Amorbach/Miltenberg (POW) Rund 35.000 Katholiken leben in den 18 Pfarreien, vier Kuratien und 16 Filialen des Dekanats Miltenberg im Westen des Bistums Würzburg. Bis 2010 sollen die Gemeinden sieben Pfarreiengemeinschaften und eine Einzelgemeinde mit Filialen bilden. „Ob die Errichtung von Pfarreiengemeinschaften überall gelingt und in allen Fällen mit voller Zustimmung und Überzeugung möglich ist, ist noch ungewiss“, sagt Dekan Norbert Schmitt (Amorbach) in folgendem Interview zur Entwicklung neuer Seelsorgestrukturen im Dekanat Miltenberg.
POW: Wie würden Sie den aktuellen Stand des Prozesses der Errichtung von Pfarreiengemeinschaften im Dekanat Miltenberg umschreiben?
Dekan Norbert Schmitt: Ein Teil der geplanten Pfarreiengemeinschaften kann dem ersten Fastensonntag 2010 in Gelassenheit entgegensehen, ein anderer Teil muss sich erst noch „zusammenraufen“ und wird nicht geringe Mühe haben, das Ziel rechtzeitig zu erreichen. Die beiden Pfarreiengemeinschaften Kirchzell und Dorfprozelten-Collenberg sind errichtet, eine andere, die jetzt schon von einem Pfarrer geleitet wird, kann ohne größere Probleme errichtet werden. Die größte geplante Pfarreiengemeinschaft Miltenberg-Bürgstadt ist auf einem guten Weg. Andere sind mehr oder weniger noch in der Anfangsphase. Für die Pfarrei Amorbach, die Einzelpfarrei bleibt, ändert sich äußerlich wenig. Pfarreiengemeinschaften im Odenwald und im Südspessart sollten wegen ihrer räumlichen Zusammengehörigkeit über die Ebene der Pfarreiengemeinschaft hinaus weiterhin in einer pfarrverbandsähnlichen Struktur zusammenarbeiten.
POW: Wo liegen die besonderen Probleme, wo die besonderen Chancen in Ihrem Dekanat?
Schmitt: Ein Problem im Dekanat Miltenberg ist eine verhältnismäßig hohe Zahl von Pfarrern über 60 Jahren, zu denen auch ich selbst gehöre. Naturgemäß ist die Mehrbelastung, die mit der Leitung einer Pfarreiengemeinschaft verbunden ist, für manche solcher Mitbrüder nicht leicht zu verkraften. Anderseits wäre es nicht gut, sie zu einer vorzeitigen Ruhestandsversetzung bewegen zu wollen. Auch die Tatsache, dass bei uns die Zahl sehr kleiner Filialen recht hoch ist und damit die zurückzulegenden Wege recht weit sind, ist ein nicht zu unterschätzender Faktor. Ich setze darauf, dass die Chancen der neuen, größeren Gemeinschaft, die aufgezeigt werden müssen und besonders im Bereich von Kinder- und Jugendarbeit und einer Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Gemeindekatechese liegen, die Ängste überwinden helfen – auch wenn dieser Prozess 2010 noch nicht abgeschlossen sein kann. Ich hoffe, dass die Synergieeffekte solcher Zusammenarbeit für die Mitbrüder und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter spürbar werden und gehe davon aus, dass die jüngste gemeinsame Pastoraltagung gerade den lebenserfahrenen Kollegen die Wahrheit aufgeschlossen hat: „Umbruchszeiten sind Gnaden- oder Chancenzeiten“. Ich rechne auch damit, dass die neue Entwicklung zu einem neuen Aufbruch im Spirituellen, zu einem überzeugteren Leben als Christ und Mitarbeiterin und Mitarbeiter am und im Glauben führt.
POW: Wie reagieren die kleineren Orte im Dekanat Miltenberg auf die neuen Seelsorgestrukturen?
