Lieber Abt Johannes,
liebe Schwestern und Brüder im Herrn!
Die Sendung der – und nicht „mit der“ – Maus
Eine Maus war es, die der Überlieferung nach die Erinnerung an das Heiltum in Andechs wiederbelebte. Denn die Maus habe ein Verzeichnis mit den Reliquien ans Tageslicht befördert. Daraufhin erst habe man in Andechs begonnen, nach dem vergessenen Heiltum zu suchen und habe es dann im Jahre 1388 glücklicherweise wiedergefunden. Es war also die Sendung der Maus und nicht „die Sendung mit der Maus“. Denn manchmal bedient sich Gott auch der unvernünftigen Kreatur, um den Menschen wieder zur Vernunft zu rufen.
Traditionsvergessenheit als Gefahr
Warum ist mir diese Episode so wichtig? Weil wir immer wieder achtlos mit unseren religiösen Schätzen und kirchlichen Traditionen umgehen. Weil es vorkommt, dass vieles, was früheren Generationen hoch und heilig war, in späteren Zeiten einfach in Vergessenheit gerät und abhandenkommt. Das gilt in unserer schnelllebigen Zeit umso mehr, die - nicht nur in der Kirche – radikale Traditionsabbrüche verzeichnet. Der derzeit grassierende Vandalismus an und in Kirchen ist erschreckend und zeugt von der Respektlosigkeit und Traditionsvergessenheit unserer Tage. Umso schöner ist es, dass Sie alle als Wallfahrerinnen und Wallfahrer die Verehrung des Heiltums in Andechs hochhalten und die Wallfahrt durch ihr Mitwallen und Mitbeten beleben. Dafür danke ich Ihnen von ganzem Herzen!
Die Wallfahrt im Heiligen Jahr und der Jubiläumsablass
Ich tue das besonders gerne in diesem Heiligen Jahr! Denn auch die erste große Wallfahrt zum Andechser Heiltum fand in einem Heiligen Jahr statt. Herzog Stephan III. hatte sich nämlich von Papst Bonifaz IX. das Privileg erwirkt, auch in München 1392 ein Heiliges Jahr abhalten zu dürfen. So mussten die Gläubigen nicht nach Rom pilgern, sondern konnten vor Ort ihren Glauben erneuern. Durch die Gewährung des Jubiläumsablasses wurden sie dazu ermutigt, ihr Leben neu an Christus auszurichten und von ganzem Herzen umzukehren.
Gleiches gilt in diesem Heiligen Jahr, für das Papst Franziskus den Jubiläumsablass gewährt hat. Neben der Wallfahrt erwirbt ihn jeder, der beichtet, der an der Heiligen Messe teilnimmt, und der in der Meinung des Heiligen Vaters betet. So dient auch dieses Heilige Jahr dazu, den Glauben grundlegend zu erneuern.
Die Andechser Kirchenmaus freut sich jedenfalls, wenn ihre Mission nicht vergebens war…
Die Verehrung der drei Hostien
Doch jetzt zur Verehrung der drei Hostien. Herzstück der Heiltumswallfahrt ist die Monstranz mit den drei kostbaren Hostien. Als Abt Johannes mich vor einiger Zeit einlud, nach Andechs zum Dreihostienfest zu kommen, da dachte ich bei mir:
Oh, was ist das? Drei Hostien?
Normalerweise wird an Fronleichnam doch nur eine Hostie verehrt! Wieso drei?
Und warum? Wieso drei, ist schnell gesagt. Weil zwei Hostien von Papst Gregor dem Großen als kostbare Schätze überliefert wurden und eine Hostie aus der Zeit von Papst Leo IX. stammt. Und warum verehrt man diese drei Hostien?
Weil die drei Hostien die drei Dimensionen der einen Eucharistie versinnbilden. Das möchte ich mit Ihnen meditieren.
Die erste Hostie steht für die Lebenshingabe Jesu Christi
Die erste Hostie, so könnte man sagen, steht in unserer Betrachtung des heutigen Festgeheimnisses für das Lebensopfer Jesu Christi. „Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist“, hatte Jesus gesagt (Joh 6,51). Jesus ist nicht nur ein Mensch. Er ist der Sohn Gottes. Er ist „wahrer Gott und wahrer Mensch zugleich“. Daran erinnern wir uns besonders in diesem Jahr, in dem wir des Konzils von Nizäa gedenken, das diese Wahrheit vor 1700 Jahren formuliert hat.
Als er daher am Abend vor seinem Tod seinen Jüngern das Brot bricht und den Kelch teilt, nimmt er zeichenhaft vorweg, was am nächsten Tag auf Golgotha passiert. Der Gottmensch stirbt am Kreuz. Mit dem Gottmenschen Jesus Christus steigt Gott selbst mit uns Menschen in die tiefste Gottverlassenheit des Todes hinab. Nur dadurch kann er die Macht des Todes ein für alle Mal brechen und den Tod in neues Leben bei Gott verwandeln.
Was sich auf Golgotha ereignet und am Ostermorgen in der Auferstehung vollendet, ist nicht nur ein historisches Ereignis. Tod und Auferstehung Jesu Christi sprengen den Rahmen von Raum und Zeit. Das Heil, das uns Jesus Christus als wahrer Gott und wahrer Mensch erworben hat, wird von Gott allen Menschen zu allen Zeiten angeboten. Den auferstandenen Herrn erkennen die Jünger daran, dass er ihnen das Brot bricht. So ist Christus in den eucharistischen Gaben bei uns bis ans Ende der Zeit (Mt 28,20). In ihnen ist uns das Heil verbürgt.
