Óbidos/Würzburg (POW) Weites Land, eine Seelsorge, in der die Bibel besondere Bedeutung hat, und Glaubensfreude. Welche sonstigen Eindrücke Weihbischof Ulrich Boom vom Besuch im künftigen brasilianischen Partnerbistum Óbidos mitgenommen hat und wie er sich das Miteinander der beiden Bistümer vorstellt, erläutert der Weihbischof im folgenden Interview.
POW: Eine Woche Brasilien liegt hinter Ihnen. Welche Eindrücke aus dem künftigen Partnerbistum Óbidos am Amazonas nehmen Sie mit nach Hause?
Weihbischof Ulrich Boom: Ganz vielfältige. Zum einen die Menschen, die unter ganz anderen Bedingungen als wir bei uns ihren Glauben leben – und das auf ganz lebendige Weise. Sie tun das mit entschieden weniger organisatorischem Aufwand als in Deutschland. Nicht, dass ich das schlechtreden möchte. Es macht mich aber mitunter sehr nachdenklich im Blick auf uns – und das schon länger.
POW: Können Sie ein Beispiel benennen, wo sie den Glauben der Brasilianer als besonders lebendig erlebt haben?
Weihbischof Boom: Ich denke da zum Beispiel an den freudigen Tanz, mit dem in dem einen Gottesdienst ein Mädchen das Wort Gottes zum Ambo getragen hat. Das war gewiss vorher geübt, aber es war für jeden sichtbar, mit wie viel Freude die Gruppe die Bibel zum Bischof brachte und dieser sie entgegennahm. Die beiden Lektoren haben mit sichtbarer Hingabe und Begeisterung die Lesungen vorgetragen – der eine sogar auswendig. Auch an vielen anderen Stellen war zu erkennen, welche Wertschätzung dem Wort Gottes in Brasilien entgegen gebracht wird. Das ist gewiss etwas, was wir uns in Deutschland abschauen können: Dass wir das Wort Gottes ganz ernst nehmen, nicht nur so beiläufig „konsumieren“. Dass wir erkennen, dass die Worte, die uns dort geschenkt sind, etwas für unser Leben geben können.
POW: Haben Sie eine konkrete Bibelstelle parat?
Weihbischof Boom: Ich denke an die Stelle aus dem Buch Samuel, die in dieser Woche in der Liturgie gelesen werden. Da geht es um die Lebensgeschichte von König David. Aus diesem Buch können wir entnehmen, wie sehr Gott uns liebt, dass er auf den krummen Zeilen unseres Lebens seine Heilsgeschichte schreibt, und wie tröstend alles das ist, was dort gesagt wird.
POW: Kann es dann auch tröstend für uns in Deutschland sein zu sehen, wie sehr die Laien in Brasilien sich in die Verantwortung nehmen lassen und auch, wie sehr sie von ihren Bischöfen in die Verantwortung genommen werden?
Weihbischof Boom: Das Zusammenspiel aller Dienste in der Kirche ist in Brasilien von vornherein vielmehr gegeben. Die Gemeinden wissen, wenn sie den Glauben lebendig halten wollen, dann müssen sie selbst etwas tun. Und die Bischöfe wissen auch diese Aufgaben bei den Laien in guten Händen. In Deutschland haben wir vielleicht mitunter auch nicht genügend Vertrauen zueinander und in den eigentlichen Herrn der Kirche: Jesus Christus, der uns führt und dahin begleitet, wohin wir gehören: Zu Gott, der unser Vater ist.
POW: Der Bischof von Santarém hat bei einem kurzen Treffen unter anderem erzählt, dass er kürzlich in einer Gemeinde seines Bistums war, an der zuletzt vor drei Jahren ein Priester vorbeigekommen ist. Sind wir in Würzburg, von dieser Warte aus betrachtet, unter Umständen zu sehr auf die Eucharistie als Gottesdienstform für die Versammlung der Gemeinde fixiert?
Weihbischof Boom: Das könnte schon sein. Wenngleich ich hier in Brasilien auch nicht erlebt habe, dass man die Eucharistie außen vor lässt. Sondern man sagt: Das haben wir hier im Moment nicht. Die Bischöfe wissen um die Not, dass die Eucharistie nicht überall gefeiert werden kann. Sie wissen aber auch, dass das Heil nicht von der Eucharistie allein abhängt. Das Heil hängt davon ab, dass wir Gott vertrauen, dass er gute Wege mit uns geht. Der Bischof von Santarém weiß darum. Man ändert die Dinge nicht damit, dass man in einer permanenten Angst lebt, alles regeln zu müssen. Für die Kirche gilt, in Brasilien wie in Deutschland gleichermaßen, dass Gott sie führt. Vielleicht müssen wir das ganz neu lernen. Ich weiß nicht, was der Herr uns auf diesem Weg noch alles aufgeben wird – im wahrsten Sinne des Wortes.
POW: Das Bistum Óbidos muss mit sehr wenigen Priestern auf großer Fläche auskommen. Kann dieses Modell eine Anregung sein, wie im Bistum Würzburg Entlastung für die Priester geschaffen werden kann?
