Würzburg/Bamberg (POW) Seit 1. Oktober 2007 ist Professor Dr. Wolfgang Klausnitzer (57) Inhaber des Lehrstuhls für Fundamentaltheologie und vergleichende Religionswissenschaft an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Würzburg. Der in Bad Windsheim geborene und 1976 in Bamberg zum Priester geweihte Theologe war unter anderen von 1989 bis 1994 Regens des Bamberger Priesterseminars. Seit 1994 ist er Professor für Fundamentaltheologie an der Universität Bamberg. In folgendem Interview spricht er besonders über das Verhältnis zwischen Christentum und Islam.
POW: Sie lehren seit 1. Oktober an der Universität Würzburg. Welche Gefühle verbinden Sie mit den Umzug von Bamberg nach Würzburg: Mehr das weinende oder das lachende Auge?
Professor Dr. Wolfgang Klausnitzer: Ich bin ja noch nicht ganz umgezogen. Ich habe noch bis 2009 zusätzlich den Lehrstuhl in Bamberg. Dann erst wird die Katholisch-Theologische Fakultät für die kommenden 15 Jahre stillgelegt. Bis dahin muss in Bamberg der Diplomstudiengang Theologie aufrecht erhalten werden. Für mich bedeutet das, dass ich ein Drittel meiner Zeit in Bamberg verbringe. Zusätzlich bin ich noch Mitglied des dortigen Domkapitels und zuständig für Ökumene und interreligiösen Dialog. So wie es aussieht, werde ich noch mindestens zwei Jahre dort wohnen. Ich habe in Würzburg ein Zimmer im Priesterseminar, weil ich drei Tage in der Woche dort arbeite.
POW: Wie schaffen Sie es rein organisatorisch, die verschiedenen Aufgaben und Wirkungsstätten unter einen Hut zu bringen?
Klausnitzer (lacht): Das frage ich mich auch. Aber im Ernst: Die Ordinariatskonferenz findet wöchentlich am Dienstag statt und dauert einen halben Tag. Das ist überschaubar. Gottesdienstverpflichtungen habe ich nicht allzu viele, hauptsächlich die Pontifikalgottesdienste mit Erzbischof Schick. Für den Posten des Ökumenebeauftragten und des Verantwortlichen für den Interreligiösen Dialog habe ich zwei tüchtige und qualifizierte Mitarbeiter mit voller beziehungsweise Viertelstelle, die die Arbeit für mich erledigen. Außer der wöchentlichen Dienstbesprechung und der Übernahme der Verantwortung fällt da kein großer Aufwand an. Was mich eher belastet, sind die Fahrten zwischen Bamberg und Würzburg.
POW: Wo sehen Sie den Hauptunterschied zwischen den Katholisch-Theologischen Fakultäten in Bamberg und Würzburg?
Klausnitzer: Der Unterschied liegt zum Beispiel in der engen räumlichen Bündelung in Bamberg: Dort sind die Lehrstühle in einem Gebäude unweit der Martinskirche zusammengefasst. In Würzburg ist alles auf mehrere Standorte verteilt. Das wird jetzt noch schlimmer: Mit dem Wegfall des Containerbaus hinter der Uni am Sanderring kommen die dort angesiedelten Einrichtungen in die Hörleinsgasse. Bamberg hatte am Schluss rund 300 Studierende, in Würzburg sind es doppelt so viele. Zuletzt waren wir fünf Professoren, die die Fakultät aufrecht erhalten mussten. Der Rest waren Dozenten mit Lehrauftrag. Würzburg ist für mich daher ein befreiendes Erlebnis. Wir sind 15 Kollegen und haben gute Chancen, Fakultät zu bleiben.
POW: Sie sind ausgewiesener Experte für das Verhältnis Christentum und Islam. Erst vor kurzem haben Sie dazu das Buch „Jesus und Muhammad. Ihr Leben, ihre Botschaft. Eine Gegenüberstellung“ geschrieben. Wie beurteilen Sie die Lage im Dialog dieser zwei Weltreligionen?
