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Bewahrer des Unwiederbringlichen

Archivoberrat i. K. Dr. Norbert Kandler hat das schriftliche Gedächtnis der Pfarreien im Bistum Würzburg systematisch erfasst – Viele Zeitzeugnisse wie Primizandenken, Plakate und Fotos vor dem Müll bewahrt

Würzburg (POW) Wer war im 18. Jahrhundert Pfarrer in welcher Pfarrei? Seit wann gehörte eine Feldkapelle zu einer bestimmten Gemeinde? Anfragen wie diese hat er in den vergangenen 30 Jahren zuhauf bekommen. Mitunter auch wirklich harte Nüsse wie: Wer bitte ist der Architekt der Scheune mit den Maßen 6 auf 18 Meter aus dem 17. Jahrhundert, die einmal zum Kloster Schlüchtern gehörte? Wenn irgendwie möglich, hat er solche Fragen, die vom Universitätsprofessor bis hin zum Heimatforscher gestellt wurden, auch beantwortet. Am 5. Dezember wird Dr. Norbert Kandler, Archivoberrat im Kirchendienst, im Würzburger Diözesanarchiv in die Freistellungsphase Altersteilzeit verabschiedet.

Historische Dokumente sind die Leidenschaft des promovierten Kirchenhistorikers. „Dabei habe ich nach dem Ende meines Theologiestudiums nie daran gedacht, mich mit einer solchen trockenen Materie den Rest meines Lebens zu beschäftigen“, erzählt er. Doch dann bot sich im Diözesanarchiv Würzburg als wissenschaftliche Hilfskraft eine willkommene Gelegenheit, während der Promotionszeit finanziell zu überleben. Im Auftrag des Bistums Würzburg wertete Kandler ab 1981 Fragebögen an Geistliche aus, die mit den Machthabern im Nationalsozialismus in Konflikt kamen. Das Ergebnis aller Diözesen – im Bistum Würzburg waren es allein über 900 Priester – wurde 1984 im Auftrag der Bischofskonferenz in der Veröffentlichung „Priester unter Hitlers Terror“ durch Ulrich von Hehl herausgegeben.

1984 schuf die Diözese eine neue Stelle, die Kandler übernahm. Der Auftrag: systematisch alle Pfarrarchive erfassen, die Pfarrer vor Ort beraten und die Akten sichern. Konkret bedeutete das für Kandler, jeweils eine Reihe von Fragen zu klären: Gibt es (noch) ein Pfarrarchiv? Wo befindet es sich und ist der Raum geeignet und entspricht den Sicherheitsvorschriften? Nicht immer hat Kandler sich hierdurch Freunde gemacht. Rund 600 Pfarreien und Kuratien hat er im Rahmen dieser Aufgabe besucht, manche sogar vier- oder fünfmal.

Neben vorbildlichen Archiven fand Kandler so manches Aktenlager auf Speichern, in Kellern, Garagen oder Scheunen. Nicht selten dienten die Unterlagen inzwischen Mäusen als Nestmaterial. „In meiner Sturm-und-Drang-Zeit hat mich da manchmal schon der heilige Zorn überkommen“, resümiert er heute selbstkritisch. Als „Plünderer“ sei er damals verschrien gewesen, weil er den betreffenden Pfarrern ins Gewissen redete oder eine Frist setzte, die Situation zu verbessern oder den Bestand im Diözesanarchiv zu deponieren. Vor allem galt es, die wertvollen Matrikelbücher der Pfarreien auf Zukunft hin durch Verfilmen zu sichern. Inzwischen habe sich vieles zum Positiven geändert: Das Bewusstsein für die Bedeutung der Archive sei bei vielen Pfarrern geschärft – nicht zuletzt durch intensive Schulung, die inzwischen von Seiten des Archivs im Rahmen der Vorbereitung auf die Zweite Dienstprüfung erfolgt. „Früher brachte ich da dann von Mäusen zerfressene oder durch falsche Lagerung verschimmelte Archivalien als Anschauungsmaterial ein, das blieb auch noch nach zehn Jahren im Gedächtnis der Seelsorger“, sagt Kandler schmunzelnd.

Vieles in den Pfarrarchiven sei von unwiederbringlichem Wert, doch Kandler ging es darüber hinaus um die pastorale Funktion der kirchlichen Archive. Deshalb verstand er seine Arbeit in diesem Sinne immer als Dienst für die Seelsorge. Deswegen schenkte er auch Dokumentationsmaterial oder Objekten Beachtung, die im weiteren Sinne früher nicht als Quelle angesehen wurden. „Fotos und Zeitungsausschnitte, Plakate und Primizandenken, Heiligenbilder oder Medaillen sind ebenso eine wichtige Quelle, die Einblick auf die jeweilige Zeit zulassen.“

Quasi als Nebenprodukt seiner Arbeit an den Pfarrarchiven hat Kandler so im Laufe der Jahre 17 Sammlungen (teilweise mit bis zu 50.000 Objekten) zusammengetragen, die sich mit volkskundlichen Themen oder Frömmigkeitsformen, aber auch mit katechetischem Material und anderem befassen, das möglicherweise auf den Müll gelandet wäre. Zurzeit wird bis zum 22. Dezember ein kleiner, breit gefächerter Ausschnitt in einer Ausstellung im Foyer des Archivs gezeigt, die maßgeblich aufgrund der Arbeit Kandlers zustande kam.

