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Die „blinden Flecken“ sichtbar machen

Alternativer Stadtrundgang „Würzburg offside“ bringt jungen Menschen das Thema Wohnungslosigkeit näher – Auszubildende der Missio-Klinik besuchen „Underground“, Wärmehalle, Bahnhofsmission und Caritasladen

Würzburg (POW) Wer mit offenen Augen durch Würzburg geht, sieht sie überall: Frauen und Männer jeden Alters, die auf der Straße leben. „Wir sehen das täglich, aber wir können es gut ausblenden“, sagt Esther Schießer von youngcaritas Würzburg. Doch Wohnungslosigkeit sei nur „die Spitze des Eisbergs“, erklärt sie. Es gebe auch viele Menschen, die oft jahrelang in schwierigen Wohnsituationen lebten oder bei Freunden übernachteten. Mit dem alternativen Stadtrundgang „Würzburg offside“ wolle youngcaritas diese „blinden Flecken“ sichtbar machen. Bei der 20. Auflage des Rundgangs besuchten 13 angehende Pflegefachkräfte im zweiten Ausbildungsjahr und eine Praktikantin vom Klinikum Würzburg Mitte, Standort Missio-Klinik, mit den Lehrerinnen Simone Mathe und Ilona Telge die Streetwork-Anlaufstelle „Underground“, die Wärmehalle, die Bahnhofsmission und den Caritasladen. „Es war supergut. Ich habe nicht gewusst, dass es solche Hilfen gibt“, sagte ein Teilnehmer nach der rund zweieinhalbstündigen Führung beeindruckt.

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Anlaufstelle „Underground“: „Wir wollen ein Schutzraum für junge Menschen sein“

Von außen erkennt man den Eingang zum „Underground“ im rechten Flügel des Bahnhofsgebäudes nur an einem grauen Schild mit der Aufschrift „Streetwork“ in verblasstem Orange. Durch einen schmalen Gang gelangt man in einen gemütlichen Raum mit vielen Sitzgelegenheiten und langen Tischen. Die jungen Männer und Frauen lassen sich in die tiefen Sofas sinken oder setzen sich auf gepolsterte Holzstühle. In einem Holzregal sind Bücher und Spiele gestapelt. Das „Underground“ richte sich an junge Männer und Frauen bis 27 Jahren, erklärt Regine Dietl, Sozialpädagogin und Streetworkerin. „Die meisten, die hierherkommen, hatten einen schweren Start.“ Als Beispiele nennt sie die Scheidung der Eltern, psychische Erkrankungen oder Missbrauch. Die jungen Menschen hätten oft keinen Schulabschluss und keine Berufsausbildung. „Wenn man kein Geld hat, verdient man sein Geld vielleicht mit Drogenhandel und rutscht ganz schnell ab“, schildert Dietl. Mit der Altersgrenze wolle man verhindern, dass die jungen Menschen zu viel Kontakt mit Älteren haben, die schon länger auf der Straße leben „und die das eventuell glorifizieren. Wir wollen ein Schutzraum sein.“

Im „Underground“ können sie sich von montags bis samstags an den Nachmittagen aufhalten, duschen, ihre Wäsche waschen – und zusammen kochen. „Viele unserer Klienten haben nicht erlebt, wie es ist, gemeinsam zu kochen und zu essen, dass das schön ist“, sagt Dietl. Auch Freizeitaktivitäten werden angeboten, wie Mal-Workshops oder gemeinsames Grillen am Main. In einem Schrank liegen Stapel von Second-Hand-Kleidung. Dort könne sich jeder rausnehmen, was er brauche. „Dürfen sie das behalten?“, will eine Schülerin wissen. Dietl bejaht. „Alles, was Ihr seht, wird über Spenden finanziert. Wir haben Gott sei Dank viele private Spender.“ Die „Tafel“ spende Lebensmittel. Auch Firmen würden Kleidung oder Schlafsäcke spenden. Zudem gebe es die Möglichkeit, eine eigene Postadresse im „Underground“ einzurichten. „Eine Postadresse ist die Mindestanforderung, um zum Beispiel beim Jobcenter Sozialleistungen zu bekommen“, erklärt Dietl. Sehr ruhig und nachdenklich verlässt die Gruppe das „Underground“ und überquert den belebten Bahnhofsvorplatz. „Es hat Lust gemacht, dort Sachen hinzugeben“, sagt eine junge Frau.

