Würzburg (POW) Deutliche Kritik an den 2003 in deutschen Krankenhäusern eingeführten Fallpauschalen haben Vertreter von Katholischer Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) und der Gewerkschaft ver.di bei der Informationsveranstaltung „Krankenhaus statt Fabrik“ am Montagabend, 30. September, im Würzburger Burkardushaus geäußert. „Unter diesen Bedingungen können Patienten nicht gesund werden. Auch ist es durch die Fallpauschalen nicht möglich, gesund im Krankenhaus zu arbeiten“, kommentierte Sabine Schiedermair vom Bildungswerk der KAB in der Diözese Würzburg. Deshalb sei es der KAB und ver.di wichtig, möglichst viele Menschen zu mobilisieren, um eine humanere Klinikfinanzierung durchzusetzen, heißt es in einer Pressemitteilung.
Die Jagd nach Geld dominiere alles. Sie führe dazu, dass immer mehr Patienten in immer kürzerer Zeit von immer weniger Personal in Krankenhäusern behandelt würden. Welche fatalen Konsequenzen das hat, zeigte zu Beginn des Abends der Film „Der marktgerechte Patient“. Leslie Franke und Herdolor Lorenz thematisieren in dem Streifen, dass die Fallpauschalen bestimmte Patienten zu Menschen zweiter Klasse machten. Sie kosteten zu viel Zeit, weshalb sie unrentabel seien. Besonders krass wird das im Film am Beispiel der Volkskrankheit Diabetes deutlich: Schädigen hohe Blutzuckerwerte Nerven und Gefäße, werden die Füße von Diabetikern nicht mehr ausreichend durchblutet. Es kann zu chronischen Wunden kommen. Dann amputieren Klinikärzte oft den Fuß. Das kommt der Deutschen Diabetes Gesellschaft zufolge hierzulande rund 50.000 Mal im Jahr vor. Und zwar vor allem aus finanziellen Gründen: Die Amputation bringt viel mehr Geld als der aufwändige Versuch, den Fuß zu erhalten.
Gewerkschaftssekretär Stefan Kimmel von ver.di präsentierte nach dem Film Gefährdungsanzeigen Klinikbeschäftigter, die aufzeigen, dass das Problem überall gleich ist. Kaum ein Tag auf den Stationen, der nicht hektisch wäre, was an dem viel zu knapp bemessenen Personal liege. In einem der „Hilferufe“ macht eine Pflegefachkraft darauf aufmerksam, dass sie sich um 19 sterbenskranke Patienten auf einer Palliativstation kümmern muss. „Die Menschen sterben hier allein. Ich werde meinen eigenen Ansprüchen nicht mehr gerecht!“ Die Zustände bezeichnet die examinierte Kraft als „ethisch nicht mehr vertretbar“.
Dass es im Klinikalltag in erster Linie ums Geld geht, bestätigt in der Ende 2018 veröffentlichten Dokumentation Peter Hoffmann, Oberarzt in der München Klinik Harlach: „Das Geld ist immer im Hintergrund aller Entscheidungen. Man tut etwas, um die Kosten zu reduzieren, oder man tut etwas, um mehr Erlöse für das Krankenhaus zu generieren. Das Krankenhaus wird geführt wie eine Fabrik.“ Der Anästhesist, der dem Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte (vdää) angehört, ist einer der wenigen Mediziner, die das System öffentlich anprangern und sich gegen die vorherrschende Devise „Maximaler Output, minimaler Aufwand!“ wehren.
„Man ist ein Spielball in dem Ganzen“, wird eine Patientin in dem Film zitiert. Was Hoffmann bestätigt: Der Patient, sagt er, werde zum „Werkzeug“. Das beobachtet in Unterfranken auch Kimmel: „In Krankenhäusern wird nicht mehr allein nach medizinischen Kriterien entschieden, sondern man fragt sich, was Kohle bringt.“ Aus diesem Grund, ergänzte Nadja Rakowitz vom Bündnis „Krankenhaus statt Fabrik“, verdoppelte sich seit Einführung der Fallpauschalen die Anzahl der Kaiserschnitte. „Die bringen einfach mehr ein als eine normale Geburt.“
Dass es mit dem System der Diagnosebezogenen Fallgruppen gelingt, viele Milliarden Euro zu erwirtschaften, zeigt im Film das Beispiel des Asklepios-Konzerns. 2018 konnte der Konzernumsatz auf 3,4 Milliarden Euro gesteigert werden. Die „stabile Patientenentwicklung mit durchschnittlich höheren Fallerlösen“, wie Asklepios in einer Pressemitteilung mitteilt, habe sich positiv auf die Umsätze ausgewirkt. Was die permanente Erlösoptimierung der privaten Klinik für Patienten bedeutet, schilderten in dem Dokumentarfilm Betroffene und Angehörige mit haarsträubenden Geschichten – bis hin zu einem Todesfall.
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