Hinweis

Ihre Browserversion wird leider nicht mehr unterstüzt. Dies kann dazu führen, dass Webseiten nicht mehr fehlerfrei dargestellt werden und stellt ein erhebliches Sicherheitsrisiko dar. Wir empfehlen Ihnen, Ihren Browser zu aktualisieren oder einen der folgenden Browser zu verwenden:

Dokumentation

„Bleibende Nähe in bleibender Distanz“

Predigt von Bischof Dr. Franz Jung am Ostersonntag, 12. April 2020, im Kiliansdom

Das Thema von „Nähe und Distanz“ ist unser diesjähriger Leitfaden durch die österlichen Gottesdienste. Am Gründonnerstag wurde die Frage verhandelt, wie nahe Jesus den Jüngern kommen darf in der Fußwaschung und wie nahe die Jünger Jesus an sich heranlassen. Am Karfreitag zeigte sich in erschreckender Weise, wie sich Distanzlosigkeit zu grenzverletzendem Verhalten mit Todesfolge weiterentwickelt und zu große Nähe zu tödlicher Nähe wird. Im heutigen Osterevangelium steht nun die Begegnung des auferstandenen Jesus mit Maria von Magdala im Mittelpunkt des Interesses. Und wieder dreht sich alles um das Thema von Nähe und Distanz. Schauen wir uns diese dramatische Begegnung im Einzelnen an.

Der Tod als größtmögliche Distanz geht Maria zum Weinen nahe

Während Petrus und Johannes am Ostermorgen nach dem Besuch des leeren Grabes wieder gehen, bleibt Maria von Magdala am Grab und weint. Sie kann nicht einfach weggehen wie die beiden Jünger. Sie sucht die Nähe zu Jesus. Die Tränen der Maria von Magdala zeigen, dass sie im Herzen ergriffen ist und dass ihr der Tod Jesu wirklich nahegeht. Das, was ihr nahegeht, ist aber die Erfahrung größtmöglicher Distanz überhaupt, die Erfahrung des Todes eines lieben Menschen. Denn Tod bedeutet endgültige Trennung.

Trost suchen durch Nähe, Trauer braucht einen Ort

Die weinende Maria von Magdala sucht Trost durch die Nähe zum Grab. Jedem, der ihr begegnet, stellt sie die gleiche herzerschütternde Frage nach dem Verbleib des Leichnams Jesu. „Sie haben meinen Herrn weggenommen und ich weiß nicht, wohin sie ihn gelegt haben.“ Verzweiflung spricht aus ihren Worten. Denn wir wissen: Trauer braucht einen Ort. Nichts ist schlimmer für Menschen, als einen lieben Angehörigen zu verlieren, und nicht zu wissen, wohin man mit seiner Trauer soll. Die Distanz des Todes wird verschärft dadurch, dass der Tote nicht mehr aufzufinden ist.

Wir kennen das nach schlimmen Unfällen, wenn Leichen nicht geborgen werden können. Die Kriegswitwen können es bezeugen, wenn die Männer in fernen Ländern gefallen sind. Jetzt, 75 Jahre nach der Bombardierung Würzburgs, wissen die Angehörigen noch immer von dem Schmerz zu berichten, dass man die Familienmitglieder einfach nicht mehr auffinden konnte, zerfetzt von den Bomben. Eine Todesnachricht gibt traurige Gewissheit. Die Vermisstenanzeige hingegen wird zum Trauma. Trauer, die keinen Ort hat, läuft ins Leere. Die Distanz des Todes wird noch einmal schlimmer durch die Distanz vom Toten.

Der auferstandene Herr ist nahe und wird doch nicht erkannt

Ostern heißt: Der auferstandene Herr ist nahe. Maria ist aber so in ihrer Trauer versunken, dass sie vor lauter Tränen Jesus nicht erkennen kann, der direkt vor ihr steht. Das kann man gut nachvollziehen. Sie sucht einen Jesus, den es nicht mehr gibt. Sie hat ein Bild von der Wirklichkeit, das sie gerne bestätigt wissen möchte, aber niemand gibt ihr die Bestätigung. Noch immer hofft sie, dass alles ein böser Traum ist und meint, alles könne wieder so werden wie früher. Aber es wird nie mehr so, wie es früher einmal war.

Trauer braucht Zeit, um die Distanz des Todes zu vermessen

Ein Blick auf die Phasen eines Trauerprozesses zeigt, dass die Endgültigkeit der Trennung im Moment des Todes oft noch gar nicht erfasst werden kann. Es braucht viel Zeit, bis wir überhaupt erst verstehen, was passiert ist. Verstehen heißt dann aber immer noch nicht, auch wirklich begreifen. Und Begreifen heißt noch lange nicht, auch zu akzeptieren, dass es so ist. Und akzeptieren wiederum heißt noch nicht, dass man in der Lage oder willens ist, eine neue Perspektive für sich zu entwickeln. Es ist ein langer Weg, bis einem klar wird, dass der Tod unumkehrbar ist. Die Zeit der Trauer dient dazu, diese Distanz zu vermessen, wenn man so sagen darf.

