Würzburg (POW) Das Kiliansevangeliar und ausgewählte weitere historische Handschriften aus der „Würzburger Dombibliothek“ haben Bischof Dr. Franz Jung und das Würzburger Domkapitel am Dienstag, 15. Januar, in der Würzburger Universitätsbibliothek in Augenschein genommen. Gastgeber und fachkundiger Besucherführer war Dr. Hans-Günter Schmidt, Leiter der Einrichtung. Bischof Jung dankte zum Abschluss für den informativen Einblick. „Gerade in diesen für die Kirche bewegten Zeiten ist es wichtig, dass wir uns auf die Tradition besinnen und erkennen, dass Kirche über Jahrhunderte der zentrale Bildungs- und Kulturträger war.“
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„Mit dem Jahr 1619 beginnt die kontinuierlich dokumentierte Geschichte der Bibliothek als zentrale universitäre Einrichtung“, sagte Schmidt bei der Begrüßung im Foyer. Der Besuch der Bistumsleitung stelle gleichsam den Auftakt der Feierlichkeiten des 400. Jubiläums dar. Zugleich zog Schmidt Parallelen zwischen der Bibliothek und dem Bistum Würzburg: „Für beide gilt es, einen wichtigen Umbruch gut zu gestalten. Bei uns ist es der Wechsel zwischen Buch und Digital.“ Während die Ausleihen rückläufig seien, steige gleichzeitig massiv die Zahl der Bibliotheksbesuche.
Die Bibliothek des ehemaligen Würzburger Domstifts gehört zu den bedeutendsten Handschriftenensembles in Mitteleuropa. Herausragend ist insbesondere der einzigartige Bestand an frühmittelalterlichen Codices: Von den 214 heute noch in Würzburg erhaltenen Dombibliothekshandschriften datieren 94 aus dem 5. bis 9. Jahrhundert, unter ihnen insbesondere die größte Sammlung früher angelsächsischer und angelsächsisch beeinflusster Handschriften auf dem Kontinent. Diese werden in der Universitätsbibliothek unter hohen Sicherheitsstandards und klimatischen Idealbedingungen aufbewahrt. „Bald nach der Gründung des Bistums im Jahre 742 muss bereits der Grundstein für diese einmalige Bibliothek gelegt worden sein, die bis zur Säkularisation 1803 zum Domstift in Würzburg gehörte“, erklärte Schmidt. Wenn es auch schwerfalle, die Geschichte der Bibliothek durch die Jahrhunderte genau nachzuzeichnen, blieb ihr Ruf doch ungebrochen. Noch im 18. Jahrhundert habe für Bildungsreisende bei einem Würzburg-Aufenthalt ein Besuch der Dombibliothek fest zum Programm gehört.
Das erste Buch, das Bischof und Domkapitel im Lesesaal für Sondersammlungen im Obergeschoss der Universitätsbibliothek gezeigt bekamen, war das Kiliansevangeliar. Dieses entpuppte sich zur Überraschung der Gäste als relativ klein. Zuletzt sei es bei der Amtseinführung von Bischof Dr. Paul-Werner Scheele in der Liturgie im Kiliansdom eingesetzt worden. „Aus konservatorischen Gründen ist das heute nicht mehr möglich“, betonte Schmidt. Als Zeichen des Wohlwollens habe er sich aber gerne bereit erklärt, den Kirchenvertretern diesen Termin zu ermöglichen. Mehrfach sei das Evangeliar, das ursprünglich im 6. Jahrhundert in einem Skriptorium im Burgund entstand, im Laufe der Geschichte überarbeitet worden. So sei im 11. Jahrhundert die Elfenbeinschnitzerei als Titelschmuck hinzugekommen, die aus einem auf solche Kunst spezialisierten Kloster im heutigen Erzbistum Bamberg stammt. Unter Bischof Lorenz von Bibra zu Beginn des 16. Jahrhunderts sei dann der schwere silberne Rahmen mit Reliquien und Edelsteinen hinzugekommen. „Das Buch hat immer gelebt. Das wird auch an der angelsächsischen Handschrift, mit der Anmerkungen zum Text hinzugefügt wurden, deutlich“, hob Schmidt hervor.
Aus Sicht von Bücherexperten jedoch weitaus wertvoller sei beispielsweise das in byzantinischem Stil farbenprächtig bebilderte, unter Bischof Wolfgar Anfang des 9. Jahrhunderts erworbene Evangeliar. Als weitere Besonderheit finde sich in diesem Buch eine Beschreibung der geografischen Grenzen des Würzburger Herrschaftsgebiets und die kalligraphierte Warnung der jenseitigen drakonischen Strafen, die den treffen werden, der sich unrechtmäßig des wertvollen Bands bemächtigt. Besonders gleichmäßige und schön lesbare Schrift ist das Kennzeichen des im zweiten Drittel des 9. Jahrhunderts in Fulda entstandenen, etwas kleineren Evangeliars.
Einen Blick auf alte europäische Bezüge gab Kerstin Kornhoff den Besuchern mit altirischen Handschriften aus dem späten 8. Jahrhundert. Die eine enthält Paulusbriefe, die mit viel Platz zwischen den Zeilen geschrieben sind. Verschiedene Schreiber haben Glossen, unter anderem auf Altirisch, hinterlassen. „Anhand dieser haben Sprachwissenschaftler diese Sprache rekonstruiert. Wenn wir also irische Gäste haben, gehört dieses Buch immer zu den gezeigten Exemplaren. Bei dem anderen Buch, einem Matthäus-Evangelium, finden sich hineingebunden auch kleine Zettel mit Anmerkungen, also das, was wir heute ‚wissenschaftlicher Apparat‘ nennen würden.“
Auch speziell auf Bischof Jung zugeschnittene Elemente gab es bei der Präsentation der Handschriften: Schmidt hatte eigens den Satz aufschlagen lassen, der Grundlage für Bischof Jungs Wahlspruch ist. Das verwendete Buch ist laut Kornhoff im 8. Jahrhundert in der Schreibstube eines Kitzinger Frauenklosters entstanden. Besonders sei eine darin enthaltene Illustration mit dem Gekreuzigten. Diese zeige einerseits viele Verweise auf typisch irische Bildsprache, unterscheide sich aber in vielen Details deutlich von dieser. Für viel Erheiterung sorgten die zahlreichen Grammatik- und Orthografiefehler im lateinischen Text des Hebräerbriefs, der in angelsächsischer Minuskel verfasst war. Mehr als zwei Stunden dauerte die Führung, bei der auch ein Graduale aus dem früheren Besitz von Stift Haug mit der Kilianssequenz und ein Missale aus dem 14. Jahrhundert gezeigt wurden. Letzteres wurde unter Bischof Rudolf von Scherenberg im 15. Jahrhundert durch Inkunabelseiten, also frühe gedruckte Seiten, erweitert.
Die Handschriften der Würzburger Dombibliothek sind von der Universitätsbibliothek im eigenen Digitalisierungszentrum komplett digitalisiert worden und können im Internet unter libri-kiliani.eu eingesehen werden.
mh (POW)
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