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Der heiligen Kindheit Jesu verpflichtet

Predigt von Bischof em. Dr. Paul-Werner Scheele am vierten Adventssonntag, 18. Dezember, in der Mutterhauskirche der Dienerinnen der heiligen Kindheit Jesu in Kloster Oberzell

Antonie Werr in unserem Advent

Im Advent, den wir jedes Jahr feiern, und im Advent unseres ganzen Lebens sind uns gute Helferinnen und Helfer zur Seite gegeben. Die Propheten gehören dazu, besonders Jesaja und Jeremia, der heilige Nikolaus und die heilige Barbara gesellen sich zu ihnen. Johannes der Täufer führt uns dem Erlöser entgegen. Allen voran steht die Mutter des Herrn. Wie niemand sonst ist sie ihm verbunden, von ihm wird sie wie niemand sonst beschenkt, wie niemand sonst diente und dient sie ihm und uns.

Zu dieser Schar gehört auch Antonie Werr. Sie ist ein Kind der Adventszeit. Am 14. Dezember 1813, am Fest des heiligen Johannes vom Kreuz, wurde sie geboren. Zwei Tage zuvor war ihr Vater im Alter von 42 Jahren dem Typhus erlegen, den er sich beim Besuch von kranken Soldaten zugezogen hatte. Im Advent 1867 ging Antonie dem Tod entgegen. Eine Mitschwester, die Typhuskranke gepflegt hatte, hatte die Infektion ins Haus gebracht. Am 27. Januar 1868 starb Antonie, nachdem sie jeder Mitschwester tröstende und mahnende Worte zugesprochen hatte.

Was hat sie uns tröstend und mahnend zu sagen? Vieles und Wichtiges! Was sie schriftlich hinterlassen hat ist eine Quelle der Spiritualität und des sozialen Einsatzes, die noch längst nicht ausgeschöpft ist. Zu dem reichen Schatz ihrer uns überlieferten Zeugnisse gehört gewiss der doppelte Appell: „Lernt immer mehr die Kindheit Jesu kennen und lieben! Dient der Kindheit Jesu immer mehr und dient euren Mitmenschen im Geist der Kindheit Jesu!“

Die adventliche Botschaft der Antonie Werr

Die Kindheit Jesu verehren

Bei jedem „Angelus“ beten wir: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt“ (Joh 1,14). Das verweist uns auf die Mitte des Heilsgeschehens, die zugleich die Mitte unseres Glaubens ist. „Der Satz von der Menschwerdung Gottes ist der Zentralsatz des christlichen Credo“ . Das heutige Evangelium gipfelt in der Botschaft: Gott ist Kind geworden, ein Kind, „das einer Mutter bedurfte. Er ist Kind geworden, ein Wesen, das mit einer Träne in die Welt eintritt, dessen erster Laut das Schreien ist, das nach Hilfe ruft, dessen erste Gebärde die ausgestreckten Hände sind, die Geborgenheit suchen.“ Von diesem Geschehen ergriffen, schrieb Antonie Werr in der Einleitung zur Hausordnung im Jahr 1857: „In Wahrheit, nicht zum Schein stieg Er in den Schoß der heiligsten Jungfrau herab, in Wahrheit, nicht zum Schein nahm Er unser sterbliches Fleisch an und wandelte unter uns Menschen. In Wahrheit, nicht zum Schein, weinte Er, der gewaltige Gott, als ein armes Kind in der Krippe. In Wahrheit, nicht zum Schein nur war der große, gewaltige Gott von Leiden und Mühseligkeiten beladen von Jugend auf. In Wahrheit, nicht zum Schein, diente Er auf Erden Gott und den Menschen.“

Das Kindsein Jesu kann uns die äußerste Entäußerung des Gottessohnes bewusst machen. Zu Recht singen wir im Weihnachtslied:

„Er kommt aus seines Vaters Schoß

und wird ein Kindlein klein;

