Schweinfurt/Würzburg (POW) Die Liebe zu seiner Heimatstadt Schweinfurt hat er schon in erfolgreiche fünf Regionalkrimis gegossen. Mit seinem jüngsten Werk dringt Lothar Reichel, Leiter der Hörfunkredaktion des Bistums Würzburg, in ganz andere Sphären vor. Nicht nur beim Umfang des Buchs, sondern auch beim Ort der Handlung. „Insel der Dämonen. Eine Geschichte von Liebe und Tod auf Bali“ heißt der 480 Seiten starke Roman, der eine Brücke zwischen den ersten europäischen Aussteigern und dem Massentourismus der Gegenwart schlägt. Darin webt Reichel aus Geschichte und Mystik ein vielschichtiges Bild der bei Urlaubern beliebten indonesischen Insel. Geschickt ergänzt wird dieses durch Liebesgeschichten, faszinierend schöne Landschaften, sagenumwobene Geheimnisse und – einen Mordfall.
„Seit Kindesbeinen habe ich mich für Indonesien interessiert. Angefangen hat alles mit einem Kinderbuch aus der katholischen Bücherei: ‚Der Junge und sein Wasserbüffel‘, das auf Java spielte.“ Auch wenn Reichels erste Reisen später in andere europäische Länder und die USA führten: Die Faszination für Asien blieb. Als er schließlich zum ersten Mal auf Bali ankam, spürte er: Das ist genau sein Land. „Das war ein tiefes Gefühl, das bis heute anhält.“ Mehr als ein Dutzend Mal hat Reichel Bali schon bereist, dabei Land, Kultur und Leute sehr gut beobachtet und kennengelernt. All diese Erfahrungen hat er in sein bislang umfangreichstes Werk einfließen lassen.
Bei der Vorbereitung auf den ersten Aufenthalt hatte er nach einer passenden Lektüre gesucht. Aber außer Vicki Baums Roman „Liebe und Tod auf Bali“ aus dem Jahr 1937 – ein im Stil seiner Zeit geschriebenes Buch über das von Ritualen bestimmte Leben eines Dorfs und dessen Vernichtung durch holländische Kolonialherren – konnte er nichts original Deutschsprachiges finden. Durch Zufall fand Reichel ein Merianheft aus den 1970/80er Jahren. Darin zeigte ein Foto Baum und den deutschen Maler Walter Spies in den 1930er Jahren. In der Unterzeile wurde an den balinesischen (Aber-)Glauben erinnert, dass jemand sterbe, wenn der Gecko siebenmal rufe: „Das hat in mir die Idee geweckt, einen Roman über Bali zu schreiben, bei dem diese beiden realen Personen eine Rolle spielen.“
Indirekt ist es einem Lektor des Stuttgarter Thienemann-Verlags zu verdanken, dass das Buch tatsächlich verwirklicht wurde. Reichels ersten Roman, ein bei Echter erschienenes Jugendbuch mit dem Titel „Winnetou darf nicht sterben“, hatte dieser Verlag abgelehnt, aber um drei andere Themenvorschläge gebeten. Als Alternative schlug der Autor einen Bauernkriegsroman vor, das Thema Australien oder eben Bali. Weil Letzteres auf Gegenliebe stieß, schrieb Reichel schnell die ersten 80 Seiten eines Jugendbuchs, mit einem Jungen namens Fabian, der mit seinen Eltern auf die Insel reist. Als von dieser Version dann die ersten fünf Kapitel fertig waren, schickte Reichel sie an den Verlag – und wartete sehr lange auf Antwort. „Auf mein Nachfragen hieß es schließlich: Der Lektor hat den Verlag gewechselt, die übrigen haben andere Projekte und daher kein Interesse.“ Nach einem anfänglichen Schlucken habe er sich aber schnell gefangen und trotzdem begonnen, den Roman zu schreiben, aber als Erwachsenenbuch. „Ich mag Bücher, bei denen sich Zeitebenen verschränken, die ein wenig puzzleartig sind.“
Walter Spies und Vicki Baum sind die zentralen Figuren im historischen Erzählstrang des Buches. Explizit kommt Baum nicht als Handelnde vor. Neben dem Schreibstil der Ich-Erzählerin legen viele weitere Belege diesen Schluss nahe. Die berühmte Schriftstellerin aus der Zeit der Weimarer Republik begann ihr Balibuch 1935 bei einem Aufenthalt im Haus ihres Malerfreunds. Die Gegenwartserzählung konzentriert sich auf die Lektorin Amanda Hesse, die mit ihrer Tochter Lena, einer Kunsthistorikerin, zum Entspannen nach Bali gereist ist. Reichel versteht es geschickt, die hinduistische Gedankenwelt und die Traditionen Balis zu beleuchten und in die Handlung zu integrieren. „Ich habe durchaus Frauen als Zielgruppe speziell im Blick gehabt. Dadurch, dass die Protagonisten weiblich sind, habe ich einen anderen Blickwinkel als Erzähler gewonnen. Eine männliche Hauptfigur wäre letztlich nur ein anderes Ich geworden.“ Ein dubioser Kunsthändler bringt die beiden dazu, ein verschollenes Gemälde von Spies zu suchen. Lena hat währenddessen von Tag zu Tag mehr Déjà-vu-Erlebnisse. Nach dem Kennenlernen des jungen Holländers Rick überschlagen sich die Ereignisse förmlich. Dieser ist nach Bali gekommen, um Licht in den bislang ungeklärten Tod seines Großvaters vor mehreren Jahrzehnten zu bringen.
Viel Raum widmet Reichel unter anderem der Erläuterung des Schattenspiels und der Gamelanmusik, die vor wenigen Jahren noch eine zentrale Rolle in der Kultur Balis einnahmen. Womöglich hat er beiden damit unbewusst ein literarisches Denkmal gesetzt. „Beim letzten Tempelfest, an dem ich teilnahm, entfiel diese für den Abend typische Veranstaltung. Die Leute sitzen abends lieber vor dem Fernseher und schauen Seifenopern.“
Lothar Reichel. „Insel der Dämonen. Eine Geschichte von Liebe und Tod auf Bali“. 480 Seiten, 24 Euro. Würzburg, 2014, Verlag Peter Hellmund. ISBN 978-3-939103-60-8.
mh (POW)
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