Bischof Schlembach ist tot. Man stirbt so, wie man lebt, sagt der Volksmund. Das gilt wohl auch für die Person von Anton Schlembach. Er war ein gerader Mann. Klar in seinen Ansichten und fest in seinen Beschlüssen. Als er ahnte, dass es mit ihm zu Ende geht und die vielfältigen Vorboten des Todes immer häufigere Krankenhausaufenthalte erzwangen, war für ihn entschieden, dass lebensverlängernde Maßnahmen keine Option seien. So lehnte er konsequent den Herzschrittmacher ab und verweigerte ebenso konsequent die Dialyse, nachdem das zusehende Versagen der Nieren diagnostiziert worden war.
Bei meinem letzten Besuch in Speyer Anfang Juni machte er aus der Sachlage keinen Hehl. Aber er tat es ohne jede Verbitterung. Es war fast eine heitere Gelassenheit zu spüren, die Gelassenheit eines Menschen, der seinen Frieden mit Gott und der Welt gemacht hat und der nun gefasst der Hoffnung entgegengeht, die uns Christen erfüllt, den letzten Weg vom Glauben zum Schauen. Beeindruckt fuhr ich nach Würzburg zurück, zugleich aufgewühlt von diesem Besuch, der der letzte gewesen sein sollte, wo er doch noch so einen vitalen Eindruck machte und die Augen blitzten bei den Erinnerungen an seine geliebte fränkische Heimat. Zugleich bewunderte ich die Fassung, die er ausstrahlte und die signalisierte, dass hier ein tief im Glauben verwurzelter Mensch und Priester in vollem Bewusstsein seine letzte Reise antritt.
Bischof Anton war klar und hatte für sich vieles klar. Dazu gehörte seine tiefe Liebe zur Kirche und die Treue zum Heiligen Vater, beides Ausdruck seiner kirchlichen Prägung, die er in seinen römischen Jahren im Collegium Germanicum erhalten hatte. So war er unter den ersten Bischöfen, die in der Auseinandersetzung um die Schwangerenkonfliktberatung ihren Ausstieg erklärten im Gehorsam Rom gegenüber. Zugleich aber intensivierte er die kirchliche Beratung für schwangere Frauen in Not bis hin zur ersten Online-Schwangerschaftsberatung in den deutschen Bistümern.
Die Treue zur Kirche und ihrer Lehre war ihm ein großes Anliegen. Seinen Verkündigungsdienst verstand er genau so, den Menschen das christliche Menschenbild und die kirchliche Tradition nahezubringen. Das reiche christliche Erbe weiterzuführen und zu verteidigen – imposant versinnbildet in der alten Kaiserstadt Speyer mit ihrem ehrwürdigen „Kaiser-“ – und wie Bischof Anton stets ergänzte – „und Mariendom“ –, verstand er als Auftrag und Verpflichtung zugleich. Dass ihm das immer weniger gelang oder nur mühsam und unter vielen Anstrengungen, wurde ihm oftmals zur Quelle der Betrübnis, die bisweilen resignative Züge annehmen konnte. Mit einer gewissen Bitternis sprach er nicht selten davon, „der einzige gewesen zu sein“, der Einspruch anmeldete und der dem Mainstream mutig widersprach. Das Gefühl, allein gelassen zu sein und allein gelassen zu werden, mochte er nie ganz abschütteln, auch wenn er immer dankbar war für das Engagement seiner Mitarbeitenden und wenn ihm ob seiner Verlässlichkeit von vielen Seiten große Wertschätzung entgegengebracht wurde.
Höhepunkte seiner Amtszeit waren für ihn sicher der Besuch von Papst Johannes Paul II. in Speyer anlässlich der Seligsprechung Edith Steins 1987 und die Seligsprechung Paul Josef Nardinis 2006 zum Ende seiner Amtszeit, mit deren geistlichen und liturgischen Vorbereitung ich damals betraut war als Leiter der Abteilung Gemeindeseelsorge.
Anton Schlembach war ein empfindsamer Mensch. Hinter der rauen Schale verbarg sich ein Bischof, dem es nicht leichtfiel, von sich selbst zu sprechen und etwas von sich persönlich preiszugeben. Umso kostbarer waren die Momente, in denen er sich öffnen konnte. Unvergesslicher Höhepunkt für mich war dabei der Priestertag auf Maria Rosenberg anlässlich seines 70. Geburtstags. Festredner war der damalige Würzburger Generalvikar Dr. Karl Hillenbrand. In seiner Erwiderung erzählte der Jubilar von seinem eigenen Lernweg in der katholischen Kirche. Er begann mit seiner Zeit als kleiner Junge aus Großwenkheim, Ministrant und später Kilianist in der Zeit des Dritten Reiches unter einem Präfekten namens Julius Döpfner. Kirche im Widerstand. Eine heroische Zeit, voller Angst und Bedrängnis, aber eben auch voller Stolz und Zuversicht, dass der Herr seine Kirche nicht verlassen würde. Er berichtete von dem unerwarteten Wiedererstarken der Kirche nach dem Krieg. In diese Zeit fielen auch seine römischen Jahre, an die er immer wieder gerne zurückdachte. Dann die spannende Konzilszeit, die plötzlich vieles von dem in Frage stellte, was er bislang mit großer Überzeugung vertreten hatte. Es folgten die nachkonziliaren Wirren, in die auch seine als traumatisch erlebte Amtszeit als Regens fiel. Nach eher zurückgezogenen Jahren als Religionslehrer in Hammelburg kam seine überraschende Ernennung zum Generalvikar mit der Verantwortung für ein ganzes Bistum. Ein Amt, das er allerdings nur kurz innehatte, weil seine Ernennung zum Bischof ihn schließlich nach Speyer führte. Damit ging die neuerliche Herausforderung einher, nun als Bischof ein Bistum zu leiten.
