Würzburg (POW) Weihbischöfe gibt es im Bistum Würzburg seit dem 13. Jahrhundert. Warum das Amt erst lange nach der Bistumsgründung eingeführt wurde und weswegen lange Zeit Mönche dafür gewählt wurden, erläutert Bistumshistoriker Erik-Arnulf Soder von Güldenstubbe im folgenden Interview.
POW: Im Bistum Würzburg wirkte ab 1206 erstmals ein Weihbischof. Aus welchem Anlass wurde das neue Amt notwendig?
Erik-Arnulf Soder von Güldenstubbe: Eine Reihe von Gründen ließ im Mittelalter das Amt der Weihbischöfe entstehen. Die Bevölkerung wuchs, und das im Frühmittelalter noch sehr weitmaschige Netz der Pfarreien wurde dichter, besonders auf dem Lande. Anders als in Italien waren und sind im deutschen Sprachraum die Bistümer wesentlich größer und weiträumiger. Die Bischöfe sollen in ihrem Bistum nach dem Rechten sehen, also ihr Bistum möglichst regelmäßig visitieren, das Weihesakrament spenden, die Gläubigen firmen, Kirchengebäude, Altäre, Glocken und Friedhöfe weihen, Recht sprechen und vieles mehr. Im alten deutschen Reich waren die Diözesanbischöfe mehr und mehr auch in die Rolle von Fürsten des Reiches hineingewachsen. Ohnehin entstammten die meisten Bischöfe damals adeligen Familien. Kaiser oder Könige beauftragten die Bischöfe des Reiches oft mit politischen und diplomatischen Aufgaben. Der wachsende kirchliche Landbesitz nahm allmählich – und verstärkt seit der Stauferzeit – den Charakter von Fürstentümern an. Aus ihnen entstanden die Hochstifte – Territorien, in denen die zu Fürsten gewordenen Bischöfe auch weltliche Macht ausüben konnten. So suchten sich die Diözesanbischöfe Helfer in der kirchlichen Verwaltung: vor allem die Generalvikare und im kirchenrechtlichen Bereich die sogenannten Offiziale. Bestimmte Aufgaben waren und sind aber nur geweihten Bischöfen übertragen, die sogenannten Pontifikalien – Priesterweihen, Firmungen, Konsekrationen, Ablassverleihungen und so weiter. So entstand das Amt der Hilfsbischöfe, auf lateinisch auch Auxiliarbischöfe genannt. Eine ausführliche Beschreibung der Vollmachten eines Weihbischofs ist aus der Zeit des Fürstbischofs Albrecht von Hohenlohe um das Jahr 1372 in einer Handschrift aus der Abtei Ebrach erhalten – und zwar für den Titularerzbischof Heinrich de Orificensis, der selbst Zisterziensermöch war.
POW: Hängt die Einführung des Weihbischofsamts auch mit der besonderen Geografie des Bistums Würzburg zusammen?
Soder von Güldenstubbe: Natürlich war es in so weit gedehnten Bistümern, wie es vor allem Konstanz, Würzburg oder Mainz vor der Reformationszeit waren, den regierenden Bischöfen eine große Hilfe, auf Weihbischöfe zurückgreifen zu können, denn sie mussten oft große Strecken zurücklegen und das bei den schwierigen Verkehrsverhältnissen im Mittelalter. Die ersten dieser Hilfsbischöfe wirkten meist in verschiedenen Bistümern, wo sie nämlich gerade benötigt wurden, oder wo man ihnen eine bestimmte Aufgabe anvertraute. Natürlich konnten solche wandernden Bischöfe nicht eigenmächtig in einem fremden Bistum tätig werden, sondern stets nur im Auftrag oder mit Erlaubnis des zuständigen Diözesanbischofs.
POW: Wo wurden die Weihbischöfe rekrutiert? Kamen sie immer aus dem heimischen Klerus?
