Burggrumbach/Würzburg (POW) Dorfgeschichte ist auch Pfarreigeschichte. Zumindest in Unterfranken. Hier war der katholische Glaube über Jahrhunderte Richtschnur des ländlichen Lebens. Die Glocken riefen zum Gebet, der Pfarrer redete ins Gewissen. Für den Heimatforscher Günter Dusel aus Burggrumbach sind daher die Sammlungen von Archiv und Bibliothek des Bistums Würzburg wichtige Fundorte.
Wörter wecken Erinnerungen. Als ob die Vergangenheit wieder da wäre. Das Wort „Hängbankla“ zum Beispiel. In Burggrumbach, einem Ortsteil von Unterpleichfeld im Landkreis Würzburg, nannte man so die Kniebank für ledige Mütter in der Kirche. Bis 1954 gab es das „Hängbankla“. Sogenannte „gefallene Mädchen“ mussten zur Strafe dort knien – weil sie gegen die Regeln verstoßen und sich ein Kind hatten „anhängen“ lassen. Dusel (74) sammelt solche Wörter, und schreibt sie für die Nachwelt auf. Denn Dusel ist seit 2016 erster Vorsitzender des Kulturgeschichtlichen Arbeitskreises (KAK) Burggrumbach. Die etwa zehn Aktiven des KAK haben sich vorgenommen, die Geschichte Burggrumbachs zu erschließen und ihren Mitmenschen zu erklären. Geschichte solle „begreif- und erlebbar“ sein, bekräftigt Dusel.
Das „Hängbankla“ lässt einen schnell begreifen, wie groß die soziale Kontrolle in einer kleinen Dorfgemeinschaft noch in der Mitte des 20. Jahrhunderts war. Wie schnell Menschen durch Regelverstöße aus der Gemeinschaft fielen. Unbarmherzig findet Dusel den damaligen Sittenkodex. Auch das schreibt er auf, in seiner Geschichtsschreibung gibt es Werte und Wertungen.
Vor rund 15 Jahren beschlossen Dusel und der KAK, die Geschichte ihres Ortes ausführlich darzustellen. Mit der Broschüre „Die Geschichte der Burg in Burggrumbach“ ging es 2012 los. Seither ist jedes Jahr ein Heft erschienen. Für alle Hefte war Dusel als Hauptverfasser verantwortlich. Als ehemaliger Lehrer und Mitarbeiter der Regierung von Unterfranken verfügt er über die nötige Ausbildung, um heimatgeschichtlich zu forschen. „Es ist gut, wenn man strukturiert ist“, erläutert er. Dusel spricht langsam, konzentriert und oft druckreif. Man nimmt ihm ab, dass er ein strukturierter Mensch ist. Und seit seiner Pensionierung im Jahr 2014 hat er zusätzlich Zeit für Forschungsabstecher nach Würzburg.
Ohne Archiv und Bibliothek des Bistums Würzburg wären manche Informationen nicht zu bekommen. Einige der Broschüren des Burggrumbacher Arbeitskreises drehen sich um die Bauernhöfe im Ort. Welches Ehepaar besaß welches Anwesen und welche Kinder gingen aus der Ehe hervor? Die Geschichte von über 50 Höfen und ihren Besitzern ist in den historischen Heften detailliert beschrieben. Illustriert mit Fotos und Ahnentafeln, die zum Teil ins 18. Jahrhundert zurückreichen. Viele Stunden Arbeit steckten Dusel und sein Mitstreiter Egon Schraud vom KAK in diese Forschungsarbeit. Ohne die Pfarrmatrikeln des Diözesanarchivs und fachkundige Betreuung wäre ihr Werk unmöglich gewesen. „Erfahrungswissen und Unterweisung durch das Archivpersonal sind notwendig“, betont Dusel. Er sei dankbar für jede Hilfestellung, etwa wenn die Handschriften von Pfarrern in den Aufzeichnungen schwer zu entziffern sind.