Die zweite Hostie steht für die Feier der Eucharistie
Die zweite Hostie steht für die Feier der Eucharistie. „Tut dies zu meinem Gedächtnis!“ So hatte Jesus bei der Einsetzung der Eucharistie seinen Jüngern aufgetragen (1Kor 11,24). Die Kirche hält diesen Auftrag heilig. In jeder Feier der Eucharistie wird das Lebensopfer Jesu vergegenwärtigt. Die Feier der heiligen Messe fügt dem einen Opfer des Herrn nichts hinzu. Sie heiligt vielmehr alle Zeiten. Wir feiern sie bis zur Wiederkunft des Herrn.
Nicht umsonst singen wir nach dem Einsetzungsbericht:
„Deinen Tod, oh Herr, verkünden wir und deine Auferstehung preisen wir, bis du wiederkommst in Herrlichkeit.“
Durch die Feier der Eucharistie hält der Herr in seiner Kirche das Gedenken an die Erlösungstat Jesu Christi wach. Wenn beim heutigen Fest die drei Hostien wie Reliquien verehrt werden, dann sind das nicht irgendwelche Überbleibsel aus längst vergangenen Tagen. Wie alle Reliquien wollen sie nicht nur an Vergangenes erinnern. Sie wollen den Kontakt zu den Heiligen oder hier den Kontakt zu Jesus Christus als dem Heiligen in der Gegenwart sicherstellen. Insofern sind die drei Hostien nicht nur irgendwelche Erinnerungsstücke. Sie zeigen uns vielmehr, dass Christus in der Eucharistie „wahrhaft, wirklich und substanzhaft“ in unserer Mitte gegenwärtig ist, wie es das Konzil von Trient gesagt hat (KKK 1374). Deshalb verehren wir diese drei so besonderen Reliquien.
„Denkmal, das uns mahnet an des Herren Tod!
Du gibst uns das Leben, o lebendig Brot.
Werde gnädig Nahrung meinem Geiste du,
dass er deine Wonnen koste immerzu.“
So hat Thomas von Aquin in seinem Hymnus „Gottheit tief verborgen“ gedichtet. Die Eucharistie ist lebendiges Denkmal, ist lebendige Reliquie des lebendigen Herrn. Ihm wollen wir uns immer tiefer verbinden in der Anbetung und im Lobpreis. Er soll uns Nahrung werden für Leib und Seele.
Die dritte Hostie steht für die Lebenshingabe der Gläubigen
Die dritte Hostie steht für die Lebenshingabe der Gläubigen, so könnte man sagen. „Ich ermahne euch also, Brüder und Schwestern, kraft der Barmherzigkeit Gottes, eure Leiber als lebendiges, heiliges und Gott wohlgefälliges Opfer darzubringen - als euren geistigen Gottesdienst.“ So schreibt Paulus an die Gemeinde in Rom (Röm 12,1).
In der Aufforderung, selbst lebendige Opfergabe in Christus zu werden, kommt das gemeinsame Priestertum aller Gläubigen zum Ausdruck. Wir alle, die wir teilhaben an dem einen Opfer des Herrn, sollen in Christus unser Leben an die Schwestern und Brüder verschenken. Als Gewandelte sollen wir mitwirken an der großen Verwandlung der Welt.
Wie nötig das ist, erfahren wir in unseren Tagen. Angesichts zunehmender Polarisierung sollen wir auf Ausgleich bedacht sein und nicht noch mehr spalten. Denn Christus ruft uns zur Einheit. Angesichts von zunehmender Gewalt sollen wir auf Frieden hinwirken und nicht die Gewalt vermehren. Denn Christus schenkt uns einen Frieden, den die Welt nicht geben kann. Angesichts von Ausgrenzung sollen wir daran erinnern, dass wir in Christus alle Schwestern und Brüder sind. Denn „Was ihr den Geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“, mahnt uns der Herr (Mt 25,40). In unserem Opfer kommt das Opfer Christi zu Vollendung. Denn so macht uns der Herr zu lebendigen Gliedern an seinem Leib.
Drei Hostien, aber nur ein einziges Opfer
Drei Hostien werden verehrt, aber dennoch ist es nur der eine Leib Christi.
Drei Hostien werden gezeigt, aber dennoch ist es nur das eine Opfer.
Drei Hostien sind es, aber dennoch ist es nur das eine Brot. Dieses eine Brot, von dem die Chrysostomos-Liturgie so wunderbar bekennt: Dieses eine Brot,
„das immerdar gebrochen, aber niemals zerteilt wird,
das immerdar gegessen und doch nie aufgezehrt wird.“
Die drei Hostien bezeichnen also nicht drei verschiedene Brote. Sondern sie zeigen nur die drei verschiedenen Seiten des einen Opfers Jesu Christi. Deshalb werden sie auch nicht in drei Monstranzen gezeigt, sondern in einer einzigen Monstranz.
Das macht für mich die Bedeutsamkeit und Schönheit des Dreihostienfestes aus.
Möge der Blick auf die drei Hostien unseren Glauben mehren an Christi Erlösungstat, unsere Hoffnung auf die endgültige Verwandlung der Welt wachhalten und unsere Liebe zu unseren Schwestern und Brüdern entzünden. Das wünsche ich mir und uns allen in diesem Heiligen Jahr. Amen.