Würzburger Wärmehalle: Ein Ort gegen die Einsamkeit

Nächste Station ist die Wärmehalle in der Posthalle. Wieder eine graue Eingangstür und ein langer Gang. Vor dem Eingang zur Wärmehalle steht ein Tisch, an dem mit Klebeband ein Schild mit der Aufschrift „Herzlich willkommen“ befestigt ist. Der Raum selbst ist vor allem funktionell – ein Tresen aus Holzpaletten, dahinter eine große Kücheneinheit. Schlichte Tische mit jeweils vier Stühlen. Deren Bezüge sind so dunkelgrau wie die mit Kunststoffplanen bespannten Trennwände am Ende des Raums. Der erste Eindruck ist wenig anheimelnd. Doch auf den Tischen stehen Blumentöpfchen, die Wände sind mit bunten Kinderzeichnungen verziert. Auf einem großen Blatt, das auf einer der Stellwände klebt, sind unzählige Umrisse von Händen zu sehen, dazwischen steht handschriftlich „Das bin ich/sind wir“. Eine Dame, die regelmäßig zu Besuch in der Wärmehalle sei, habe das Plakat mitgebracht und aufgehängt, erzählt Eric Bernhard, einer der Projektleiter. Für ihn sei das einer der „spannendsten Orte Würzburgs“, sagt Michael Lindner-Jung, Leiter der Würzburger Bahnhofsmission. „Das ist das Projekt, das in meiner Arbeit die meisten Menschen zusammengebracht hat. Dieses Jahr können die Menschen wieder beieinander sitzen und man merkt, welche Freude sie daran haben.“ An einer Wäscheleine an der Wand hängen blaue und rote Zettel. Darauf haben die Gäste geschrieben, wovor sie Angst haben und worüber sie sich freuen. „Menschen, die mir ohne Grund ein Lächeln schenken“, steht auf einem der Zettel.

Entstanden ist das Projekt nach den Erfahrungen aus dem ersten Corona-Lockdown im Jahr 2020. Sowohl die Bahnhofsmission wie die Wärmestube mussten ihre Angebote aufgrund der Schutzmaßnahmen stark reduzieren. „Aber es konnte nicht sein, dass unsere Leute draußen bleiben müssen“, sagt Lindner-Jung. So starteten die Bahnhofsmission, das Rote Kreuz und die Stadt Würzburg im Januar 2021 gemeinsam das Projekt Wärmehalle. „Statt Corona haben wir jetzt die Energiekrise, die Finanzkrise und den Krieg in der Ukraine. Deswegen sind mehr Menschen von Altersarmut betroffen“, berichtet Projektleiter Bernhard. Für viele sei die Wärmehalle eine Möglichkeit, um daheim Heizkosten zu sparen und eine warme Mahlzeit zu bekommen. „Wir haben im Schnitt 77 Gäste pro Tag und geben rund 25 Liter Suppe aus.“ Drei hauptamtliche und rund 25 ehrenamtliche Helferinnen und Helfer kümmern sich um die Gäste. Das Projekt lebe von Spenden und vom Ehrenamt, sagt Bernhard: „Ohne die Ehrenamtlichen könnte es nicht stattfinden.“

Bahnhofsmission: Rund um die Uhr geöffnet

Von der Wärmehalle sind es nur wenige Schritte zur Bahnhofsmission. Lindner-Jung führt die Gruppe in den sonnendurchfluteten Raum. Auf den kleinen Tischen stehen Vasen mit bunten Blumen. Es gibt belegte Brötchen, Tee und Kaffee, ein kleines Bücherregal und einen Schrank mit Kleidung. Die Wände sind in freundlichen Pastellfarben gestrichen, die an einer Wand zu einem bunten Regenbogen zusammenfließen. „Am Bahnhof kommen viele unterschiedliche Menschen zusammen“, sagt Lindner-Jung. Manche hätten ihre Fahrkarte oder den Geldbeutel verloren und kämen deshalb nicht weiter. Andere seien arm, psychisch krank, kämen aus einem fremden Land oder seien schlicht einsam. „Drei Tage nach Beginn des Ukrainekriegs hatten wir einen massiven Anstieg. Wir merken nicht nur unheimlich schnell, was in der Stadt und im Landkreis passiert, sondern auch in Europa und der Welt.“