Klausnitzer: Das Problem ist: In Deutschland herrscht erst seit dem 11. September 2001 ein größeres Interesse am Dialog mit dem Islam. Im Blick auf die anderen Religionen stehen wir in Deutschland faktisch auf dem Stand, den wir in Sachen Ökumene vor 30 Jahren hatten. Was wissen wir denn wirklich von den anderen Religionen? Von den Orten, an denen sie gelebt werden? Alle, die zu diesem Thema schreiben, fangen gerade erst an, sich wirklich intensiv mit dem Thema zu beschäftigen. Wenn Karl-Heinz Ohlig in seinem Buch über den Islam schreibt, er sei prädestiniert dafür, über das Thema zu schreiben, weil er kein Arabisch spreche und deshalb unvoreingenommen an den Koran herangehe – das hat großen Eindruck auf die Orientalisten gemacht (lacht). Das Thema gewinnt gesellschaftlich an Interesse: Früher war für die Lehramtsstudenten die atheistische Religionskritik ein wichtiger Studienstoff. Mit der neuen Lehramtsprüfungsordnung sind die Weltreligionen in den Mittelpunkt gerückt worden. In Deutschland sind damit insbesondere das Judentum, das für das Christentum von einzigartiger Bedeutung ist, und der Islam relevant. Letzterer allein deswegen, weil in Deutschland rund vier Millionen Muslime wohnen.
POW: Wie gut funktioniert der Dialog mit den Muslimen?
Klausnitzer: Wir haben ein entscheidendes Problem: es fehlen die adäquaten Gesprächspartner. In ganz Franken gibt es einen einzigen Lehrstuhl eines Islamwissenschaftlers, Professor Harun Behr in Nürnberg. Seine Stelle wurde geschaffen, damit er in den Dialog mit der christlichen Theologie tritt. Schade nur, dass die katholische Theologie in Nürnberg als Studienfach gestrichen wird. Mit wem soll er dann in den Dialog treten? Von Hessen bis zum Bodensee wird er zu Vorträgen und Diskussionen eingeladen und ist für die nächsten zwei Jahre ausgebucht. Uns fehlt ein Gesprächspartner auf Augenhöhe. Die Leiter der Moscheen vor Ort können oft gar kein Deutsch. In Nürnberg werden von den zehn Moscheen acht von DITIB kontrolliert. Diese Organisation schickt Imame aus der Türkei nach Deutschland und nach rund vier Jahren, sobald sie Deutsch können, wieder nach Hause. Viele Moscheenleiter haben keine Ahnung von Theologie in unserem Verständnis. Mit historisch-kritischer Methode brauche ich da nicht zu kommen. Da wird einfach der Koran als unmittelbares Wort Gottes zitiert. Das macht den Dialog wirklich schwer.
POW: Um noch einmal auf Ihr aktuelles Buch zurück zu kommen. Was sind die Hauptunterschiede zwischen Jesus und Muhammad?
Klausnitzer: Es gibt zwei Ansätze, sich mit Jesus zu beschäftigen. Bei der Christologie von oben, wie sie der Papst in seinem Jesusbuch betreibt, fängt man von der Göttlichkeit Jesu her an und versucht nachzuweisen, dass er auch ein ganz besonderer Mensch war. Der andere Ansatz ist die Christologie von unten. Diese beginnt beim historisch-kritischen Jesus und kommt von dort zum Christus des Glaubens. Von Jesus wissen wir historisch mehr als man gewöhnlich meint. Das stelle ich in dem Buch dar. Dann habe ich versucht, den Kontext des Lebens Jesu herauszuarbeiten und auf die Frage einzugehen, welche Rolle Jesus im Koran spielt. Man muss sich einmal vor Augen halten: rund die Hälfte der Menschheit sind Christen (zwei Milliarden) oder Muslime (eine Milliarde). Und Muhammad und Jesus sind ihre Referenzfiguren, aber in unterschiedlicher Qualität: Jesus ist für die Christen – als unmittelbare Vergegenwärtigung Gottes – in etwa auf der Stufe wie der Koran für die Muslime. Muhammad ist mehr der Übermittler einer Botschaft. Und trotzdem gibt es etliche Gemeinsamkeiten zwischen Jesus und Muhammad.
POW: Lassen Sie’s uns wissen!
Klausnitzer: Da ist zum Beispiel die Gemeinsamkeit der kulturellen Tradition. Palästina, Syrien und Arabien sind ein Kulturkreis. Viele jüdische Traditionen zur Zeit Jesu sind nach Arabien eingesickert. Muhammad hatte ja mit Juden zu tun und vereinzelten esoterischen Christen aus Äthiopien und Syrien – Monophysiten und Kopten. Das waren Christen, die zum Teil Maria für die Inkarnation des Geistes hielten. Da gibt es im Koran die berühmte Stelle: „Ihr sagt: Gott, Jesus und Maria.“ Das war kein Missverständnis Muhammads, sondern die Position einer kleinen syrischen Sekte. Muhammad übernimmt gewisse judenchristliche Traditionen, zum Beispiel die, dass Jesus nur der Prophet Gottes ist. Es gibt drei Suren, die sich ausdrücklich mit Jesus beschäftigen. Vor allem die fünfte Sure, die sich auf apokryphe Kindheitsevangelien bezieht. Zum Beispiel berichtet er auch von den Eltern Mariens, Joachim und Anna. Oder er widerspricht der Kreuzigung Jesu. Der Gedanke, der dahinter steckt: Ein Prophet, der scheitert, bedeutet auch das Scheitern Gottes. Gott kann nicht scheitern! Ich habe einen Kollegen, der hat es einmal so formuliert: Man könnte, etwas überspitzt gesagt, den Islam in einer Fußnote behandeln – als Fußnote zu häretisch-gnostisch-doketistischen Strömungen im syrischen Christentum. Die Luxenberg-These ist äußerst interessant, aber auch sehr umstritten: Sie besagt, die vielen unverständlichen Wörter im Koran seien syrischer Herkunft und ein Beleg für den Einfluss des christlichen Syrien auf den Islam.
