Christusbegegnungen der ersten Apostel
Ein neues Leben begann für Andreas und Johannes, als sie der Einladung Jesu: „Kommt und seht!“ folgten. Sie gingen mit ihm. Sie „sahen wo er wohnte, und blieben jenen Tag bei ihm“ (Joh 1,39). Sie wurden in eine geistliche Bewegung hineingenommen, die sie immer wieder reich beschenkte. Sie wuchsen in eine geistliche Gemeinschaft hinein, die bis ans Ende des Lebens dauerte, ja, darüber hinaus ging; sie dauert immer noch an, sie wird in Ewigkeit bleiben. Andreas war davon so begeistert, dass er sogleich seinem Bruder Petrus sagte: „Wir haben den Messias gefunden“ (Joh 1,41), den Retter, auf den alle warten, den Gottgesandten, der uns befreien soll. „Er führte ihn zu Jesus“, berichtet der Evangelist (Joh 1,42). So geschah es. Die gerade entstandene geistliche Bewegung setzte sich fort; die eben gegründete geistliche Gemeinschaft wuchs: Petrus kam hinzu, dann Philippus, dann Bartholomäus. Die ganze Welt ist durch diese Bewegung, durch diese Gemeinschaft neu geworden. Das Heil, das die ersten Apostel in der Begegnung mit Christus empfangen haben, wurde seither ungezählten Menschen zuteil.
In diesem Licht sollten wir das Wirken der Frankenapostel sehen und zugleich unser eigenes Leben.
Christusbegegnungen Kilians
Wenn wir den Lebenslauf Kilians betrachten, wie er sich in den beiden ältesten Berichten widerspiegelt, dann fallen uns zwei Christusbegegnungen ins Auge. Sie kennzeichnen sein ganzes Leben und Sterben; sie haben auch uns Wichtiges zu sagen. Die erste Begegnung steht am Anfang seines missionarischen Wirkens, die zweite ereignet sich an dessen Ende, kurz vor dem Martyrium.
Von der ersten Begegnung erfahren wir im ältesten Dokument : Eines Tages, als Kilian in der Bibel liest, hört er im Evangelium die Stimme des Herrn. Sie sagt ihm: „Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach“ (Mk 8,34). Kilian erkennt, dass der Herr selber sich ganz persönlich an ihn wendet. Der Chronist hält fest, dass er „ganz und gar im Herzen und im Geist davon ergriffen“ wird und die Worte des Herrn näher bedenkt. Da wird ihm klar: Jetzt ist meine Entscheidung gefragt, mein Ja zum Herrn, der für mich am Kreuz gestorben ist, meine Bereitschaft, ihm auf dem Kreuzweg nachzufolgen. Zugleich drängt es Kilian, anderen mitzuteilen, was ihm geschenkt wurde. Wörtlich heißt es: „Er sammelte seine Gefährten und Schüler um sich ... und begann sie zu überzeugen, ... gemäß dem Evangelium des Herrn Vaterland und Eltern zu verlassen und ohne alles Christus nachzufolgen.“ Eine neue geistliche Gemeinschaft entsteht. Der Herr selber steht an ihrem Anfang. Er beruft Kilian und seine Gefährten. Er sendet sie. Er spricht und wirkt durch sie.
Er steht ihnen auch zur Seite, als ihr Leben bedroht ist. Das erfährt Kilian in einer weiteren Christusbegegnung. Sie ereignet sich nachts. Unerwartet sieht er sich dem Herrn selber gegenüber. Er hört ihn sagen: „Freund Kilian, steh auf ...: nur einen Kampf wirst du noch zu bestehen haben und dann wirst du als Sieger allzeit bei mir sein.“ Ein neuer Aufbruch ist fällig. Als junger Mann war er von seiner Heimat weg in ein ihm unbekanntes Land aufgebrochen; jetzt sollte es mitten aus seinem Missionsgebiet heraus in ein noch unbekannteres Land gehen: in das Reich des Himmels. Noch einmal ist ein tapferer, kämpferischer Einsatz gefordert. Dann beginnt das ganz Neue, das kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat. Der Herr verheißt ihm die ewige Gemeinschaft in ewigem Glück: Allzeit soll er als Sieger bei ihm sein. Wiederum bewegt Kilian zutiefst, was er in der Christusbegegnung erfährt. Wiederum teilt er es denen mit, die ihm nahe stehen; wiederum ist er bereit, Christus zu folgen. Er sagt seinen Gefährten: „Lasst uns wachen, bald schon wird der Herr bei uns sein und an die Pforte klopfen ... Tun wir Öl in unsere Lampen, solange es noch Zeit ist.“ So bereitet der Herr sie auf ihr Martyrium vor, so bahnt er ihnen den Weg in den Himmel.