Vordringlich lag das Augenmerk des Archivoberrats aber auf Sicherung des klassischen Aktenbestands. „Mit jedem verlorenen Schriftstück geht ein Stück Wissen den Bach runter.“ So gingen von den etwa 7000 Matrikelbüchern nach dem Zweiten Weltkrieg allein etwa 600 Bände verloren. Neben den Matrikeln, gelte das genauso für Urkunden, den Aktenbestand mit Plänen, Kostenvoranschlägen oder den oft unbeachteten Rechnungen. „Viele Schriftstücke waren durch falsche Lagerung derart geschädigt, dass sie nur durch teure Restaurierung auf Zukunft hin gesichert werden konnten. So lag diese Bestandserhaltung auch einige Jahrzehnte in der Hand Kandlers. Aus Erfahrung kennt er die Stärken und Schwächen verschiedener Werkstätten, denen Archivgut oder Bücher zur Restaurierung anvertraut werden konnten.

Stolz ist Kandler darauf, dass das Würzburger Diözesanarchiv deutschlandweit zu den ersten gehört, in dem die Kirchenbücher durch die Initiative des heutigen Direktors Professor Dr. Johannes Merz in digitalisierter Form benutzt werden können. Und auch darauf, dass die Archivalien alle im neuen zentralen Diözesanarchiv in der Domerschulstraße gelagert sind. „Das ist auch ein bisschen mein Kind“, sagt Kandler. Er kennt da auch ganz andere Zeiten: Bis 2004 gab es zwei Dienststellen des Diözesanarchivs, eine in den heutigen Räumen der Dommusik über dem Domkreuzgang und eine im Bischöflichen Ordinariat. Im Laufe der Jahre kamen aus Platzmangel weitere acht Außenstellen in den Tresorräumen des alten Kilianshauses, in der Koellikerstraße, der Spiegelstraße, dem Valentinum und auf dem Heuchelhof dazu. Wie viele Kilometer er mit schweren Akten zwischen den Standorten unterwegs war – Kandler kann es nicht einmal schätzen.

Im Ruhestand wird er in Zukunft etwas mehr Zeit haben für sein Amt als Diakon, für die Seelsorge und die Feier der byzantinischen Liturgien in der Würzburger Kapelle der Catholica Unio im Inneren Graben. Auch weiterhin wird er sich seinem Hobby, der Zauberei, widmen. Und sich natürlich mit der einen oder anderen historischen Akte beschäftigen. „Ich war nie der große Wissenschaftler, aber ich mache gern Detailarbeit, die zwar zeitaufwändig ist, auf die aber andere aufbauen können“.

Zur Person:

Dr. Norbert Kandler wurde 1951 geboren und wuchs in Neubrunn (Landkreis Haßberge) auf. Nach dem Besuch der Studienseminare der Abtei Münsterschwarzach, einer Ausbildung zum Groß- und Einzelhandelskaufmann in Bamberg erwarb er am Theresianum in Bamberg 1974 das Abitur. Nach dem Zivildienst, den er im Eisinger Sankt Josefs-Stift leistete, studierte er in Würzburg von 1975 bis 1981 Theologie. Nach drei Jahren als wissenschaftliche Hilfskraft wurde er 1984 als Angestellter beim Bistum Würzburg übernommen. Zum Doktor der Theologie wurde Kandler 1984 promoviert. Die Diakonenweihe empfing er im Jahr 2006 im Auftrag des Würzburger Bischofs Dr. Friedhelm Hofmann durch den melkitischen Patriarchen Gregor III.

Die Ausstellung „Im Glauben unterwegs“ im Diözesanarchiv Würzburg, Domerschulstraße 17, ist montags und dienstags von 9 bis 16 Uhr, mittwochs und donnerstags von 9 bis 19 Uhr und sonntags von 14 bis 17 Uhr geöffnet. Führungen werden mittwochs und donnerstags um 17 Uhr oder nach Vereinbarung angeboten. Die Ausstellung ist barrierefrei zu besichtigen. Weitere Informationen unter Telefon 0931/38667100.

(80 Zeilen/4911/1270: E-Mail voraus)

Hinweis für Redaktionen: Fotos abrufbar im Internet