Viele der Besucherinnen und Besucher hätten mehr als nur ein Problem. Wenn das Einkommen nicht reiche und man sich deshalb weniger am Leben beteiligen könne, sei das psychisch belastend, erklärt er als Beispiel. „Wenn ganz viel aufeinander kommt, ziehen sich viele Menschen zurück. Bei uns heißt es: Es ist schön, dass Du da bist. Das ist wichtig für Menschen, die oft erleben, dass sie stören.“ Er zeigt auf eine Replik des lächelnden Christus aus der Krypta des Kiliansdoms, die an der Wand hängt. Unten im Kreuz ist eine Bruchstelle. „Eine Frau hatte sich total gestört gefühlt, hat das Kreuz genommen und auf den Boden geknallt. Es gibt im Leben viele Bruchstellen, aber man kann sie wieder zusammenfügen.“

Dann führt er die Gruppe durch eine Tür in einen Raum mit mehreren Stockbetten. Alle sind frisch bezogen. „Hier können Frauen unterkommen, die sich bedroht fühlen“, erklärt Lindner-Jung. Er erzählt der aufmerksam zuhörenden Gruppe die Geschichte von einer alten Frau, deren Sohn im Rausch ihre Wohnung verwüstete: „Sie ist aus der Wohnung geflohen und kam zur Bahnhofsmission.“ Oder von der Frau, die mit Würgemalen vor der Tür stand. Normalerweise könnten Frauen zweimal im Monat hier übernachten, immer bis zum nächsten Werktag. „Aber akut bedrohte Frauen bleiben so lange hier, bis wir einen Ort gefunden haben, an dem sie sicher sind.“ Wer spätabends oder am Wochenende Hilfe brauche, könne nur zur Bahnhofsmission kommen, sagt Lindner-Jung: „Dieser Raum ist alternativlos.“

Caritasladen: Kleidung für Menschen mit wenig Geld

Der Stadtrundgang endet im Caritasladen in der Koellikerstraße. „Es ist ein Second-Hand-Laden für Menschen mit wenig Geld“, erklärt Schießer. Gegen Vorlage der „Caritasladencard“ könne man Kleidung umsonst mitnehmen – für Männer, Frauen und Kinder. Auf den Tischen liegen Haufen gespendeter Kleidung, die von den Mitarbeitern erst noch durchsortiert und auf Schäden überprüft werden müssen. „Es sollten nur Sachen gespendet werden, die Ihr auch Euren Freundinnen oder Freunden geben würdet“, erklärt Schießer als Faustregel. Während die jungen Leute durch den Laden wandern, sortieren sie ihre Eindrücke. Die meisten hatten bislang keine Berührungspunkte mit Wohnungslosigkeit. „Wenn Häuser ausgebrannt sind, stehen die Menschen ein paar Tage ohne etwas da“, erzählt eine Frau, die sich in der Freiwilligen Feuerwehr engagiert. Der Rundgang hat alle beeindruckt. „Mir war nicht bewusst, dass es ein so großes Netzwerk gibt“, lautet eine Reaktion. Viele sind vom „Underground“ beeindruckt – vielleicht, weil die Gäste dort ihnen vom Alter am nächsten sind. Einige sind besonders von den Zetteln in der Wärmehalle berührt, auf denen die Menschen Gründe zur Freude niedergeschrieben haben. „Es ist schön, wie herzlich und freundlich die Mitarbeiter waren“, fasst eine junge Frau ihre Eindrücke zusammen: „Ich glaube, ich würde mich sehr gut aufgehoben fühlen.“

Informationen zu den Einrichtungen

Informationen zum Stadtrundgang „Würzburg offside“ gibt es bei youngcaritas Würzburg vom Caritasverband für die Stadt und den Landkreis Würzburg.

Mehr zur Anlaufstelle „Underground“ der Streetwork von der Diakonie Würzburg findet man auf der Homepage.

Die Bahnhofsmission der ökumenischen Christophorus-Gesellschaft ist zusammen mit dem Bayerischen Roten Kreuz und der Stadt Würzburg auch verantwortlich für die Wärmehalle in der Posthalle. Informationen hierzu gibt es bei der Stadt Würzburg und beim Bayerischen Roten Kreuz.

Mehr zum Caritasladen des Caritasverbands für die Stadt und den Landkreis Würzburg erfährt man im Internet.

Eine Übersicht über alle Hilfsangebote in Würzburg gibt es im Flyer „Würzburger Wegweiser“. Er liegt bei der Würzburger Bahnhofsmission und vielen weiteren Einrichtungen aus. Auf der Homepage der Bahnhofsmission gibt es ihn zudem zum Download.

sti (POW)

(1423/0402; E-Mail voraus)

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