er liegt dort elend, nackt und bloß

in einem Krippelein …,

entäußert sich all seiner Gewalt,

wird niedrig und gering

und nimmt an eines Knechts Gestalt,

der Schöpfer aller Ding.“

Als Erzbischof von München hat unser Heiliger Vater von diesem Geheimnis der Liebe gesagt: Kind sein bedeutet: „Abhängigkeit, Angewiesensein, Hilfsbedürftigkeit, Verwiesenheit auf die anderen. Als Kind kommt Jesus nicht nur von Gott, sondern von anderen Menschen. Er ist im Schoß einer Frau geworden, von der er sein Fleisch und sein Blut, seinen Herzschlag, seine Gebärde, seine Sprache erhalten hat. Er hat Leben aus dem Leben anderer empfangen.“ Hierin ist sein einzigartiges Verhältnis zu seiner irdischen Mutter begründet. Zugleich gehört zu seiner Kindheit sein einzigartiges Verhältnis zu seinem himmlischen Vater. Der Hebräerbrief lässt es uns ahnen, wenn er uns offenbart: „Bei seinem Eintritt in die Welt spricht Christus: Schlacht- und Speiseopfer hast du nicht gefordert, doch einen Leib hast du mir geschaffen; an Brand- und Sündopfern hast du kein Gefallen. Da sagte ich: Ja, ich komme – so steht es über mich in der Schriftrolle ─ , um deinen Willen, Gott, zu tun“ (Hebr 10,5-7). Wie seine ewige Existenz so verdankt Jesus sein menschliches Leben ganz und gar dem Vater. Wie er im himmlischen Leben alles dem Vater wieder schenkt, was er von ihm empfangen hat, so soll sein ganzes irdisches Dasein dem Vater gehören. Alles soll nach dessen Willen geschehen. „Ja, Vater!“ ist das Grundwort seines Lebens von Kindsbeinen an. In seiner Muttersprache heißt das: „Abba, Amen“. „Die Richtung seines Lebens, der Wurzelgrund und der Zielpunkt, die es prägten, hieß: Abba – lieber Vater.“ Die längste Zeit seines Lebens leistet Jesus seinen Dienst in aller Stille. Bei seinem ersten Besuch im Heiligen Land nannte Papst Paul VI. das Haus von Nazaret „eine Schule, in der man beginnt, Christi Leben zu verstehen. Es ist die Schule des Evangeliums. Hier nämlich lernen wir vor allem sehen, hören, betrachten und verstehen, welch große und geheime Kraft in dieser schlichten, demütigen und köstlichen Offenbarung des Sohnes Gottes steckt. Nach und nach lernen wir vielleicht auch, ihm nachzufolgen.“

Um die Nachfolge des Herrn und um ein Leben nach seinem Evangelium ging es Antonie Werr, wenn sie sich und ihre Mitschwestern als „Dienerinnen der allerheiligsten Kindheit Jesu“ verstand. So ist es auch zu erklären, dass sie um diesen Namen kämpfen wollte „wie eine Löwin, der man die Jungen rauben will.“

Der Kindheit Jesu dienen

Die Treue zur Wahrheit und der Mut zur Wahrhaftigkeit fordern, dass man nicht nur über die Kindheit Jesu nachdenkt, sondern dass man ihr nachlebt. Deshalb ruft Mutter Antonie ihren Gefährtinnen zu: „… gehet täglich in die Schule der Demut, liebe Schwestern. Lernet von eurem Herrn und Meister, dem göttlichen Jesukinde, wie man sich demütigen, wie man gehorsam sein muss.“ Mit der heiligen Teresa von Avila ist Mutter Antonie davon überzeugt: Demut ist Wahrheit. Demut bejaht die Tatsache, dass wir alles, was wir sind und haben, Gott verdanken. Von der Demut handelt die erste Seligpreisung der Bergpredigt: „Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich“ (Mt 5,3). Mutter Antonie beschwört geradezu ihre Gefährtinnen: „Ich bitte euch, wohl zu bedenken, dass ihr mit dem Gewand der Dienerinnen der allerheiligsten Kindheit Jesu auch das Gewand der Demut angezogen habt, indem ja niemand demütiger war und ist als das göttliche Jesuskind, und dass ihr, wenn ihr diesem göttlichen Kind wohlgefallen wollt, so wie dasselbe die Demut lieben müsst und allem Stolz und aller Hoffart entsagen müsst.“ Demut bejaht alles Gute, Wahre und Schöne in den Mitmenschen und ist darauf aus, ihnen nach Kräften zu helfen. Deshalb mahnt Antonie: „Erhebt euch nie über andere, am allerwenigsten über eure Mitschwestern.“ Demut weiß, dass man ganz auf die Hilfe anderer angewiesen ist. Nur Dummheit und Stolz, die bekanntlich auf einem Holz wachsen, verneinen das. Wie das Kind Jesus hilfsbedürftig und zugleich hilfsbereit war, so gehört beides zum Dienst an der Kindheit Jesu.

Wie niemand sonst hat unsere liebe Frau sich in diesem Dienste bewährt. Sie hat das Jawort, das sie dem Boten Gottes bei der Verkündigung gab, treu durchgehalten; sie hat es in ihrem ganzen Leben Fleisch und Blut werden lassen. So können wir alles, was zum Leben im Geist der Kindheit Jesu und zu dessen Dienst gehört, in der Antwort zusammenfassen, die sie dem Boten Gottes gab: „Ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe nach deinem Wort“ (Lk 1,38). Gott schenke uns den Geist der Wahrheit und der Liebe, dass wir uns das zu Herzen nehmen und mit Maria sagen und leben: „Ich bin die Magd des Herrn – ich bin ein Sohn deiner Magd (Ps 86,16) – mir geschehe nach deinem Wort!“ Amen.

(5105/1691)