Auch heute ist es noch nicht vergessen: Am 21. März 1972 verübte ein 34 jähriger Exil-Ungar (Laszlo Toth) ein Attentat auf die weltberühmte Pieta Michelangelos im Petersdom zu Rom. Mit den Worten: „Ich bin Jesus Christus. Jesus Christus ist auferstanden“ überwand er die Marmorbalustrade und schlug mit einem Hammer auf den Nacken der Marienstatue ein, um sie zu enthaupten. Der Kopf hielt aber stand. Darauf schlug er auf das Gesicht ein. Das linke Augenlid, die Nase und der Schleier Mariens zersplitterten. Außerdem löste sich der linke Arm — in Höhe des Ellbogens – fiel auf den Marmorboden und die Hand zerbrach in mehrere Teile. Nach zweieinhalbjähriger psychiatrischer Behandlung wurde der Attentäter in seine Wahlheimat Australien abgeschoben. Diese Tat schreckte die Welt auf Dieses Attentat geschah vor den Augen vieler Dombesucher. Die einen sahen darin die Zerstörung eines unvergleichlich wertvollen Kunstwerkes, die anderen eine blasphemische Handlung.
Die Welt entsetzte sich nicht nur angesichts der psychopatischen Handlung eines einzelnen. Als im Sommer 2001 in Afghanistan große Buddhastatuen im Auftrag der Taliban zerstört wurden, wurde der Grundkonflikt unseres Daseins gleichsam in einer symbolischen Handlung sichtbar: Der Kampf des Guten gegen das Böse.
Mit Recht haben große Kirchenmänner immer wieder darauf hingewiesen, dass es geradezu absurd sei, dass in einer Zeit, in der das Böse seine schrecklichsten Erfolge feiere, die Menschheit hinging und den Bösen leugnete. In keiner Zeit wie im sogenannten aufgeklärten 20. Jahrhundert sind so viele Menschen gefoltert und umgebracht worden. Und es geht offensichtlich nahtlos so im 21. Jahrhundert weiter. Fast schon ohne Maske können Brutalität und menschenverachtende Ideologien den Tod von Millionen Menschen – inklusive der ungeborenen – herbeiführen.
In der heutigen Lesung aus dem 12. Kapitel der Geheimen Offenbarung des Johannes wird in einem grandiosen Bild die Grundstruktur unseres Lebens visionär entfaltet: Im Bild der apokalyptischen Frau. Auf der einen Seite die Frau mit der Sonne umkleidet, ein Kranz von 12 Sternen auf dem Haupt, den Mond zu ihren Füßen – und auf der anderen Seite der feuerrote Drache, der die Frau und ihren neugeborenen Sohn zu zerstören versucht. In diesem Bild deutet der auf die Mittelmeerinsel Patmos verbannte Seher Johannes gegen Ende des ersten Jahrhunderts unsere Grundsituation. Die apokalyptische Frau steht symbolisch für das Volk Israel, die Gottesmutter Maria und die Kirche. Der Drache steht für die alte Schlange, den Teufel, den Fürst dieser Welt, der sich zum Affen Gottes macht (7 Köpfe, 10 Hörner etc.).
Auch wir erfahren heute die Welt bedroht: Ich erinnere nur an das schreckliche Erdbeben in Haiti, die verschiedenen Flutkatastrophen in Pakistan und China, die Waldbrände in Russland, die Ölkatastrophe im Golf von Mexico, die kriegerischen Auseinandersetzungen mit den Taliban in Afghanistan, die Konflikte im Nahen Osten, die atomare Kriegsgefahr durch den Iran, die weltweite Verfolgung der Christen, der unvorstellbare Mord an ungeborenen wie auch geborenen Kindern, die sexuellen Übergriffe weltweit, aber auch in der Kirche.
Natürlich sind die hier exemplarisch angesprochenen Probleme nicht auf einer Ebene angesiedelt. Sie spiegeln aber die Konflikte und Nöte wider, denen Menschen innerhalb und außerhalb der Kirche ausgesetzt sind. Nur, wer denkt angesichts dieser Problemlage darüber nach, dass das Heil von Gott und das Unheil vom Satan kommen?
Wir verstecken uns oft hinter Analysen der Konflikte, die die eigentliche Ursache nicht in den Blick nehmen und deshalb auch die Notsituationen nicht einmal partiell lösen können. Wir wissen, dass viele Klimakatastrophen durch menschliches Verschulden herbeigeführt werden. So gehen manche Überschwemmungen auf der einen und sich ausbreitende Dürrezonen und verheerende Brände auf der anderen Seite auf fehlerhaftes oder gar sündhaftes Tun des Menschen zurück. (Ich denke dabei an die unverantwortliche Ausbeutung der Erde durch den Menschen.)
Man kann jedoch nicht sagen, dass einzelne Katastrophen wie Tsunami, Erdbeben oder Vulkanausbrüche auf menschliches Versagen zurückzuführen sind. Aber sie sind auch nicht einfach nur auf Naturvorgänge zu reduzieren. Die Schöpfung ist durch den Fürst dieser Welt in sich gebrochen, unvollkommen und gestört. Das wird bis zur Wiederkunft Jesu Christi so bleiben. Aber wir sind den Mächten des Bösen nicht hilflos ausgeliefert, sondern können sogar mit einem gottgefälligen Handeln dagegensetzen. Wir können das Böse durch das Gute überwinden und das Leid der Welt durch unser Verhalten weglieben.
