Im Würzburger Matthias-Ehrenfried-Haus las Bischof Jung auf Einladung der Liborius-Wagner-Bücherei die im Jahr 1919 erschienene Novelle „Der Fremdling“ von Elisabeth Dauthendey. Darin verführt ein Mann reihenweise junge Frauen und lässt sie anschließend fallen. Sein letztes Opfer trifft er auf dem Friedhof am Grab ihrer Mutter. Nach langem Werben findet sie aus der Trauer wieder zurück ins Leben. Da „überließ er sie allen Qualen der Scham und Verzweiflung“. Sie stürzt sich daraufhin aus dem Fenster. Als der Mann die aufgebahrte Tote aufsucht und ihr Gesicht von „kristallener Reinheit“ erblickt, erkennt er jäh, was er mit seinem Verhalten angerichtet hat, und begeht Selbstmord. Die unglückliche, unerlöste Liebe sei ein wiederkehrendes Motiv von Dauthendey, sagte Bischof Jung. Die meist jungen Frauen befänden sich in „existentiellen Ausnahmesituationen“ und würden so zur leichten Beute. Eine Zuhörerin verglich den Täter aus der Novelle mit einem Don Juan, der Bischof nannte ihn einen „Serientäter“. Auch das Motiv der Beschämung sei „ein großes Thema in Gesellschaft und Kirche“, sagte Bischof Jung. Zu Beginn der Lesung gab Galina Bauer, Redakteurin des Würzburger katholischen Sonntagsblatts, eine kurze Einführung in das Leben und die Zeit Dauthendeys. 1854 in Sankt Petersburg in eine wohlhabende und gebildete Familie geboren, verlor sie früh ihre Mutter wie auch die Stiefmutter. Sie wurde Lehrerin und setzte sich früh für Frauenrechte ein. Das 19. Jahrhundert sei eine spannende Zeit mit vielen Umbrüchen gewesen, wie etwa der Frauenbewegung, der Industrialisierung und der wachsenden Mobilität durch die Eisenbahn.
(2623/0717; E-Mail voraus)
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