Jeden dieser Abschnitte seiner bewegten Biographie beschloss er rhetorisch geschickt mit der Wendung „und da setzte ich mich wieder hin, und musste von neuem lernen, was ‚katholisch sein‘ heißt“. Es war ein eindrückliches Panorama der jüngeren Kirchengeschichte, das er vor unseren Augen erstehen ließ. Zugleich konnte man erahnen, wie viel geistige Anstrengung die jeweilige Neuorientierung ihn gekostet hatte und mit wie viel Ernst und Herzblut er stets daran gegangen war, seine Zeit und seine Kirche zu verstehen, um ihr besser dienen zu können.
Von seiner Person machte er Zeit seines Lebens kein Aufhebens. Bescheiden und einfach lebte er, fast spartanisch. Er trat als Mensch ganz hinter der Würde seines Amtes zurück. Das führte dazu, dass er besonders die Bürde des Bischofsamtes immer neu spürte, die er mitunter als Last empfand. Geradezu legendär war sein Abschied aus der Bischofskonferenz. In der letzten Sitzung vor seiner Emeritierung rief er seinen bischöflichen Mitbrüdern launig zu „Wir sehen uns im Fegefeuer wieder!“, ein Wort, das vielen in lebhafter Erinnerung geblieben ist und noch einmal ein bezeichnendes Licht warf auf sein persönliches Empfinden angesichts der vielfältigen Herausforderungen und Belastungen des bischöflichen Amtes. Nichtsdestoweniger erfüllte er seinen Dienst mit großer Akribie bis zum letzten Tag.
Bischof Anton war ein frommer Mann. Vor der Kommunion betete er immer aus dem „Ave verum“ die Worte „Wahrer Leib, o sei gegrüßet, den Maria uns gebar; du hast unsre Schuld gebüßet, sterbend auf dem Kreuzaltar“. Er tat das mit solch einer Inbrunst, dass es den Beobachter oft schauderte. Gefragt, was ihm diese Worte so bedeutsam machten, erzählte er nicht ohne Rührung, wie seine Mutter stets beim Angelusläuten dort, wo sie sich gerade befand, auf die Knie ging und dieses Gebet sprach, das ihr Kraft gab und ihr zum Ausdruck einer tiefen innerlichen Christusverbundenheit geworden war. Das trug sie in schweren Stunden, auch angesichts eigenen Versagens und eigener Schwäche. Die Prägung durch die Frömmigkeit seiner Mutter war ihm ein kostbares Andenken, das er hochhielt und in seine eigene Glaubenspraxis integrierte.
Bischof Anton habe ich viel zu verdanken. Er war es, der mir das Studium in Rom ermöglichte. Nach meiner Zeit als Bischöflicher Sekretär berief er mich in jungen Jahren zum Abteilungsleiter ins Seelsorgeamt. In rascher Folge wurde mir überdies das Ordensreferat anvertraut, verbunden mit Sitz und Stimme im Allgemeinen Geistlichen Rat. Meinen weiteren Werdegang begleitete er nach seiner Emeritierung stets mit Wohlwollen, so meine Ernennung zum Generalvikar und zum Domkapitular. Meine Berufung zum Bischof von Würzburg schließlich erfüllte ihn mit großem Stolz. Die Herzlichkeit, mit der er mich begrüßte, wenn ich ihn in den vergangenen Monaten besuchte, legte davon beredtes Zeugnis ab. Wie er als Generalvikar von Würzburg nach Speyer gekommen war, so ging ich jetzt als Generalvikar von Speyer nach Würzburg. Das freute ihn besonders. Ohne seine Förderung und Begleitung wäre ich wohl nicht, wo ich jetzt bin. Grund genug, ihm persönlich dankbar zu sein. Darüber hinaus aber gilt ihm auch mein Dank für seinen treuen Dienst als mein Diözesanbischof, der er über lange Jahre war. Der Herr vergelte ihm, was er uns und was er der deutschen Kirche – oder besser: „der Kirche in Deutschland“, wie Bischof Anton uns immerzu korrigierte – Gutes getan hat.
Danke, lieber Bischof Anton!
(2520/0627; E-Mail voraus)
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