Schmitt: Große Ängste bestehen verständlicherweise vor allem in sehr kleinen Gemeinden mit 50 bis 200 Katholiken, wo auch die örtlichen Beziehungen und Bindungen auf sonstigen Ebenen – in Vereinen und Gemeinschaften – mangels Masse von Bevölkerung in großer Gefahr sind. Sie befürchten, neben allen anderen Verlusten, die die dörfliche Gemeinschaft in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten hinnehmen musste, nun auch noch Leben in der Kirche und im Gottesdienst zu verlieren. Der totale Identitätsverlust ihres Dorfes steht ihnen vor Augen. Der Appell an ihre Mobilität ist auf diesem Hintergrund nur sehr schwer zu vermitteln. Diesen Ängsten muss, so gut es geht, Rechnung getragen werden.
POW: Wie kann das liturgische Leben in den kleinen Gemeinden lebendig bleiben?
Schmitt: Die sehr kleinen Kirchengemeinden auf den Höhen des Odenwalds, zu denen vom Sitz der Pfarreiengemeinschaft zudem weite Entfernungen zurückzulegen sind, werden als Kirchengemeinden in Zukunft nur dann eine Chance haben, wenn es ihnen gelingt, sich vor Ort zu einer Glaubens- und Gebetsgemeinschaft zu entwickeln, die auch ohne hauptamtliche Kräfte gewohnte Elemente religiösen Gemeindelebens weiterzutragen vermag. Bei einer ganzen Reihe kleiner Gemeinden mit bis zu 500 Katholiken innerhalb einer Pfarreiengemeinschaft und besonders bei den sehr kleinen Gemeinden besteht die große Gefahr, dass das kirchliche Leben fast ausstirbt, wenn nicht Sonderregelungen für „Wort-Gottes-Feiern“ möglich gemacht werden und wenn nicht die Leiter solcher Gottesdienste auch aus diesen Gemeinden gefunden werden können.
POW: Welche Bedeutung kommt den Zentren Miltenberg und Amorbach in der künftigen Seelsorgestruktur zu?
Schmitt: Miltenberg ist Mittelzentrum und Amorbach ist Kleinzentrum im weltlichen und kirchlichen Bereich, als auch für das Dekanat. Beide Städte sind auch Touristenanziehungspunkte. Dem ist auch im gottesdienstlich-liturgischen Bereich Rechnung zu tragen. In Miltenberg, dem deutlich größeren Zentrum, gibt es zum einen die seit langem eingeführte zentrale Sonntag-Abend-Messe für das Dekanat, zum anderen vielfältige Angebote, die bildende Kunst und Musik im Kirchenraum erleben lassen. In Amorbach überragt die Abteikirche der ehemaligen Benediktinerabtei, die heute evangelisch ist, als künstlerischer Anziehungspunkt die katholische Pfarrkirche spürbar. Miltenberg wird Sitz einer großen Pfarreiengemeinschaft, zu der neben einer Reihe kleiner Filialen auch die große Pfarrei Bürgstadt gehören wird. Seine Rolle als Zentralkirche des Dekanats wird Miltenberg darüber hinaus behalten müssen. Die katholische Pfarrei Amorbach wird sich auch in Zukunft für die umliegenden Pfarreiengemeinschaften mit einsetzen müssen. Es ist zu hoffen, dass diesen Zentralfunktionen durch eine entsprechende Besetzung auch in Zukunft Rechnung getragen wird.
POW: In Amorbach gibt es die Theresia-Gerhardinger-Realschule der Diözese, in Miltenberg das Jugendhaus Sankt Kilian. Welche Chance hat Kirche im Landkreis Miltenberg, Kinder und Jugendliche zu erreichen und was sollte dabei wichtig sein?