An Erfahrung hat das Forscherduo aus Burggrumbach über die Jahre gewonnen. Wenn der Pfarrer in den Matrikeln vergaß, den Geburtsort eines Familienmitglieds anzugeben, könne der Familienname weiterhelfen, verrät Dusel. „Wird Schrauth mit th geschrieben, ist das oft ein Hinweis auf Erbshausen. Schraud mit d verweist auf Burggrumbach.“
Doch mit verzweigten Familiengeschichten begnügt sich Dusel nicht. Er will darüber aufklären, wie der Alltag der Dorfbewohner in früherer Zeit aussah. Welche Abgaben und Dienstpflichten Bauern im Mittelalter drückten. Wie Seuchen und Kriege ins Leben der Menschen einbrachen. Welche Feste gefeiert und welche Trachten getragen wurden. Wie verheerend sich der Nationalsozialismus und der Zweite Weltkrieg auswirkten. Und wie in den 1960er Jahren das Höfesterben begann und der bäuerliche Familienbetrieb nach und nach ins Abseits geriet.
Alltagsleben, kultureller Rahmen und die große Politik – all das fließt zusammen in der Burggrumbacher Dorfgeschichte. Um das alles zu mischen, braucht Dusel informative Literatur. „Ich hole mir die Bücher oftmals vom Antiquariat“, sagt er, weil man so an Veröffentlichungen über Flurnamen, Brauchtum und unterfränkische Geschichte komme, die heute nicht mehr verlegt werden. Die Bücher sind über das Haus verteilt, das er mit seiner Frau Gerda bewohnt. Beide sind seit bald 50 Jahren verheiratet – und haben daher eine Menge Geschichte selbst miterlebt. Eigene Kinder haben sie nicht, doch Dusel arbeitet für die Nachkommen anderer. „Ich stelle fest, dass immer mehr junge Leute interessiert sind und unsere Hefte annehmen“, berichtet er.
Viele Realitäten des Landlebens in früherer Zeit sind für junge Menschen heute kaum zu fassen. Noch im 19. Jahrhundert beaufsichtigte der Pfarrer das gesamte schulische und kirchliche Leben. Er stellte Landwirte zur Rede, wenn es auf ihrem Hof an christlicher Disziplin fehlte. Und doch waren dem Pfarrer Grenzen gesetzt. „Meine Pfarrkinder haben, ich muss es mit Wehmut bekennen, mit einigen Ausnahmen, keine Religion. Sie glauben, fürchten und hoffen nichts, ihre Religion ist Leidenschaft.“ So vermerkte es ein Burggrumbacher Geistlicher 1808 seufzend in einem Brief.
Weitere Informationen fand Dusel in der Bibliothek des Bistums. Die Regale mit den Büchern und Handschriften befinden sich in der Würzburger Domerschulstraße im selben Gebäude wie das Diözesanarchiv. Daher kann Dusel problemlos von den Pfarrmatrikeln des Archivs zu den Schriften der Bibliothek wechseln. Und dort nachlesen, wie zum Beispiel Pfarrer Johann Rößer (1880-1959) die zerstörerischen letzten Tage des Zweiten Weltkriegs in Burggrumbach im Gedächtnis behielt. Als Ruheständler hatte Rößer seine Erinnerungen veröffentlicht und darin festgehalten: Beim Artilleriebeschuss des Dorfes durch die Amerikaner im Frühjahr 1945 blieb das Pfarrhaus nur deswegen erhalten, weil das „Fräulein Haushälterin“ ihren Rosenkranz im Haus liegen gelassen hatte und aus dem schützenden Keller eilte, um ihn zu holen. So entdeckte sie den bereits lodernden Brand, den eine Phosphor-Granate entfacht hatte. Das Feuer wurde gelöscht und das Pfarrhaus gerettet.
Solche Überlieferungen sucht Dusel. Er sichtet, sammelt und schreibt. Traditionen, Volksfrömmigkeit und Brauchtum betrachtet er dabei mit Respekt. Die heutige massenhafte Abkehr der Menschen von der Kirche hält er für bedenklich. „Wir sind zu hedonistisch geworden“, kommentiert er diese Entwicklung – zu vergnügungs- und erlebnisorientiert. Im Archiv und in der Bibliothek des Bistums Würzburg kann er die Gegenwart vorübergehend hinter sich lassen. Er stellt dem Mitarbeiterteam ein glänzendes Zeugnis aus: „Es ist nicht überall so, dass einem geholfen wird wie in Würzburg. Ich habe es nirgends besser erlebt. Das Team bietet eine tolle Betreuung, wenn man etwas braucht.“
ub (Würzburger katholisches Sonntagsblatt)
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