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Blick auf die liturgische Praxis

Theologen präsentieren Forschungsprojekt „Liturgische Akteure: Normen und ihre gottesdienstliche Praxis“ – Rund 600 Fragebögen ausgewertet

Würzburg (POW) Rund jeder zweite Zelebrant weicht von den kirchlichen Vorgaben zur Feier der Liturgie ab. Das ist eines der Ergebnisse des Projekts „Liturgische Akteure: Normen und gottesdienstliche Praxis“ der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Würzburg. Drei Jahre lang erforschte ein Team unter der Leitung von Liturgiewissenschaftler Professor Dr. Martin Stuflesser und Religionspädagoge Professor Dr. Dr. Hans-Georg Ziebertz, wie hauptamtliche Mitarbeiter die gottesdienstlichen Feiern gestalten und weshalb sie gegebenenfalls von den liturgischen Büchern abweichen. „Es gibt eine offensichtliche Diskrepanz zwischen dem, was die Liturgiebücher vorgeben, und der Realität“, stellten Stuflesser und Projektmitarbeiter Tobias Weyler bei einem Pressegespräch am Samstag, 8. Dezember, im Würzburger Burkardushaus fest. Sie betonten aber auch: „Diese Normabweichungen geschehen in der Regel gerade nicht unreflektiert und beliebig, sondern, im Gegenteil, sehr bewusst und aus eigenem Antrieb.“

Ziel der Studie sei es gewesen, „sachlich, objektiv und ohne moralische Wertung“ zu erforschen, wie Gottesdienst konkret gefeiert wird und weshalb er so gefeiert wird, wie er gefeiert wird. Dazu wurden zunächst rund 600 Fragebögen ausgewertet sowie zusätzlich 50 Interviews geführt. Die Befragten – Priester, Diakone sowie Pastoral- und Gemeindereferenten – kamen aus den Bistümern Würzburg, Mainz, Essen und Erfurt. Es sei nicht darum gegangen, von der Liturgie abweichendes Verhalten zu denunzieren, betonte Stuflesser: „Wir sind nicht die Liturgie-Stasi.“

In der Auswertung zeigte sich, dass Priester mehr zu normgerechtem Verhalten tendieren als Laien, Jüngere sich eher an den Normen orientieren als Ältere. Diakone, vor allem jene mit Zivilberuf, würden am wenigsten dazu neigen, von den Normen abzuweichen. Eine Auswahl an Antworten zeigte die Bandbreite. So vertrat ein Priester die Auffassung: „Dem lieben Gott ist egal, wie wir den Gottesdienst feiern.“ Dagegen stellten die Normen für eine Pastoralreferentin eine „lange Tradition“ dar, in die „viel Weisheit und viel Heiliger Geist“ hineingeflossen seien. Ein Diakon berichtete von einer Beerdigung, bei der viele weltliche Lieder gewünscht waren: „Wenn das für euch so ist, ist auch okay.“ Den Wert eines geordneten liturgischen Ablaufs betonte dagegen eine Gemeindereferentin. „Indem ich weiß, was da passiert, indem ich weiß, was gesagt wird, indem es immer derselbe Ablauf ist, hat der liebe Gott schon große Chancen, jeden einzeln anzusprechen, wenn derjenige es auch will.“

Die Forscher fanden unterschiedliche Motive für das Abweichen von der Norm. So würden beispielsweise Normen nicht als bindend wahrgenommen, die zugrundeliegenden theologischen Prinzipien seien aber zugleich oft nicht klar. Auch hätten die Vorsteher der Liturgie unterschiedliche Vorstellungen von ihrer Rolle. Die Interpretation des Postulats der „tätigen Teilnahme“ reiche von möglichst viel körperlicher Betätigung bis hin zur Förderung des inneren Mitvollzugs. Ein weiteres Motiv für Abweichungen war der Wunsch, die Liturgie an die Bedürfnisse einer konkreten Gottesdienstgemeinde anzupassen. Nicht zuletzt spielten die Prägungen und Erfahrungen aus der eigenen Kindheit und Jugend eine wichtige Rolle. So beklagte sich im Interview ein Priester darüber, dass in seiner Jugend immer das gleiche Kyrie gesungen wurde: „Ich habe es nicht mehr hören können. (…) Wo ich mir gesagt habe, so mache ich es nicht.“

Es sei spannend zu beobachten, wie Normen sich wandeln, stellte Stuflesser fest. „Wir haben einen Papst, der sich über Normen sehr kreativ hinwegsetzt. Wenn er beispielsweise Flüchtlingen die Füße wäscht, macht das auch der Diözesanbischof.“ Die Aufgabe der Wissenschaft sei es, herauszufinden, wo Handlungsbedarf bestehe. Auch müsse man die Verantwortlichen fit machen, um mit den vorhandenen Auswahlmöglichkeiten umgehen zu können. Mit Blick auf die Vorsteher von Gottesdiensten forderte Stuflesser unter anderem liturgische Fortbildung, ein liturgisches Qualitätsmanagement und sogenannte „Regelkreisläufe“, um Rückmeldungen aus der Gemeinde einzuholen.

Im Bistum Essen geschehe letzteres in einem Pilotprojekt, berichtete Domkapitular Monsignore Dr. Michael Dörnemann, Leiter des Dezernats Pastoral im Bistum Essen. Dabei werden Rückmeldungen der Gemeinden zu den gottesdienstlichen Formen gesammelt, auch zu Fragen wie Musik oder Raumgestaltung. Professor Dr. Jürgen Bärsch, Liturgiewissenschaftler an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, berichtete von Gesprächen mit Studenten über den Sinn von liturgischen Normen, wie man sie einhalten, aber auch wie weit man davon abweichen könne. „Das deutlich zu machen, ist ein Aspekt, der in der Studie sichtbar wird.“ Für Professor Dr. Winfried Haunerland, Leiter des Lehrstuhls für Liturgiewissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München, spielte auch das Normenverständnis der Gläubigen eine wichtige Rolle. „Ich möchte erst einmal wissen: Welche inneren Normen haben die Leute?“ Domkapitular Professor Dr. Franz-Rudolf Weinert (Bistum Mainz) veranschaulichte den Umgang mit liturgischen Normen mit einem Bild: „Die Partitur ist vorgegeben. Aber wie sie aufgeführt wird, liegt in der Rolle des Dirigenten. Ich bewege mich in der Bandbreite der Vorgegebenheit. Wichtig ist, dass ich die eigene liturgische Kreativität einbringe.“

Für Stuflesser und Weyler hat die Forschung zu diesem Thema erst begonnen. „Wie können Normen entwickelt werden für eine Feier, die emotional ansprechend ist? Wie können Event und Gottesbegegnung zusammengreifen?“, war eine der Fragen, die sich für Weyler aus der Studie ergaben. Stuflesser plant eine Fortsetzung, diesmal aber mit den Gläubigen: „Jetzt möchte ich wissen, was das Volk Gottes denkt. Warum kommen zehn Prozent zum Gottesdienst und 90 Prozent nicht?“

sti (POW)

(5118/1322; E-Mail voraus)

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