POW: Halten Sie diese These für bedeutend?
Klausnitzer: Es steht auch im Koran, dass sich die Mekkaner beschweren, Muhammad unterhalte sich dauernd mit einem christlichen Sklaven namens Dschabr, der auf Syrisch mit ihm spreche. Der gegnerische Vorwurf im Koran lautet, er habe alles von ihm gelernt. Die Sure geht aber noch weiter. Dort entgegnet der Erzengel Gabriel Muhammad: „Das kann nicht sein, denn ich habe es Dir auf Arabisch gesagt.“ Es gibt also Zusammenhänge, die noch der Erforschung bedürfen.
POW: Welchen Schluss ziehen Sie aus Ihren Erkenntnissen für den Dialog mit dem Islam?
Klausnitzer: Es wäre schön, wenn es uns – Christen und Muslimen – gelänge, mit einer gewissen kritischen Objektivität über Muhammad zu sprechen, wie es ein durchaus gläubiger Christ auch über den historischen Jesus tun kann. Gemeinsam könnten wir uns auf ein ganz interessantes Gebiet bewegen.
POW: Was genau meinen Sie?
Klausnitzer: In der frühen islamischen Tradition gibt es durchaus eine Kritik an Muhammad. Man hört derzeit immer wieder: Der Islam hat die Aufklärung noch vor sich. Ich glaube: er hat sie bereits hinter sich, nur haben die Menschen das wieder vergessen. Im 12. und 13. Jahrhundert gab es in Damaskus eine Aufklärung, die die Scholastik gefördert hat. Dort wurde Aristoteles gelehrt. Später kam er erst über Spanien und Italien wieder nach Europa. In Syrien lebten also im 12./13. Jahrhundert aufgeklärte Muslime, die sich durchaus kritisch mit Muhammad auseinander setzten. So wurde zum Beispiel die Frage gestellt, was es mit den Frauen auf sich hat. Muhammad hatte 13, laut Koran waren maximal vier erlaubt. „Es scheint, dass Gott Dir ganz besonders interessante Suren gibt“, zitiert die Muhammad-Standardbiographie seine Frau Aisha. Auch wurde damals ganz nüchtern davon berichtet, dass Muhammad Aufträge gab, in Mekka Menschen zu liquidieren. Oder davon, dass Muhammad auch als Mitkämpfer Krieg geführt hat. Ich sehe eine merkwürdige Entwicklung: Jesus ist der Sohn Gottes und wird in der Theologie zunehmend vermenschlicht. Muhammad umgekehrt sagt von sich im Koran: Ich bin nur ein Mensch. Und heute wird er zunehmend geradezu vergöttlicht, so dass man ihn gar nicht mehr als Mensch darstellen darf. Lassen Sie mich das Ganze an einem Beispiel aus der Entstehung meines Buchs verdeutlichen: Wir hatten für den Umschlag eine syrische Darstellung aus dem 11. Jahrhundert: Jesus mit Turban und auf einem Pferd reitend, im Gespräch mit Muhammad, mit einem Gesicht und ebenfalls mit Turban auf dem Kopf. Dann gab es eine Riesendiskussion im Verlag wegen der Darstellung Muhammads. Was im 11. Jahrhundert ging, geht heute nicht mehr.
POW: Gibt es da möglicherweise auch eine Ungleichzeitigkeit im Islam: Zum Beispiel, wenn man den Islam Bosnien-Herzogowinas mit dem Saudi-Arabiens vergleicht?
Klausnitzer: Das gibt es auch im Christentum. Kardinal Lehmann hat gesagt: Wir müssen die Voraussetzungen schaffen, damit sich ein wissenschaftlich aufgeklärter Islam in Deutschland entwickeln kann. Das Antwortschreiben der 138 muslimischen Gelehrten auf die Regensburger Rede des Papstes ist für mich da ein Hoffnungszeichen. Gerade diese Leute sind zum Gespräch bereit.