Soder von Güldenstubbe: Es gab mehrere Möglichkeiten, Hilfs- oder Weihbischöfe zu gewinnen. Bekannt wurde zum Beispiel der Erzbischof Poppo von Trier, der 1042 vom Papst Benedikt IX. sich einen Bischof als Gehilfen erbat. Es konnte also ein Priester der Diözese mit Genehmigung des Papstes zum Auxiliar geweiht werden. Andererseits standen damals eine Reihe von bereits geweihten Bischöfen zur Verfügung: Das waren Oberhirten, die durch die islamische Expansion aus ihren eigenen Bistümern vertrieben worden waren. Die Kirche ließ auch solche Bistümer rechtlich weiterbestehen. Die für diese verlorenen Bischofsstühle ernannten Oberhirten nannte man Titularbischöfe, weil sie nur Weihe und Titel eines Bischofs besaßen, aber kein eigenes Bistum. Es wurde dann üblich, dass alle Weihbischöfe ein solches erloschenes Titularbistum zugeschrieben erhielten.
POW: Können Sie ein paar Beispiele nennen?
Soder von Güldenstubbe: Der Würzburger Weihbischof Alfons Kempf trug den Titel eines Bischofs von Limyra, einst Sitz des heiligen Bischofs Nikolaus, heute in der türkischen Provinz Antalya gelegen. Der aus dem Bistum Würzburg stammende Weihbischof Karl Ebert in Meiningen hatte das Titularbistum Druas in Nordafrika inne, dasselbe, das später Professor Dr. Paul-Werner Scheele seinerzeit als Weihbischof von Paderborn zugeteilt bekam. Der emeritierte Würzburger Weihbischof Helmut Bauer ist Titular von Velefi in Numidien. Der amtierende Würzburger Bischof Dr. Friedhelm Hofmann war als Kölner Weihbischof Inhaber des Bischofstitels von Taddua in Nordafrika. Auch im Rahmen der mittelalterlichen deutschen Ostkolonisation entstanden neue Bistümer, deren Bischöfe sich anfangs dort lange nicht halten konnten oder von den heidnisch gebliebenen Menschen vertrieben worden waren. Diese suchten sich neue Betätigungsfelder und so traf es sich, dass die zu Fürsten werdenden Bischöfe im deutschen Reich jetzt Hilfsbischöfe zur Verfügung hatten und dass die vertriebenen Bischöfe wieder eine sinnvolle kirchliche Aufgabe ausüben konnten.
POW: Wer war der erste Würzburger Weihbischof?
Soder von Güldenstubbe: Der erste hieß Helmbert. In seinem eigentlichen Sprengel Havelberg duldeten die Heiden damals keinen katholischen Bischof. Deswegen durfte er dort nicht wirken. Er weihte 1206 die Sankt-Vinzenzkapelle im Prämonstratenserkloster Veßra in Südthüringen, das damals noch zum Bistum Würzburg zählte. Helmbert starb noch im gleichen Jahr, so dass 1207 Bischof Malachias von Lismore in Irland aushalf und das Oratorium in der Abtei Ebrach weihte. Malachias war Zisterzienser und so lag es nahe, ihn zur Kirchenweihe in dem ersten Zisterzienserkloster Frankens einzuladen.
POW: Heißt das, ständige Weihbischöfe, die sich also dauerhaft im Bistum aufhielten, gab es zu diesem Zeitpunkt noch nicht?
