hättest du schon viel früher machen können“, fügt er hinzu. Denn schon seit der Firmung habe ihn die Frage begleitet. Theuer kommt aus Hürtgenwald in der Eifel, das liegt in der Nähe von Aachen. Von dort ist er nach Würzburg gezogen, um Theologie und Germanistik auf Gymnasiallehramt zu studieren. Nach dem Lehramtsstudium habe er überlegt, wie es weitergehen solle. Soll er an die Schule gehen, sein Wissen im Bereich Liturgiewissenschaft vertiefen oder am Ende doch Priester werden? Schlussendlich würden sich seine Interessen in dem bündeln, was er jetzt mache, findet er.
Ein Ort, an dem sich Theuer während seines Studiums sehr wohlgefühlt habe, sei die Dompfarrei in Würzburg gewesen. Der damalige Pfarrer der Pfarrei habe ihn gefragt: „Könntest du dir vorstellen, Priester zu werden?“ Das sei der entscheidende Moment gewesen, stellt Theuer in seiner Predigt in der Kapelle fest. „Es war dieser Impuls von außen, dieses ,Hey, ich traue dir zu, dass du das kannst‘, was mich letztlich bewogen hat, einen Schritt weiterzugehen“, berichtet er dem Kurs.
Damals habe er sich eine Woche Bedenkzeit genommen und sich in der Abtei Kornelimünster in Aachen zurückgezogen. Dort habe er über Texte aus der Bibel nachgedacht. „Am Ende war es die Taufe Jesu“, beschreibt er den Schlüsselmoment. Dort sagt Jesus zu Johannes dem Täufer: „Lass es nur zu.“ Im April 2020 wurde Theuer in das Würzburger Priesterseminar aufgenommen. Parallel zur Ausbildung absolvierte er sein Promotionsstudium im Bereich Liturgiewissenschaften. Das hat er in Würzburg begonnen und im August 2023 in München beendet.
„Es ist super spannend, weil nun einfach ein neuer Lebensabschnitt beginnt. Der ganze Theorieblock Studium und Promotion ist jetzt zu Ende“, sagt Theuer. Mit anderen Menschen, die im Bistum Würzburg eine Ausbildung in den pastoralen Berufen machen, erhielt er nach dem Studium eine Einführung im Würzburger Priesterseminar. Dort gab es Informationen zum Beruf. Danach ist Theuer nach Speyer gereist. „Es ist schon ein Nomadenleben, das wir momentan führen. Ich habe gerade einfach drei Betten“, erzählt er. Eines davon steht bei seiner Familie im Rheinland, eines im Würzburger Priesterseminar und eines in Speyer.
Es sei momentan eine sehr intensive Zeit, bei einem so kleinen Kurs müsse man immer Leistung bringen, berichtet Theuer. Das gelingt ihm wohl gut, denn der Kurs lobt seine Predigt. Im Raum neben der Kapelle sitzen die vier angehenden Priester und die angehende Pastoralreferentin in einem Halbkreis vor einem Flipchart. Im Hintergrund ist der Dom von Speyer zu sehen. Mit Dozent Volker Sehy besprechen sie die Predigt nach den Kriterien Beziehungsaufbau, Alltagsrelevanz, Bibelfundiertheit, Spannungsbogen und Key Learning, also besonders wertvolles, neu gewonnenes Wissen. Der Kurs lobt das Beispiel mit dem Navigationssystem. Kritisiert wird vor allem das schnelle Sprechtempo am Ende. „Durch Pausen wächst Spannung“, erklärt der Dozent.
Nach dem Ende des Kurses ging es für Theuer in seine Ausbildungspfarrei Oberleichtersbach-Schondra. Dort hat er im Oktober 2023 angefangen und wird die zwei Jahre bis zu seiner Weihe bleiben. „Ich bin gespannt, die Dinge, die wir im Labor erprobt haben, in der Pfarrei anzuwenden“, sagt Theuer.
Peter Göttke ist seit 2021 Regens im Würzburger Priesterseminar und damit verantwortlich für die Ausbildung. Er beschreibt Theuer als jemand, „der sehr wach mit seiner Umgebung umgeht, der gut auf die Menschen zugehen kann“. Der Seminarist verstehe es, Sachen theologisch einzuordnen, und habe dazu die Fähigkeiten, Projekte auf die Reihe zu kriegen und Menschen dafür zusammenzuholen.
Diese Fähigkeiten konnte Theuer in der Ausbildungspfarrei erst nicht zeigen, sein Start verlief anders als geplant. Er war Mitte Oktober für zwei Wochen nicht in der Pfarrei, da sein Vater unerwartet verstarb. Danach nahm Theuer die Arbeit wieder auf, aber ein Besuch bei ihm in der Pfarrei musste wegen seiner Corona-Infektion ausfallen. Deshalb erzählt er online, was in den vergangenen Wochen passiert ist. Während des Gesprächs sitzt er in seinem lichtdurchfluteten Büro im Pfarrhaus.
„Das Besondere an der Arbeit ist, dass es so vielseitig ist“, findet Theuer. Mit seinem Ausbildungspfarrer lebe er mehr oder weniger in einer WG zusammen. Sie beginnen jeden Morgen mit einem gemeinsamen Gebet. Vormittags erledigt er Schreibtischarbeiten und bereitet Unterricht vor. Nachmittags stehen meist Gesprächstermine oder auch mal ein Geburtstagsbesuch an. Theuer hält auch eigene Wort-Gottes-Feiern. „Ich war wahnsinnig aufgeregt. Das war ein krasser Wechsel“, beschreibt er das Gefühl vor dem ersten Gottesdienst. Es sei schon etwas anderes als mal eine Lesung in der Messe zu lesen.
Spätestens mit der Diakonenweihe in diesem Jahr soll Theuer zölibatär leben. Das heißt auf eine eheliche Beziehung und sexuelle Aktivitäten verzichten. Er glaube, dass diese Lebensweise zu ihm passe. „Zölibatär zu leben, bedeutet für mich nicht, beziehungslos zu leben. Tiefe Freundschaften mit Menschen verschiedenen Alters genügen mir.“ Außerdem gebe es Zeiten, in denen er nur für sich sein müsse. Da nehme er sich gerne Ruhe und Zeit für das Gebet.
„Ich bin überzeugt, dass ich mein Glück und meine Zufriedenheit finde, indem ich diesem Weg folge“, sagt er. Deshalb hat er am 17. Dezember bei der sogenannten Admissio den nächsten Schritt gemacht. Bei einem feierlichen Gottesdienst im Würzburger Priesterseminar hat sich Theuer nach der Predigt vor die Gemeinde gestellt und den traditionellen Satz „Hier bin ich“ gesagt. Damit wurde er unter die Kandidaten für die Weihen aufgenommen. Nun wartet dieses Jahr die Diakonenweihe und am Samstag vor Pfingsten im nächsten Jahr die Priesterweihe.
Für Menschen, die auch mit dem Gedanken spielen, ins Priesterseminar einzutreten, hat er zwei Ratschläge: „Es war gut, dass ich mal alleine gelebt habe. Das ist eine Erfahrung, die ich jedem Priesteramtskandidaten wünschen würde.“ Außerdem rät er, weniger zu zögern, als er es getan hat: „Irgendwann muss man einfach ins kalte Wasser springen.“
Vincent Poschenrieder (POW)
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