Was haben uns die beiden Christusbegegnungen Kilians zu sagen? Zunächst einmal werfen sie die Frage auf: „Wie steht es mit meiner Christusbegegnung?“ Diese Frage mag überraschen. Manch einer wird meinen: „So etwas gibt es doch nur bei einigen wenigen Auserwählten. Zu denen zähle ich mich nicht.“ Dem sei gesagt: „Deine Bescheidenheit in allen Ehren. Aber es kommt nicht darauf an, ob du dich zu denen zählst, denen eine Christusbegegnung zugedacht ist; entscheidend ist, dass der Herr dich zu ihnen zählt; und er tut es. Er liebt jeden Menschen. Er will jedem nah sein. Er wirbt geradezu um jeden. Er will mit jedem für immer verbunden sein. Wir alle dürfen, ja sollen ihm immer wieder begegnen.“
Christusbegegnungen in unserem Leben
Wie geschieht das? Das ist zunächst ein Geheimnis des Herrn; das hängt von seiner persönlichen Zuwendung ab. Mit jedem Menschen hat er etwas Besonderes vor. Jedem will er auf ganz persönliche Weise helfen. Unsererseits verdienen drei Weisen seiner Begegnung besondere Beachtung.
Begegnung im Wort
Die erste entspricht jener, die Kilian erlebt hat. Auch uns will Christus durch sein Wort ansprechen. Es ist von einzigartiger Qualität. Wenn wir etwas lesen, dann freut es uns, wenn wir zustimmen können, wenn wir den Eindruck haben: Ja, so ist es. Größer noch ist die Freude, wenn uns einer schreibt, der uns persönlich kennt, der speziell auf unsere Lage eingehen will. Genau das zeichnet das Wort des Herrn aus. Es ist das persönlichste Wort, das es in dieser Welt gibt. Es ist in persönlicher Zuwendung in unsere Situation hineingesprochen. Überdies ist es ein Wort, durch das wir nicht nur irgendetwas erkennen sollen; der Herr will nicht nur etwas mitteilen, er will sich selbst mitteilen. An uns ist es, dass wir uns darauf bereiten, dass wir ganz Ohr sind, wenn uns das Wort Gottes verkündet wird; dass wir hellwach sind, wenn wir es lesen. Überaus wichtig ist, dass wir „die Wahrheit tun“ (Joh 3,21). Dann kann uns Schritt um Schritt klar werden, was uns zunächst unverständlich erscheint. Dann kann das Wort des Herrn auf fruchtbaren Boden fallen und reiche Frucht bringen.
Begegnung im Sakrament
Die schöpferische Liebe des Herrn hat eine weitere Möglichkeit erdacht, uns zu begegnen: Sie schenkt uns die Sakramente, wirksame Zeichen der göttlichen Liebe. In jedem Sakrament will Christus uns nicht aus der Distanz eine gewisse Hilfe schenken; er will uns aus nächster Nähe begegnen. Am intensivsten geschieht das im Sakrament des Altares. Da ist der Herr in unserer Mitte. Er ist da als der Erlöser, der für alle sein Leben hingibt. Er will jedem Mitfeierndem auf die persönlichste Weise begegnen, ja, er will sich mit allen, die sich darauf bereitet haben, in der heiligen Kommunion so innig verbinden, wie das sonst zwischen Menschen nicht möglich ist, selbst wenn sie sich noch so sehr lieben.
Eine besondere Weise der Christusbegegnung ist uns im Bußsakrament zugedacht. Gerade die Beichte kann uns bewusst machen, dass das Herz des Herrn „offen für alle“ ist, dass er besonders den Sündern helfen will, dass er dem verlorenen Schaf nachgeht, um es auf seinen Schultern heimzuholen. Wie viel könnte anders sein in unserer Welt, wenn die Christen die heilige Beichte mehr schätzen würden als es heutzutage geschieht. Wie viele Chancen der Christusbegegnung werden vertan, weil man nicht mehr in Demut und Reue zu beichten weiß!
