Würzburg (POW) Zwei außergewöhnliche spätmittelalterliche Kunstwerke aus dem Würzburger Neumünster, der Grabeskirche der Frankenapostel, hat Domkapitular Dr. Jürgen Lenssen, Bau- und Kunstreferent der Diözese Würzburg, am Donnerstag, 24. Januar, im Museum am Dom der Öffentlichkeit präsentiert: den Schmerzensmann mit den gekreuzten Armen und einen Kruzifixus mit Echthaarperücke. Beide wurden 2007 aufwändig restauriert und sind in den kommenden Monaten im Museum am Dom zu sehen.
„Der Schmerzensmann mit den vor dem Körper gekreuzten Armen ist für die Würzburger Kreuzbergwallfahrer, aber auch für viele andere Gläubige ein Kultkreuz. Seine anziehende Wirkung ist durch die Restaurierung verstärkt worden“, sagte Lenssen. Die Mitte des 14. Jahrhunderts von einem zumindest zeitweise in Würzburg lebenden Meister gefertigte Darstellung des Gekreuzigten misst etwa 2,20 Meter von Kopf bis Fuß und ist vollplastisch, das heißt, sie zeigt auf der Rückseite die einzelnen Wirbel und die Rippen. „Das ist ebenso eine Besonderheit wie die Schicht aus Leim und Kreide, mit der die Schnitzerei als Grundierung überzogen ist und in der die Blutstropfen plastisch modelliert sind“, erläuterte Christoph Schädel, der im Auftrag der Diözese Würzburg die Restaurierung vornahm. Im thüringisch-fränkischen Raum sei diese Darstellung eine der bedeutendsten ihrer Art, unter anderem wegen des Blickes, der mehr Zuwendung als Leiden ausstrahle.
Die Arbeiten in Schädels Werkstatt dauerten von Mai bis September 2007 und gestalteten sich kompliziert, da bis zum 19. Jahrhundert verschiedene farbliche Fassungen des Christus entstanden. Zwar wurde das Kreuz um 1908 in den Werkstätten des Bayerischen Königlichen Generalskonservatoriums München restauriert und dabei mehrere Fassungsschichten entfernt. Auf einem Foto aus dem Jahr 1932 sind dennoch deutlich Fassungsschäden zu erkennen, die vermutlich von übermäßiger Feuchtigkeit her rühren. Außerdem kratzten Unbekannte dem Gekreuzigten die Augen aus. Bei der jüngsten Restaurierung um 1950 wurden diese rekonstruiert. Die farbliche Fassung wurde mit zahlreichen Kittungen und Retuschen ausgebessert.
Neben dem Erhalt der derzeit sichtbaren farblichen Fassung war Schädel damit beschäftigt, die groben Scharten auszuwetzen, die nicht nur der Zahn der Zeit an dem Kruzifix hinterlassen hat: So musste er unter anderem die noch mit dem Holzmehl gefüllten Fraßgänge der Nagekäfer festigen, die sich vor langer Zeit an den Holz schadlos hielten. Außerdem galt es, die von Ruß und Schmutz überzogene Fassungsoberfläche zu reinigen und die zum Teil abblätternde Kreideschicht durch Hinterspritzen mit einer Leimlösungen aus Hausenblasen- und Hautleim zu festigen. Nach dem Reinigen schließlich musste er unter anderem die deutlich hervortretenden Altretuschen der vorigen Restaurierung um 1950 farblich anpassen. Dank kleinster Mengen zugesetzten Zinkweiß kann der nächste Restaurator in fluoreszierendem Licht die Retuschen leicht erkennen.
Ein Import aus Nürnberg ist der zweite, ebenfalls fast zwei Meter große Gekreuzigte, der seit Kriegsende bis zu Beginn der Renovierung der Neumünsterkirche 2007 in der rechten Eingangskapelle hing – von den meisten Besuchern des Gotteshauses nahezu unbemerkt. „Im restaurierten Neumünster wird das Kreuz seinen ursprünglichen Platz einnehmen – zentral im Chorbogen“, sagte Kunstreferent Lenssen. Das entspreche auch der hohen künstlerischen Qualität des zirka 1470 gefertigten Werkes. Restauratorin Britta Pracher war von Juni 2007 bis vor wenigen Tagen damit beschäftigt, den möglichst originalen Zustand zu rekonstruieren. Sie erklärte, dass erst durch den Abtrag der zahlreichen zum Teil nur noch fleckenhaft vorhandenen späteren Farbfassungen die anatomische Genauigkeit der Darstellung sichtbar geworden sei. Mehr als 300 Skalpelle und etliche Arbeitsstunden mit Vergrößerungslupe habe diese wichtige Vorarbeit in Anspruch genommen, da es anders als beim Schmerzensmann keinerlei Dokumentation zu früheren Überarbeitungen oder historische Fotos des Kreuzes gebe. Außerdem wurde der Kruzifixus geröntgt, um der Innenkonstruktion des im Körper und Kopf hohl gearbeiteten Gekreuzigten auf die Spur zu kommen.
„Der Kopf wurde von dem Nürnberger Meister etwa auf Höhe der Wangen getrennt und eine in schönen Rot gefasste Zunge eingepasst, um den lebensechten Eindruck zu betonen“, sagte Pracher. Die wiederhergestellte originale Farbgebung, mit bläulich verfärbten Zehen und Augenringen, aber noch leicht rosigen Knien und Wangen unterstreiche zusammen mit der Menschenhaarperücke auf dem Kopf den besonders bestürzenden Eindruck des leidenden Christus. „Es gab wohl irgendwann auch einen angeklebten Bart aus echten Haaren. Darauf weisen die Collophonium- und Haarreste hin, die sich auf dem geschnitzten Bart fanden.“ Diese Spuren ließ Pracher für die Nachwelt unverändert, die aus echten Dornen geflochtene Krone und das Lendentuch wurden dagegen mit Goldpulver wieder auf Glanz gebracht.
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