Schmitt: Die Theresia-Gerhardinger-Realschule hat über 400 Schülerinnen und Schüler, von denen über 60 Prozent aus dem Raum des fränkischen Odenwaldes kommen, der Rest kommt im Wesentlichen aus anderen Gemeinden des Altlandkreises Miltenberg. Sie ist eine katholische Schule, die offen ist auch für Schüler evangelischer Konfession und anderer Religionen, wovon durchaus auch Gebrauch gemacht wird. Sie macht ihre Schüler bekannt mit den Lebensvollzügen unserer Kirche wie Gottesdienst, Verkündigung, Caritas und Gemeinschaftspflege und lässt sie diese erleben durch Klassen- und Schulgottesdienste, Einstimmungen auf Advents- und Fastenzeit, Einkehrtage, soziale Einsätze und Feiern der Schulgemeinschaft. Wieweit diese Informationen und Erlebnisse bei den einzelnen Schülern ankommen und ihr Leben mitprägen, ist schwierig zu sagen. Gewiss aber ist in manchem, der die Angebote des Jugendhauses Sankt Kilian annimmt, die Saat dazu auch in dieser Schule gesät worden. Sankt Kilian ist ein Haus mit einem breitgefächerten Angebot aus den Bereichen Jugendbildung, Persönlichkeitsbildung, Spiritualität und Freizeitpädagogik. Dieses Angebot stößt bei einer erheblichen Zahl von Jugendlichen aus dem Landkreis auf große Resonanz und lässt hoffen für die Zukunft der Kirche, vor allem auch aufgrund der personellen Ausstattung bei der Leitung des Hauses, die hoffentlich beibehalten werden kann. Auch durch die Investitionsbereitschaft der Diözese in die Ausstattung des Hauses, nicht zuletzt der Kapelle, könnte es ein Zentrum „Jugendkirche“ in unserer Region sein, das Jugendliche im umfassenden Sinn beheimatet und Kinder- und Jugendarbeit in den einzelnen Pfarreiengemeinschaften ganz wesentlich unterstützt und ergänzt.
POW: Welche Bedeutung hat das Kloster Engelberg für das Dekanat und was erhoffen Sie sich für die Zukunft dieses Hauses der Franziskaner?
Schmitt: Der Engelberg war und ist für die Menschen unseres Dekanats und auch großer Teile des Dekanats Obernburg stets der vertraute und gern aufgesuchte Wallfahrtsort in der Nähe mit diversen kirchengemeindlichen Fußwallfahrten dorthin; er ist aber auch Ziel für viele EinzeIpilger; deshalb ist er auch ein Beichtzentrum. Ebenso ist er, besonders in Verbindung mit der WalIdürn-Wallfahrt, eine wichtige Etappen- und Zwischenstation für Fernwallfahrten. Nicht zuletzt verdankt er seine Beliebtheit auch der bekannten Klosterschänke. In einer Zeit, wo der „Pilger“ im umfassenden Sinn der Typus des heutigen Christen ist, wäre die Schließung des Klosters, die wegen des Nachwuchsmangels des Franziskanerordens droht, aufs Äußerste zu beklagen. Die Investitionen, die die Franziskaner dort noch vor wenigen Jahren tätigten, könnten genutzt werden, um den Engelberg noch weiter zu einem geistlichen Zentrum im Geist des heiligen Franz von Assisi für unseren Landkreis und darüber hinaus auszubauen.
POW: Was möchten Sie am ersten Fastensonntag 2010 mit Blick auf das Dekanat Miltenberg sagen können?
Schmitt: Ich wäre froh, wenn ich dem Bischof eine komplette Vollzugmeldung zuleiten könnte. Für große Teile des Dekanats könnte dies gelingen. Ob die Errichtung von Pfarreiengemeinschaften überall gelingt und in allen Fällen mit voller Zustimmung und Überzeugung möglich ist, ist noch ungewiss. Dennoch hoffe ich, dass auch die Chancen des derzeitigen Umbruchs von pastoralen Mitarbeitern und Mitchristen gesehen und akzeptiert werden.
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