Friedlosigkeit
Während des 2. Weltkriegs rief der Bischof von Lourdes, Pierre Marie Théas, zum Frieden und zur Versöhnung mit Deutschland auf. Nach allem Leid, das sein Vaterland und er selber erlebt haben, war das alles andere als selbstverständlich. Im April 1948 wurde in Kevelaer die deutsche Sektion der Pax Christi-Bewegung gegründet. Als Theologiestudent habe ich es miterlebt. In den seither vergangenen 60 Jahren hat Pax Christi viel für die Versöhnung verfeindeter Länder und für den Frieden in aller Welt getan. Dafür wollen wir heute von Herzen danken. Zugleich wollen wir uns auf das besinnen, was uns heute gegeben und aufgegeben ist.
Im Jahr 2008 kann keiner wie der Bürger in Goethes „Faust“ beim Osterspaziergang gemütlich über „Krieg und Kriegsgeschrei“ reden, „Wenn hinten, weit, in der Türkei, / Die Völker aufeinander schlagen“ . Heutzutage ist keine Stelle auf dem Erdball so weit von uns entfernt, dass wir nicht selber getroffen werden, wenn man dort aufeinander schlägt. Was im Irak geschehen ist und geschieht, verwundet und gefährdet auch uns. Ähnliches gilt im Blick auf die blutigen Auseinandersetzungen im Heiligen Land, im Sudan, in Simbabwe, in Afghanistan. Es gilt auch für die Ungezählten, die bis zur Stunde durch permanente Unterernährung lebensgefährlich krank sind und allzu früh sterben müssen.
Wenn wir uns Not und Tod bewusst machen, die so viele Zeitgenossen zu erleiden haben, können wir uns eher vorstellen, wie es am Ostermorgen in den Herzen den Anhänger Jesu aussah. Der Herr, der so vielen aus ihrer Not herausgeholfen hatte, der alle Not wenden wollte, war selbst notvoll gestorben. Und dann erfahren sie: Unser Herr lebt! Er ist von den Toten auferstanden. Er setzt sein Wirken fort. Statt Not und Tod soll der Friede Gottes sich in unserer Welt verbreiten.
Der Friede Christi
Friedenssieg
Als der Auferstandene in den Kreis seiner engsten Freunde tritt, sagt er ihnen als erstes: „Friede sei mit euch“ (Joh 20,19). Das ist mehr als der vertraute Gruß. Es ist ein Hinweis auf den Ostersieg, den er errungen hat und auf die Trophäe, an der er ihnen Anteil geben will. So wiederholt er: „Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch“ (Joh 20,21). Das ist wie eine Zusammenfassung der Osterbotschaft und der Ostergnade. Die Auferweckung Jesu von den Toten ist der Sieg der Liebe über alle Lieblosigkeit und allen Hass, der Sieg des Friedens über allen Streit. An diesem Sieg sollen alle teilhaben, die sich ihm anschließen. Nach seiner Auferstehung macht er vollauf wahr, was er ihnen vor seiner Passion versprochen hat: „Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch; nicht einen Frieden, wie die Welt ihn gibt, gebe ich euch“ (Joh 14,27). Der Friede, den die Welt gibt, ist nur von kurzer Dauer. Zumeist ist er überdies lediglich in bestimmten Bereichen des Lebens wirksam. Der Friede Christi ist dem ganzen Menschen und der ganzen Welt zugedacht und das für immer.
Seit dem Ostersieg Christi kann sich dieser Friede in aller Welt ausbreiten; er kann es, muss es aber nicht, denn Christus verhängt kein Friedensdiktat. Zeitlebens hat er seinen Frieden nicht mit Gewalt durchgesetzt; nach seiner Auferstehung tut er es auch nicht. Sein Ostersieg bedeutet keine Unterwerfung der Besiegten, keine Misshandlung, keine Entwürdigung. Er ist eine Gabe seiner Liebe. An uns ist es, sie aufzunehmen und nach Kräften weiterzugeben, und so für die Friedensordnung einzutreten, die alle Welt dringend nötig hat.