In unserem visionären Bild aus der Apokalypse öffnet uns der Seher Johannes die Augen für das Grundproblem, das sich durch die Menschheitsgeschichte hindurchzieht. Er fordert uns auf, auf der Hut zu sein, die Gefahr des Bösen zu sehen, aber nicht gegenüber einer scheinbaren Übermacht zu resignieren, oder sich gar vom Bösen paralysieren oder einfangen zu lassen.
Das wahrhaft Tröstliche an diesem Bild der apokalyptischen Frau ist die vermittelte Hoffnung, grundsätzlich in der Liebe Gottes geborgen zu sein. Denn es heißt dort: „Die Frau aber floh in die Wüste, wo Gott ihr einen Zufluchtsort geschaffen hatte." (Offb 12,6) Der geifernde Drache vermag zwar die Frau, die Kirche, jeden einzelnen von uns zu bedrohen, aber letztlich nicht zu vernichten.
Der heilige Matthäus überlieferte uns den Ausspruch Jesu: „Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht töten können, sondern fürchtet euch vor dem, der Seele und Leib ins Verderben der Hölle stürzen kann.“ (Mt 10,28) Unsere Lebenssituation gleicht dem Weg durch die Wüste: Sie ist oft hart und unerbittlich. Aber es gibt Zufluchtsorte, Brunnen und Tore zu Gott: Unsere Kirchen und Wallfahrtstätten wie Maria Vesperbild.
Der Aufblick zur schmerzreichen Mutter lässt uns erkennen, dass sie, die Schmerzensreiche um unsere Not weiß, weil sie selbst zutiefst Leid und Schmerzen erfahren hat. Wie oft erfahren Menschen an Wallfahrtsstätten wie hier oder in Lourdes und Fatima, dass die Gottesmutter, erst nach dem irdischen Leben mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen, die Königin des Himmels geworden ist. Sie sieht uns, nimmt uns wahr und ist unsere Fürsprecherin bei Gott. Die vielen – vor allen Dingen seelischen – Heilungen sprechen eine deutliche Sprache.
Wir dürfen der Gottesmutter vertrauen und unsere Sorgen, unser Leid und unsere Schmerzen vor ihr ausbreiten.
Mir sind einmal die oft verborgenen Zusammenhänge göttlichen Wirkens aufgegangen als ich – durch eine geschenkte Anregung – feststellen konnte, dass selbst die irdischen Wallfahrtsorte eine tiefe geschöpfliche und kosmologische Einbindung haben. Schauen wir nur kurz auf die Marienwallfahrtsorte Lourdes und Fatima, mit denen ja auch Maria Vesperbild sehr verbunden ist: In Lourdes erschien die Gottesmutter 1858 der kleinen Bernadette Soubirous in einer Höhle und forderte sie auf, von dem zu ergrabenden Quellwasser zu trinken. In Fatima erschien die Gottesmutter 1917 drei Hirtenkindern Lucia, Franceso und Jacinta in einer Baumkrone. Das von vielen Tausenden Menschen miterlebte Sonnenwunder schloss die Erscheinungen ab.
In Lourdes werden wir durch die Grotte und die Quelle auf die beiden Elemente Erde und Wasser, in Fatima durch die Erscheinung in luftiger Höhe und das Sonnenwunder auf die Elemente Luft und Feuer verwiesen. So dürfen wir auch darin erkennen, dass Gott in viel weiteren und tieferen Dimensionen wirkt, als wir es oft in unserer Kurzsichtigkeit erkennen.
So ist auch der heutige Festtag wahrhaft ein Tag der Freude und des Dankes. Hier und heute dürfen wir den triumphierenden Ruf vernehmen: „Jetzt ist er da, der rettende Sieg, die Macht und die Herrschaft unseres Gottes und die Vollmacht seines Gesalbten.“ Mit Maria dürfen wir in das Magnificat, den großartigen Lobpreis Gottes, einstimmen: „Er vollbringt mit seinen Armen machtvolle Taten: Er zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind; er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen.“ Sie, die reine, glorreiche Jungfrau ist uns in diesem Bewusstsein vorausgegangen. Bei Gott ist sie nun unsere Fürsprecherin.
Das hiesige Maria Vesperbild und die Pieta Michelangelos in Rom zeigen die strahlende junge Mutter, die ihren toten Sohn auf dem Schoß hält. Die Gottesmutter war während ihrer Lebenszeit der Drohung Satans ausgeliefert – bis unter das Kreuz. Und doch dürfen wir sie jetzt als die Königin des Himmels im Glanz der überirdischen Schönheit verehren. Ihre leibliche und seelische Aufnahme in den Himmel ist wie ein Leitstern am oft durch Leid verdunkelten Himmel unseres Lebens.
Mit dem heutigen Tag feiern wir vorausschauend auch unsere Aufnahme in den Himmel, das Ziel unseres irdischen Pilgerweges. Nutzen wir die vielen Möglichkeiten, Gottes Heilswillen in diese Welt hinein Bahn zu brechen. Feiern wir deshalb voll Freude dieses Fest als Gottes Zusage, uns auf unserem Lebensweg heilend zu begleiten und als Ausblick auf unsere eigene Vollendung im Himmel. Amen.