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„Der Arme braucht mehr als ein Stück Brot“

Geschäftsführerin Nadia Fiedler über die Herausforderungen für die Christophorus-Gesellschaft in der Corona-Pandemie

Würzburg (POW) „Ich mache mir große Sorgen um den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft“, sagt Nadia Fiedler. Vor drei Monaten übernahm die 51-Jährige die Geschäftsführung der ökumenischen Christophorus-Gesellschaft. Schon jetzt zeichne sich ab, dass die Ungleichheit wachse. Engagement für Menschen in prekären Lebensverhältnissen werde deshalb immer wichtiger.

Pandemiebedingt gab es für Fiedler gleich zum Start ihrer Amtszeit jede Menge Arbeit. Vor allem die Situation von Menschen ohne festen Wohnsitz in der Region Würzburg trieb die Juristin in den vergangenen Wochen um. „Obdachlose sind aufgrund der Pandemie mehr denn je Kälte und Regen ausgesetzt, das zermürbt“, sagt sie. Die Bahnhofsmission und die Wärmestube, beides Einrichtungen der Christophorus-Gesellschaft, mussten ihre Angebote wegen des Infektionsschutzes stark reduzieren. Aus diesem Grund brachte das Team der Christophorus-Gesellschaft in Kooperation mit der Stadt Würzburg das neue Projekt „Wärmehalle“ auf den Weg. Doch das alleine reiche nicht.

Fiedler war bis Oktober 2020 stellvertretende Geschäftsführerin und trat am 18. November 2020 die Nachfolge von Günther Purlein an. Purlein hatte die Organisation seit ihrer Gründung 2000 geleitet. In den vergangenen gut 20 Jahren habe es für die kirchliche Institution noch nie so große Herausforderungen zu bewältigen gegeben. Diese seien sozialer, aber nicht zuletzt finanzieller Art. „Doch nun sorgt die Pandemie sowohl bei Kommunen als auch bei der Kirche für knappe Kassen“, sagt Fiedler. An der Armenfürsorge dürfe dennoch nicht gerüttelt werden, appelliert sie.

Fiedler, die über langjährige Erfahrungen im Sozialrecht verfügt, begann 2012, sich freiwillig in der Christophorus-Gesellschaft zu engagieren. „Drei Jahre lang beriet ich ehrenamtlich überschuldete Gefangene in der Würzburger Justizvollzugsanstalt.“ Über dieses Engagement kam sie zu ihrem hauptamtlichen Job. Seit 2015 ist Fiedler als Schuldnerberaterin bei der Christophorus-Gesellschaft tätig. Zuletzt leitete sie die Schuldner- und Insolvenzberatung. Nach wie vor ist sie neben der Geschäftsführung für das Team der Schuldnerberater verantwortlich.

Das Ziel „Gerechtigkeit“ soll nicht nur auf dem Papier existieren. Dafür setzen sich seit fast 22 Jahren die Bahnhofsmission und die Wärmestube, die Kurzzeitübernachtung und das Johann-Weber-Haus ein. Auch die Schuldner- und Insolvenzberatung sowie zwei Fachberatungsstellen haben sich dem Einsatz für soziale Gerechtigkeit verschrieben. „Wir sind nicht nur jetzt im Pandemiewinter, wo die Not besonders groß ist, sondern wir sind das ganze Jahr über für Menschen mit den unterschiedlichsten Problemlagen da“, unterstreicht Fiedler. Viele Frauen und Männer würden über Jahre hinweg begleitet, weil sie mit einem ganzen Bündel an Problemen belastet seien.

Armenfürsorge sei, was weithin verkannt werde, ein sehr komplexes Gebiet. „Es genügt nicht, dem Armen ein Stück Brot zu geben und ihm beruhigend über den Kopf zu tätscheln“, sagt Fiedler. Es brauche hochqualifiziertes Personal, um den Menschen in ihren sozialen und seelischen Nöten gerecht zu werden. „Wir haben es mit Personen zu tun, die massive Gewalt oder sexuellen Missbrauch erlebt haben, die psychisch krank oder hoch verschuldet sind“, schildert die Geschäftsführerin. Fachkräfte müssten sich in all diesen Feldern auskennen. Wichtig sei nicht zuletzt, sich im Paragrafendickicht zurechtzufinden. Gerade das Sozialrecht sei eine höchst diffizile Materie.

Fiedler kam als Quereinsteigerin in die Armenfürsorge. Ihr beruflicher Weg ist alles andere als typisch für Juristen. Wer Jura studiert, habe normalerweise andere Karriereziele im Sinn. Mancher Studienanfänger sehe sich bereits in der Richterrobe oder in einer schnieken Kanzlei. Doch das hat Fiedler nie interessiert. „Ursprünglich wollte ich Entwicklungshelferin werden“, verrät sie. Der Traum, in ein Land des Südens zu gehen und dort zu helfen, kollidierte jedoch mit familiären Plänen. Letztlich blieb die dreifache Mutter doch als Juristin in Deutschland. „Wobei ich mich von Anfang an auf Sozialrecht spezialisiert habe.“

Heute fällt es Fiedler nicht schwer, Ja zu ihrer damaligen Entscheidung zu sagen. Natürlich wäre es spannend gewesen, in ein Land des Südens zu gehen und dort zusammen mit den Menschen vor Ort Projekte zur Verbesserung der Lebensverhältnisse zu realisieren. Doch auch hierzulande sei Hilfe notwendig. Die Armut habe in Deutschland ein anderes Gesicht als in Afrika oder Lateinamerika. Aber auch hier litten Menschen, und zwar nicht nur unter materieller Not. Es mangele ihnen an sozialen Ressourcen, und das mache einsam.

Stephan Hohnerlein (Christophorus-Gesellschaft)

(0921/0204; E-Mail voraus)

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