POW: Wie sieht das Verhältnis des Christentums zu den anderen großen Religionen in Deutschland aus, Buddhismus, Judentum und Hinduismus?
Klausnitzer: Der Buddhismus hat eine große Zahl intellektueller Sympathisanten. Zahlenmäßig ist er aber relativ unbedeutend. Gleiches gilt für den Hinduismus. Von besonderer Bedeutung ist der Dialog mit dem Judentum. Christen und Juden sind aufeinander verwiesen. Das Christentum ist ohne das Judentum nicht zu denken. Schwierig ist aber die Frage, mit wem wir reden. Orthodoxe Juden lehnen den Dialog der Religionen ab. Die Reformjuden sind dafür offen.
POW: Im Bereich der Ökumene ist die Frage nach dem Primat des Papstes ein heikles Thema. Der Papst hat das Thema selbst zur Sprache gebracht, um den orthodoxen Kirchen entgegen zu kommen.
Klausnitzer: Schon 1976 hat er den bekannten Vorschlag gemacht, den westlichen Primat von der Praxis der Kirchengeschichte des 1. Jahrtausends her zu interpretieren. Man kann allerdings 1000 Jahre Kirchengeschichte nicht so einfach revidieren. Es scheint trotzdem verheißungsvoll, dass einige orthodoxe Theologen jetzt bereit sind, über den Primat zu sprechen. Das Problem ist nur, dass die Orthodoxen untereinander zerstritten sind. Da stellt sich unter anderem auch die Frage: Mit wem reden wir als Katholiken? Der Patriarch von Konstantinopel ist in engem Dialog, repräsentiert aber nur noch wenige Christen in der Türkei. Die griechisch-orthodoxe Kirche erkennt ihn in der Praxis der Bischofsernennungen nicht an. Die Mönche vom Berg Athos zum Beispiel haben ihn de facto exkommuniziert wegen seiner ökumenischen Kontakte. Aufgeschlossen scheinen die bulgarische, die rumänische sowie unter Umständen die russische Orthodoxie. Es ist wohl katholisches Wunschdenken, dass die gesamte Orthodoxie bei der Primatsfrage zustimmt, nur weil der Patriarch von Konstantinopel zustimmt. Eher das Gegenteil ist der Fall.
POW: Wie lange dauert es wohl, bis es in diesem Punkt eine Einigkeit gibt?
Klausnitzer: Man muss in der Ökumene einen langen Atem haben. Es gibt weniger theologische als psychologische Barrieren. Das Gleiche merken wir bei der Ökumene mit der evangelischen Kirche: Seit der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre sind wir uns theologisch näher als je in den zurückliegenden 500 Jahren. Aber gleichzeitig bricht über Landesbischof Johannes Friedrich eine lutherische Welle der Empörung herein, wenn er vorschlägt, einmal aus protestantischer Sicht über die Stellung des Papsts in Rom nachzudenken.
POW: Sören Kierkegaard ist ein wichtiger Impulsgeber für Ihre Spiritualität, den sie vielen Studenten schon zur Lektüre empfohlen haben. Was macht diesen Mann und seine Theologie so besonders?
Klausnitzer: Spirituell haben mich eher die Jesuiten geprägt. Aber ich schätze Kierkegaard sehr als Denker. Erst kürzlich habe ich ihn auch in der Vorlesung behandelt. Er sagt, dass jede Entscheidung für Gott eine persönliche Wahl ist. Diese Idee begegnet uns aber so auch schon bei Ignatius von Loyola. Kierkegaard sagt vom Glauben: Du sitzt im Dunkeln auf einer Mauer, von der Du nicht weißt, wie hoch sie ist. Und du hörst aus der völligen Dunkelheit um Dich eine unbekannte Stimme, die sagt: Spring. Dem hat Romano Guardini schon entgegnet: Das ist nicht ganz katholisch. Es sei nicht völlig dunkel und man wisse auch, dass diese Stimme Jesu Stimme ist. Wir haben den Glauben und den Verstand – fides et ratio: Wir können uns durchaus auch mit Vernunft dem Glauben nähern, und nicht nur aufgrund persönlicher Erfahrung und Entscheidung. Aber am wichtigsten ist für mich Ignatius. Mich inspiriert seine Aussage: Gott in allen Dingen finden; Studium ist Gottesdienst. Der Logos Gottes findet sich in allen Kulturen. Wie Karl Rahner sagt, müssen wir nicht erst Christus in die Welt tragen, sondern nur aufdecken, wo er schon lange ist. Auch in den anderen Religionen und Kulturen. Ich bin ein Rahner-Schüler, und kann seine These nur unterstreichen.
(4907/1643; E-Mail voraus)
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