Friedensordnung
Im Zusammenhang mit dem Irakkrieg ist vielfach gefragt worden: Brauchen wir nicht eine globale Ordnung, die solche Kriege verhindert? Muss nicht etwa die UNO so stark gemacht werden, dass sie überall den Frieden garantieren kann? Viele halten das für einen ebenso verständlichen wie vergeblichen Wunsch. Andere befürchten, dass solche Fragen aus der politischen Trickkiste stammen und dass man mit ihnen andere ausspielen will. Wie es auch sei – die Osterbotschaft sagt uns: Eine universale Friedensordnung ist kein leerer Traum, sie ist eine Realität. In Jesus Christus ist allen Menschen die Friedensordnung geschenkt, die die Welt verwandeln kann.
„Er ist unser Friede“, heißt es im Epheserbrief (Eph 2,14). „Er vereinigte die beiden Teile und riss durch sein Sterben die trennende Wand der Feindschaft nieder ... Er stiftete Frieden und versöhnte die beiden durch das Kreuz mit Gott in einem einzigen Leib“ (Eph 2,14-16). Das bezieht sich zunächst auf den Frieden zwischen Juden und Heiden; es gilt aber darüber hinaus für alles, was sich in dieser Welt feindlich gegenüber steht. Im Blick auf alle Polarisierungen, die uns zu schaffen machen, heißt das: Der Auferstandene ist da, um das tödliche Gegeneinander zu überwinden. Das Ostergeschehen baut Brücken zwischen den feindlichen Fronten. Im Auferstandenen ist das göttliche Ja zu jedem einzelnen Menschen und gleicherweise zur Gemeinschaft gesprochen. Er ist der „neue Mensch“, der mit allen, die zu ihm gehören, „ein Leib“ wird (1 Kor 12,12f.). Er zeigt, wie der Ganz-Arme, der des Letzten beraubt wird und selbst noch von Gott verlassen erscheint, so unermesslich reich wird, dass er alle beschenken kann. Er stellt uns vor Augen, dass gerade in der Ohnmacht das Werk der Allmacht zur Vollendung kommt. Das gibt selbst dem Geringsten dieser Welt eine Größe, die nie mehr genommen werden kann; das ermöglicht die „Versöhnung mitten im Streite.“
Ob und wie das in unserer Welt verwirklicht wird, hängt von uns allen ab.
Friedensdienst
Zu allen Erscheinungen des Auferstandenen, von denen das Neue Testament berichtet, gehört die Sendung. „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch“, sagt der Herr den Aposteln. Die drei Frauen, die den Leichnam Jesu salben wollen und unversehens dem Auferstandenen begegnen, bekommen zu hören: „Geht und sagt den Jüngern, vor allem Petrus: Er geht euch voraus nach Galiläa“ (Mk 16,7). Angesichts der Dimensionen des Osterereignisses kann das Letztere überraschen. Wird dieses in der Nähe gelegene, bescheidene Ziel Galiläa der Größe des Ereignisses gerecht? Könnte man nicht anderes erwarten, etwa die triumphale Erscheinung des Auferstandenen in Jerusalem oder in Rom oder in Athen? Der Herr wählt einen anderen Weg. Er will seine Jünger zunächst in der gemeinsamen Heimat treffen. Er will ihnen mitten in ihrem vertrauten Wirkungsfeld begegnen. Die Erneuerung der Welt soll in ihrem ureigenen Lebensraum beginnen. Jetzt schon, in unserem „Galiläa“, an dem Ort, wo wir hingestellt sind, dürfen wir seinen Frieden empfangen, hier und heute sind wir aufgerufen uns für seine Friedensordnung durch unseren Friedensdienst einzusetzen. Tun wir alles, damit der Friede Christi im Reich Christi lebt und wirkt. Amen.