Soder von Güldenstubbe: Im 14. Jahrhundert etablierte sich im Bistum Würzburg allmählich das Amt eines ständigen Weihbischofs. Eine Handschrift aus der Würzburger bischöflichen Kanzlei, die der bekannte Historiker und ehemalige Ordinariatsarchivar Prof. Dr. Alfred Wendehorst 1957 mit einem aufschlussreichen Kommentar veröffentlichte, enthält bereits aus den Jahren 1303 bis 1323 eine Reihe von Formularen über den Einsatz von Weihbischöfen, die als Vorlage für Ernennungen oder Beauftragungen benutzt wurden. Da sind Aufträge, Priesterweihen oder Altarweihen zu vollziehen, Menschen wieder in die Kirchengemeinschaft aufzunehmen, die sich durch ein schweres Vergehen den zeitweiligen Ausschluss aus der Gemeinde zugezogen hatten. Weitergehend waren Formulartexte, mit denen der Bischof den Auxiliar generell mit der Vertretung in geistlichen Angelegenheiten betraute. Bei schwacher Gesundheit des Fürstbischofs sollte beispielsweise der Weihbischof „die Last des Amtes mit ihm teilen“, wie es so zutreffend heißt. In einem anderen Formular befahl der Fürstbischof seinen Amtleuten im Würzburger Hochstift, den jeweiligen Weihbischof nach Kräften zu unterstützen. War der Bischofsstuhl verwaist, übernahm das Domkapitel die Verantwortung für Bistum und Hochstift. Daher beauftragten in solchen Fällen die Domherren den Weihbischof, die nötigen bischöflichen Amtsfunktionen während der Sedisvakanz zu übernehmen. 1357 zum Beispiel ernannte Fürstbischof Albrecht von Hohenlohe seinen Weihbischof Berthold aus dem Orden der Augustiner-Eremiten nach dem Tod des gelehrten Generalvikars Dr. Hermann von Schildesche zu dessen Nachfolger. In dieser Zeit half auch der Bamberger Weihbischof Walther de Capella, ein Dominikaner, gelegentlich im Würzburger Bistum aus.
POW: War es immer der Diözesanbischof, der den Weihbischof ernannte?
Soder von Güldenstubbe: Mit dem fortschreitenden Ausbau der päpstlichen Kurie wurden die älteren und weitergehenden Rechte der Diözesanbischöfe an manchen Stellen beschränkt. So tauchen um die Mitte des 14. Jahrhunderts Weihbischöfe mit päpstlicher Genehmigung im Bistum Würzburg auf, erstmals aufgrund der Forschungen von Dr. Hermann Hoffmann, urkundlich nachweisbar 1351 mit dem eben erwähnten Weihbischof Walther de Capella, der „...divina et sancte sedis apostolice gratia episcopus“ genannt wird, also Bischof aus der Gnade Gottes und dank des Apostolischen Stuhles.
POW: Nach Malachias waren bis ins 16. Jahrhundert viele Würzburger Weihbischöfe Ordensmänner. Woher rührt diese Tradition?
Soder von Güldenstubbe: In der alten Reichskirche wurden in den meisten Bistümern nur Adelige zu regierenden Bischöfen durch die jeweiligen Domkapitel gewählt. Bei einer solchen Wahl war oft auch das politische Interesse mit von Bedeutung, zumal das Reichsoberhaupt meist Einfluss auf die Wahl nahm, und dem Papst oft nur das Bestätigungsrecht zustand. Es war daher günstiger, wenn man im Mittelalter überwiegend Angehörige von Ordensgemeinschaften zu Weihbischöfen machte. Das gilt auch für Würzburg: Hier wurden Zisterzienser, Franziskaner, Dominikaner, Augustiner, Johanniter- und Deutschordenspriester für das Amt ausgewählt. Als Ordenschristen hatten sie Armut gelobt, vertraten keine politischen oder dynastischen Interessen und – was ebenfalls wichtig war: sie waren meist gelehrte Männer, die in der Ausbildung der Ordens- und Seelsorgsgeistlichen mitwirken konnten. Die Bistumsgeschichte kennt nicht wenige wissenschaftlich und schriftstellerisch tätige Weihbischöfe. Besonders bei den Visitations- und Firmungsreisen war es auch günstig, wenn die Weihbischöfe Kenntnisse und Erfahrungen in Seelsorge, im Predigtdienst und im kirchlichen Recht hatten.
POW: Warum endet diese Linie im 16. Jahrhundert?
Soder von Güldenstubbe: Im Reformationszeitalter ging der Ordensnachwuchs rapide zurück. Man berief meist Weltpriester in das Amt des Weihbischofs, ebenfalls würdige und gelehrte Leute. Für die meisten Gläubigen, vor allem auf dem Lande, waren die Weihbischöfe in der Regel die einzigen Bischöfe, mit denen sie in Berührung kamen. Zutritt am Fürstenhof hatten nicht alle.