Vergessen wir desweitern nicht, dass auch das Ehesakrament ein Weg zur Christusbegegnung ist. Selbst viele Christen wissen das nicht mehr. Kein Wunder, dass so viele Ehen scheitern. Die Frankenapostel haben ihren Einsatz für die Heiligkeit der Ehe mit ihrem Leben bezahlt. Es ist von höchster Aktualität, wenn uns die Kiliansepistel mahnt: „Die Ehe soll von allen in Ehren gehalten werden“ (Hebr 13,4). Gerade im Blick auf die Ehe und Familie gilt es, „Gott so zu dienen, wie es ihm gefällt, in ehrfürchtiger Scheu; denn unser Gott ist verzehrendes Feuer“ (Hebr 12,28f.).
Begegnung in der Gemeinschaft
Diese Worte der Kiliansepistel gelten für alle Bereiche unseres Lebens. Allen Gemeinschaften gegenüber ist „ehrfürchtige Scheu“ angebracht, denn in allen will Christus uns begegnen. Er hat uns verheißen: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“ (Mt 18,20). Wir finden ihn besonders sicher, sozusagen unter Garantie, bei den Armen und Kranken. Mit ihnen identifiziert er sich in aller Form. Eindeutig erklärt er: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (Mt 25,40). Auch die Festepistel weist auf Notleidende hin und auf die Hilfe, die wir ihnen schulden. Sie spricht von Fremden, von Gefangenen, von Misshandelten; in ihnen will Christus uns begegnen: in ihnen schaut er uns an, in ihnen streckt er uns seine Hände entgegen, in ihnen will er allen nahe sein. Es mag sein, dass sich jemand mit Wort und Sakrament schwer tut; aus irgendwelchen Gründen findet er den Zugang dazu nicht. Auch ihm gilt die Verheißung Gottes: „Ich lasse dich nicht fallen und verlasse dich nicht“ (Hebr 13,5). Ihm naht er sich im Hilfsbedürftigen, und keiner kann sagen: „Ich begegne niemand, der Hilfe braucht.“ Jedem gibt der Herr immer wieder die Chance der Begegnung. Jedem Menschen verheißt er: „Selig die Barmherzigen; denn sie werden Erbarmen finden“ (Mt 5,7).
Ewige Christusgemeinschaft
Alle Christusbegegnungen, die uns geschenkt werden, zielen auf ein bleibendes Beisammensein. Der Herr will es nicht bei einer flüchtigen Hilfe belassen, er will uns immerzu helfen; er will für immer Anteil an seiner Liebe und so an seiner Seligkeit schenken. Was Kilian in seiner Christusbegegnung vor dem Martyrium erfährt, ist für uns alle bedeutsam. In der Verheißung, dass er als Sieger allzeit beim Herrn sein soll, klingen die Worte an, die im letzten Buch der Bibel allen, also auch uns, zugesprochen werden: „Wer siegt, der darf mit mir auf meinem Thron sitzen, so wie auch ich gesiegt habe und mich mit meinem Vater auf seinen Thron gesetzt habe“(Offb 3,21). Was Kilian nach seiner letzten Christusbegegnung seinen Gefährten sagt, betrifft wiederum uns alle. Sein Appell heißt: „Lasst uns wachen; bald schon wird der Herr bei uns sein und an die Pforte klopfen.“ Das erinnert uns an die biblischen Worte: „Ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wer meine Stimme hört und die Tür öffnet, bei dem werde ich eintreten, und wir werden Mahl halten, ich mit ihm und er mit mir“ (Offb 3,20).
Kilian und seine Gefährten erleben die Erfüllung dieser Worte in der ewigen Seligkeit. Mögen sie uns helfen, dass auch wir das erfahren, wann immer es dem Herrn gefällt. Der Himmel Gottes ist „offen für alle“. Mögen die Frankenapostel uns die Gnade erflehen, dass wir dem Ruf des Herrn: „Kommt und seht!“ folgen; er ruft uns mitten hinein in die Seligkeit seiner Liebe. Amen.
(2806/1019)