Der Auferstandene ruft Maria beim Namen und sie wendet sich dem Leben neu zu

Die Distanz zum Leben überbrücken zu können, ist eine Gnade. Das kann man nicht machen, nicht durch willentliche Anstrengung erreichen, nicht erzwingen. Im Evangelium ist es Jesus selbst, der auferstandene Herr, der Maria bei ihrem Namen ruft. Aus ihrer Trauer ruft er sie ins Leben zurück. In dem Moment, in dem sie dem Ruf folgt und sich umdreht zu Jesus, erfährt ihr Leben eine Wende. Aus ihren Erinnerungsbildern wird sie zu Jesus und zu sich selbst gerufen. Sie wacht auf wie aus dem bösen Traum.

Der Klammerreflex

Voller Freude erkennt sie Jesus, den sie ehrfurchtsvoll als „Meister“ anspricht. Jetzt ist er wieder nahe. Jetzt hat ihr Leben wieder eine Perspektive. Was sie in ihrer Trauer tat, wiederholt sich jetzt. Hatte sie sich zuvor an die Vergangenheit geklammert, so klammert sie sich jetzt an den auferstandenen Herrn. Sie will ihn nicht noch einmal verlieren. Sie will Jesus festhalten und sie will sich an Jesus festhalten. Aber der Herr erlaubt es nicht. „Halte mich nicht fest!“

Den Auferstandenen hat man nur, indem man ihn loslässt

So wie ich keinen Menschen endgültig festhalten kann, so lässt sich auch nicht der Auferstandene festhalten. Leben braucht Entwicklung. Und Entwicklung braucht Freiheit. Maria von Magdala hat Jesus nur, indem sie ihn loslässt. Und wenn sie lernt und begreift, dass niemand ihr den auferstandenen Herrn wegnehmen kann und wegnehmen wird. Wenn er verloren geht, dann liegt es an ihr. Dann ist sie es, die Bildern nachjagt oder Vorstellungen von ihm pflegt, die sich überlebt haben und die es nicht mehr gibt. Aber der auferstandene Herr bleibt bei uns. An uns liegt es, ihn immer neu zu suchen, wenn er uns beim Namen ruft. Er geht uns voraus ins Leben.

Bleibende Nähe in bleibender Distanz

Das Geheimnis der Auferstehung lässt sich am ehesten beschreiben in dem Paradox von bleibender Nähe in bleibender Distanz. Der auferstandene Herr ist seiner Kirche immer nahe, aber wir können ihn nicht festhalten und bannen. Wie Maria von Magdala offenbart er uns seine Gegenwart und möchte, dass wir anderen von der Kraft seiner trostreichen Auferstehung künden. Denn die österliche Hoffnung kennt keinen Stillstand. In ihr zieht uns Gott immer neu an sich, damit wir nicht stehen bleiben auf unserem Weg, sondern im Glauben weiter voranschreiten.

Sakramente als Zusage bleibender Nähe in bleibender Distanz

So sind auch die Sakramente der Kirche immer beides: Zusage bleibender Nähe in bleibender Distanz. In den sichtbaren Zeichen offenbart sich der Herr seiner Kirche. Aber er geht in diesen Zeichen nicht auf. Denn Gott ist immer größer als alles, was wir uns vorstellen und wir uns denken. Das ist das Glück, aber auch die Herausforderung von Ostern.

Mit Christus sterben wir immer wieder neu kraft unserer Taufe auf seinen Tod. Aber mit ihm dürfen wir auch immer wieder neu auferstehen zum ewigen Leben. So sind die Sakramente der Kirche die Orte, um ganz beim Herrn zu sein, in unserem Schmerz wie auch in unserer Freude. Denn unser Weg führt vom Tod zum Leben.

Ostern in Zeiten von Corona

Ich wünsche Ihnen in diesen schweren Tagen, dass sie mit Maria von Magdala den Ruf des Herrn zum Leben hören und sich Jesus zuwenden. Die Trauer der Menschen hat in diesen Tagen ein vielfältiges Gesicht.

  • Die einen betrauern liebe Angehörige.

  • Die anderen fragen sich, wie es beruflich weitergehen soll.

  • Wieder andere spüren, dass sie die Schwerpunkte in ihrem Leben neu setzen müssen.

  • Wieder andere haben lernen müssen, dass ihr Miteinander und ihre Beziehung ein neues Fundament braucht.

Die Tage der Coronakrise können so etwas sein wie große geistliche Übungen für Ostern.

Unser persönliches Ostern erleben

Immer geht es darum, versöhnt Abschied nehmen zu können. Nicht an den Gräbern zu bleiben, sondern zu lernen, Bisheriges loszulassen, um neu ins Leben zurückzufinden. Das braucht Zeit. Aber uns begleitet die Gewissheit, dass der Herr uns zum Greifen nahe ist, gerade in Zeiten der Krise. Wir können ihn nicht festhalten. Zum Glück. Denn er will uns hinausführen aus dem Tal der Tränen ins Land der Verheißung neuen Lebens. So wünsche ich uns allen von Herzen, dass jeder sein persönliches Ostern erfahren darf. Dazu müssen wir uns nur umwenden, wenn der Herr uns beim Namen ruft. Der auferstandene Herr, der immer nahe ist. Ja, Christus ist auferstanden. Halleluja!