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Blind durch den Tag – ein Selbstversuch

„Café Blind Date“ im Kilianeum-Haus der Jugend macht Blindsein erfahrbar – Austausch mit Sehbehinderten und Blinden möglich

Würzburg (POW) Mit einem dumpfen Knall schließt sich die Tür hinter mir und verwehrt auch dem letzten Lichtstrahl das Durchkommen. Dunkelheit umhüllt mich, hilfesuchend taste ich nach meinem Vordermann und vergewissere mich seiner Anwesenheit. Aufgeregtes Getuschel und verunsichertes Gelächter hinter mir. „So fühlt es sich also an“, schießt es mir durch den Kopf. Ich folge, meine rechte Hand auf der Schulter meines Vordermanns liegend, einer Gruppe mit rund einem Dutzend Schülern der Klara-Oppenheimer-Schule weiter hinein in die Dunkelheit.

Der Jugendtreff „Café Dom@in“ im Erdgeschoss des Kilianeums-Haus der Jugend in Würzburg ist eine Woche lang ein Dunkelcafé. Schulklassen, kleine Gruppen oder Einzelpersonen können sich dort nach Anmeldung mit sehbehinderten und blinden Menschen austauschen und für eine kurze Zeit in deren Lebenswelt eintauchen. Die Projektwoche wird getragen vom Diözesanverband der Deutschen Pfadfinderschaft Sankt Georg (DPSG) und dem Jugendtreff „Café Dom@in“. Der Bezirksjugendring Unterfranken und der Bayerische Blinden- und Sehbehindertenbund fördern das Projekt.

Manfred Kammer, seit sechs Jahren ehrenamtlicher Helfer im „Café Blind Date“, führt meine Gruppe zum Tisch im Dunkelcafé. Er ist von Geburt an sehbehindert, hat nur noch ein Sehvermögen von rund drei Prozent. Im Café ist der Teppich die einzige Orientierungsmöglichkeit. „Im Boden sind kleine Erhöhungen, die die Tische markieren“, erklärt Kammer, als er Getränke an den Tisch bringt. Die Dunkelheit ist erdrückend, instinktiv beuge ich mich über den Tisch. Kammer setzt sich neben mich. Ich versuche währenddessen, mich im Raum zu orientieren. Die Stimmen hallen ein wenig, vielleicht hat das Café hohe Decken?

Die Fenster des Jugendtreffs wurden im Vorhinein mit dicken Holzplatten und schwarzen Laken abgedunkelt, sodass kein Licht durchscheint. Bei Tageslicht hingegen könne Kammer Einiges wahrnehmen: „Licht, Schatten, Umrisse von Gegenständen. Das kann ich schon erkennen. Das ist auch hilfreich für die Orientierung, wenn man beispielsweise erkennt, wo die Fenster in einem Raum sind.“ Kammer hat eine Ausbildung als Masseur und medizinischer Bademeister gemacht, arbeitet heute als Klavierstimmer. Da ich meinen Gesprächspartner nicht sehen kann, höre ich besser zu, lausche auch Gesprächen an anderen Tischen. Lautes Gelächter lässt mich aufschrecken. Ich frage Kammer nach seinen Hilfsmitteln im alltäglichen Leben. Er habe ein iPhone und benutze „Voice Over“. Das Programm bietet eine auf Gesten basierende Bildschirmlesefunktion. Streicht man über das Display oder tippt darauf, sagt das Programm, was sich auf dem Bildschirm befindet. „Auf diese Weise nutze ich auch eine Koch-App. Die funktioniert ganz gut mit Voice Over. Ich kann dann im Rezept vor- und zurückspulen und der Text wird mir vorgelesen“, erklärt Kammer.

Andrea Schmitt und Irmgard Guttenthaler-Güthlein arbeiten ebenfalls im „Café Blind Date“. Guttenthaler-Güthlein ist von Geburt an vollblind. In einer Privatpraxis arbeitete sie halbtags als Masseurin, bis sie ihr erstes Kind bekam. Auch ihr Mann ist stark sehbehindert. Als das Kind zur Welt kam, war ihre größte Sorge: „Wie stelle ich fest, dass meinem Kind etwas fehlt?“ Andrea Schmitt hat noch fünf Prozent Sehvermögen. Sie ist nicht wie Kammer und Guttenthaler-Güthlein auf eine Blindenschule gegangen. „Ich bin in der sehenden Welt groß geworden“, erzählt Schmitt. Es sei nicht immer eine leichte Zeit gewesen. „Allerdings bin ich dadurch sicher mobil geworden, einfach weil ich es sein musste. Und das hat mich gestärkt“, erklärt sie selbstbewusst. „Mich freut insbesondere, dass ich hier im Kilianeum wieder mit Kindern arbeiten kann“, sagt Schmitt lachend. Im„Café Blind Date“ können die Mitarbeiter ihre Erfahrungen mit Außenstehenden teilen und die Lebenswelt eines Sehbehinderten oder Blinden erfahrbar machen.

Im Selbstversuch bekomme auch ich einen Eindruck davon, wie es ist, sich sehbehindert oder blind in der Umwelt zurechtfinden zu müssen. Unter der Anleitung des Sozialpädagogen Klaus Schätzlein aus dem „Café Dom@in" taste ich mich mit einem Blindenstock als verlängertem Zeigefinger und einer blickdichten Brille durch die Gänge des Kilianeums. „Was an Begrifflichkeit und Vorstellungsvermögen bei einem Blinden angelegt ist, ist das Ertastbare“, erklärt Schätzlein. Gerüche und Geräusche nehme ich bewusster wahr. Fällt die Tür ins Schloss, kann ich mich besser orientieren, kann einschätzen, wie viel Meter ich noch entfernt bin vom Ausgang.  Doch das Zeitgefühl geht verloren, da ich Veränderungen in der Umwelt nicht mehr sehen kann. Vergehen die im „Café Blind Date“ verbrachten rund 40 Minuten rasend schnell, so habe ich unterwegs mit dem Blindenstock Probleme, einzuschätzen, wie viel Zeit vergangen ist, seitdem ich mich auf den Weg zum anderen Ende des Flurs gemacht habe – spannende und intensive Eindrücke, die bleiben.

Das „Café Blind Date“ im Kilianeum-Haus der Jugend ist noch bis einschließlich Samstag, 29. Oktober, für die Öffentlichkeit zugänglich. Ihren Abschluss findet die Projektwoche am Samstagabend mit einem „Konzert im Dunkeln“, bei dem unter anderem auch Manfred Kammer in Begleitung von Heiner Filsner auftreten wird.

Nähere Informationen und Anmeldung bei: Kilianeum-Haus der Jugend, Ottostraße 1, 97070 Würzburg, Telefon 0931/38663151, E-Mail dpsg@bistum-wuerzburg.de, Internet www.cafe-blind-date.de.

Bernadette Weimer (POW)

(4416/1179; E-Mail voraus)

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