POW: Dr. Johannes Pettendorfer war von 1512 bis 1525 Weihbischof in Würzburg, dann wurde er Lutheraner. Gibt es Erkenntnisse, was ihn zum Wechsel bewog, sowie über sein weiteres Schicksal?
Soder von Güldenstubbe: Den gebürtigen Regensburger Johannes Pettendorfer, der an der Universität Ferrara den Doktortitel in Theologie erwarb und später Professor in Ingolstadt und Heidelberg war, berief der Würzburger Fürstbischof Lorenz von Bibra zu seinem Weihbischof. Pettendorfer war Nachfolger des 1512 verstorbenen Theologie-Professors Dr. Kaspar Grünwald, einem Dominikaner. Pettendorfer hat als Dekan der theologischen Fakultät von Ingolstadt 1510 den späteren Kämpfer gegen die lutherische Reformation, Dr. Johannes Eck, promoviert. Umso überraschender war der Übertritt von Weihbischof Pettendorfer, der Prediger am Stift Haug war, zum Luthertum. Er zog nach Niederwerfung des Bauernaufstandes 1525 von Würzburg in die Reichsstadt Nürnberg. Dort heiratete er in Sankt Sebald 1527 Anna, die bisherige Dienerin der reformatorisch gesinnten Familie Spengler. Pettendorfer starb 1533.
POW: Von 1590 bis 1597 wurde das Amt des Würzburger Weihbischofs vom Bamberger Weihbischof Johannes Ertlin wahrgenommen. Wie kam es zu dieser Ämterdoppelung?
Soder von Güldenstubbe: Fürstbischof Julius Echter von Mespelbrunn berief in den Jahren 1590 bis 1597 keinen Weihbischof. Die nötigen Pontifikalhandlungen vollzog er entweder selbst – er war für seinen unermüdlichen Arbeitseinsatz bekannt – oder ließ sich dabei vom Weihbischof Johannes Ertlin vom Bamberger Nachbarbistum vertreten. Ertlin weihte unter anderem den Pfarraltar in der Kirche des Würzburger Ritterstiftes Sankt Burkard, ein bedeutendes Werk im Renaissance-Stil.
POW: Mit dem Tod von Dr. Gregor von Zirkel im Jahr 1817 verwaist das Weihbischofsamt in Würzburg bis zur Ernennung Alfons Kempfs im Jahr 1959. Was war die Ursache für diese lange Unterbrechung?
Soder von Güldenstubbe: Nach dem Tod des Würzburger Weihbischofs Dr. Gregor von Zirkel, der wegen seiner Verdienste um das bayerische Konkordat bereits zum Bischof von Speyer ernannt war, jedoch kurz vor seinem Amtsantritt starb, bewilligte die bayerische Regierung trotz mehrfacher Anträge der Bischöfe keinen Weihbischof mehr. Das Bistum war in der Auswirkung der napoleonischen Umwälzungen der politischen Landschaft Europas und nach der Säkularisation stark verkleinert worden. Es hat allerdings das sogenannte Oberstift vom ehemaligen Erzbistum Mainz dazugewonnen. Als nach dem Zweiten Weltkrieg durch die vielen Heimatvertriebenen, Flüchtlinge und Evakuierten die Anzahl der Katholiken in Unterfranken und Südthüringen stark zugenommen hatte, wurde der erneute Einsatz eines Weihbischofs im Bistumssprengel unabweisbar. So konnte Bischof Josef Stangl den erfahrenen Pfarrseelsorger Alfons Kempf zu seinem Auxiliar weihen. Nicht zu übersehen ist auch, dass der überregionale Einsatz unserer Bischöfe gewachsen ist: Bischofskonferenz, Konzil, Synode, die Ökumene, Hilfs-Aktionen der Caritas, Adveniat, Misereor und Renovabis fordern ihren Tribut. Oder denken wir an den kurz zurückliegenden Einsatz unseres Bischofs Dr. Friedhelm Hofmann bei der römischen Bischofsynode.
Interview: Markus Hauck (POW)
(5008/1503; E-Mail voraus)
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