Weihbischof Boom: Wir müssen unsere Pastoral anders denken und angehen. Wir werden in Zukunft nicht mehr wie früher für alle Gemeinden einen Priester haben. So wie wir heute in Deutschland leben, kann der Priester auch nicht mehr sein Priester-Sein leben wie etwa vor 50 Jahren. Wir können von Óbidos lernen, dass wir darüber nachdenken, wie wir die Pastoral, also die Sorge um den Menschen, anders angehen. Es hängt nicht alles am Priester. Es hängt alles an Gott! Wir reden viel von der Kirche, das ist gewiss wichtig. Als erstes aber gilt es, von Gott zu reden, dann von den Menschen, und dann von der Kirche. Sie ist das Vehikel, das Schiff, das, ob auf dem Amazonas oder auf dem Main, auf dem Strom der Zeit unterwegs ist in den Hafen der Ewigkeit, das heißt: bei Gott zu sein.
POW: Die Partnerschaft zwischen Óbidos und Würzburg wird im Advent vertraglich unterzeichnet. Was ist von Würzburger Seite zu tun, damit diese Beziehung mit Leben erfüllt wird?
Weihbischof Boom: Der Vertrag bekräftigt nur noch einmal, dass wir in der Kirche miteinander intensiv als Brüder und Schwestern leben wollen. Das heißt zunächst einmal, dass wir aufeinander hören. Die Gaben, die wir dann einander geben, sind sehr unterschiedlich.
POW: Nämlich?
Weihbischof Boom: Die Bischöfe in Brasilien müssen zum Beispiel viel Geld in die Priesterausbildung geben. Deswegen haben wir gesagt, dass die Kollekten der Kiliani-Wallfahrtswoche in diesem Jahr nach Óbidos gehen sollen. Geld ist gewiss nicht alles, aber es gehört zum geschwisterlichen Miteinander, dass wir versuchen, das Materielle miteinander zu teilen. Das andere ist, dass wir den Schatz des Glaubens teilen. Da können uns die Christen Amazoniens eine Menge geben. In den vergangenen Tagen war deutlich spürbar, dass es Freude bereitet, miteinander glauben zu können.
POW: Die Diözese Óbidos hat das Leitwort: „Eine missionarische Kirche im Herzen Amazoniens“. Kann das auch für das Bistum Würzburg ein Ansporn sein, die Weitergabe des Glaubens wieder verstärkt in den Blick zu nehmen?
Weihbischof Boom: Das versucht die Deutsche Bischofskonferenz seit Jahren. So zum Beispiel in dem Bischofswort „Zeit der Aussaat“. Es ist keineswegs so, dass wir Gott irgendwohin bringen müssten. Er ist überall schon da. Die eigentliche Mission ist, dass wir mit den Menschen entdecken, dass Gott schon immer am Werk ist. Darum geht es in Brasilien genauso wie bei uns. Wir waren bei der Eröffnung der Einrichtung „Fazenda de Esperança“ dabei, in der Suchtkranken eine Rückkehr in ein normales und geregeltes Leben aufgezeigt wird. Der Ursprung der Fazenda geht darauf zurück, dass ein Priester einem Drogenabhängigen ein Fahrrad lieh, obwohl er damit rechnen musste, es nicht wieder zu bekommen. Er hat dem jungen Mann Vertrauen geschenkt, und dieser brachte das Rad zurück. Ich glaube, wenn wir Vertrauen schenken, dann kommt es zurück und erschließt immer wieder den Himmel. Wir können nicht 24 Stunden pro Tag arbeiten und uns um alle Dinge und alle Menschen kümmern. Deswegen müssen wir uns immer wieder Gott anvertrauen, der sich immer um uns kümmert und uns nahe ist. Deswegen brauchen wir, bildlich gesprochen, auch am Main viele „Fazendas de Esperança“, wo wir das Leben im Vertrauen auf Gott einüben.
POW: Den Bischof von Óbidos habe ich schon nach seiner Vision für die Beziehung mit dem Bistum Würzburg im Jahr 2022 gefragt. Wie sieht Ihre aus?
Weihbischof Boom: Ich würde in diesem Kontext auch das Bistum Mbinga in Tansania, unser anderes Partnerbistum, mit hinzunehmen. Meine Vision ist, dass wir vertieft lernen, nicht nur Kirche vor Ort zu sein, sondern weltweit. Dass wir alle unterschiedliche Sorgen und Nöte haben, aber dass wir gemeinsam Freude und Hoffnung in die Welt hinein tragen und das untereinander auch in einer Dreierallianz stark machen, in Europa, Afrika und Lateinamerika. Wenn wir uns dem Evangelium anvertrauen, wird das gut gelingen. Im Markusevangelium gibt es die Geschichte vom blinden Bartimäus, der um Hilfe ruft. Uns geht es ganz ähnlich wie ihm: Wir gehen quasi blind in die Zukunft hinein, wissen oft nicht wohin und weder aus noch ein. Der Apostel sagt zu Bartimäus: Hab Mut, steh auf, er ruft dich. Wir leben in vielen Situationen in einer großen Resignation. Und dennoch können wir mutig nach vorne gehen. Christus ruft uns. Sein Ruf ist immer ein Ruf der Liebe, ein Ruf des Lebens.
(0512/0125; E-Mail voraus)
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