Der Besuch der „Fazenda da Esperança“ in Óbidos
Einer der Höhepunkte der Reise in unser Partnerbistum Óbidos in Brasilien war für mich der Besuch der „Fazenda da Esperança“. „Fazenda da Esperança“ heißt übersetzt „Bauernhof der Hoffnung“. Es handelt sich um eine christliche Einrichtung zur Rehabilitation von Drogenabhängigen. Nachdem wir mit den Bewohnern der Fazenda Eucharistie gefeiert hatten, legten einige junge Männer Zeugnis ab von ihrem Lebensweg. Sie berichteten von ihrer oft leidvollen familiären Vorgeschichte, ihrem Weg in die Drogenabhängigkeit und davon, wie sie mit anderen gemeinsam einen Weg der Heilung gegangen sind heraus aus der Abhängigkeit.
„Das Medikament, das ich bekommen habe, heißt Jesus Christus“
Einer der jungen Männer sagte dabei kurz und prägnant: „Das Medikament, das ich hier bekommen habe, heißt Jesus Christus.“ Erläuternd fügte er dann hinzu, wie viele Entziehungskuren er schon hinter sich gebracht hatte ohne nennenswerten Erfolg. Denn eines hatten all diese medikamentösen Behandlungen nicht vermocht: die innere Leere aus seinem Herzen zu nehmen.
Erst das Medikament Christus vermochte ihn zu heilen. Und er räumte mit leiser Stimme ein, dass ihm dadurch überhaupt erst aufgegangen sei, wie viel schlimme Dinge er damals gemacht hätte, deren er sich heute schäme. Ein tief bewegender Moment für uns alle, die wir gewürdigt wurden, Anteil zu haben an seiner Leidensgeschichte, aber zum Glück auch an seinem inneren Heilungsweg.
Die Eucharistie als „Pharmakon Athanasias“ oder „Arznei der Unsterblichkeit“
„Das Medikament, das ich hier bekommen habe, heißt Jesus Christus.“ Was der junge Mann in der „Fazenda da Esperança“ mit großer innerer Entschiedenheit bekannte, ist eine der ältesten Bezeichnungen der Eucharistie, die uns überliefert ist.
Bischof Ignatius von Antiochien schreibt in seinem Brief an die Gemeinde in Ephesus (Epheser 20.2) zu Beginn des zweiten Jahrhunderts nach Christus: „Kommt zusammen, ein Brot zu brechen, das Arznei der Unsterblichkeit ist, ein Gegengift, so dass man nicht stirbt, sondern immerdar in Jesus Christus lebt.“
Die Eucharistie als „Arznei der Unsterblichkeit“, oder auf Griechisch als „Pharmakon Athanasias“ – betrachten wir für einen Augenblick diese Arznei und ihre Wirkungen.
Die Verletzlichkeit und Todverfallenheit des Menschen
Wo es eine Arznei gibt, muss es auch eine Krankheit geben. Die Krankheit, gegen die die Eucharistie hilft, ist die Todverfallenheit des Menschen. Unser Leben ist sehr verletzlich und immer von der Macht des Todes bedroht. Die Zeugnisse in der „Fazenda da Esperança“ haben uns alle wohl deshalb so berührt, weil jeder von uns sich in Teilen der einen oder anderen Geschichte wiedergefunden hat.
Das Gefühl der Benachteiligung im Leben und die Zurücksetzung in der eigenen Familie. Eine Demütigung in Schule und Beruf, über die man nicht hinwegkommt. Selbstzweifel und Minderwertigkeitsgefühle. Gewalterfahrungen, die einen abstumpfen lassen und zur Empathie unfähig machen.
Der unversöhnliche Hass auf einen Menschen, der die Seele von innen her zerfrisst und zur Selbstverletzung oder Selbstzerstörung führt. Die Unfähigkeit zur Vergebung, die verbittert. Das Gefühl der Ohnmacht, die unvermittelt in Aggression umschlägt.
Und am Ende immer wieder diese innere Leere, von der der junge Mann so eindrücklich zu berichten wusste. Eine Leere und Sinnlosigkeit, die man nur noch betäuben kann, um ihr zu entgehen und schlicht zu überleben, auch wenn diese Überlebensstrategie den sicheren Tod bedeutet.
Die Eucharistie nicht als Medikamentenabgabe, sondern als Beziehungsangebot
„Das Medikament, das ich hier bekommen habe, heißt Jesus Christus.“ Dieser Christus verschreibt uns nicht einfach etwas, sondern er schenkt sich uns selbst. Der himmlische Apotheker ist Medikament und Arzt zugleich. Er stiftet eine Beziehung, die trägt und die er auch nicht aufkündigt, selbst wenn wir fehlen.
Insofern wirkt die Eucharistie nicht einfach wie eine Medikamentenabgabe, sondern ihre nachhaltige Wirkung besteht in dem Angebot einer Beziehung, die durch ihre Verlässlichkeit stabilisiert und heilt. Denn wirkliche Heilung geschieht immer nur durch heilsame Beziehung und nicht durch Tabletten.
Die Eucharistie ist kein Sedativum, sondern erfüllt uns mit Gottes Liebe
Kraft dieser Beziehung wird die innere Leere des Menschen nicht betäubt. Denn die Eucharistie ist kein Sedativum, mit dem man sich über den Schmerz hinweg beruhigen oder trösten könnte. Vielmehr füllt sie unsere innere Leere mit dem Geist, durch den die Liebe Gottes in unsere Herzen ausgegossen ist (Röm 5,5). Diese Eingießung der Liebe Gottes durch den Geist ist die eigentliche, lebensrettende „Infusion“. Weil Christus uns annimmt, können auch wir uns annehmen. In jeder Eucharistiefeier erhalten wir Anteil an dieser Fülle der Liebe des Herrn, der sich vertrauensvoll in unsere Hände legt. Was wir von ihm und in ihm empfangen, sollen wir weiterschenken.
Die Eucharistie als Antiserum gegen das Gift der Vereinzelung
„Das Medikament, das ich hier bekommen habe, heißt Jesus Christus.“ Denn dieser Christus führt heraus aus der Isolation des Menschen. Wir verkriechen uns in unserem Schmerz. Wir sondern uns ab von der Gemeinschaft und werden dadurch sonderbar. Wir meiden die Verletzungen durch andere und weichen einander aus. Christus aber geht den Verlorenen nach und holt sie in die Gemeinschaft zurück.
Insofern wirkt die Eucharistie als Antiserum gegen das Gift schleichender Vereinzelung und Vereinsamung. Die Kirche versteht sich als die Gemeinschaft derer, die sich dem Herrn und seiner Heilung verdankt wissen. Eine Gemeinschaft, die nicht auf Sympathie gründet, sondern auf der tiefen Dankbarkeit, durch Christus geheilt zu sein. Eine Gemeinschaft, in der man sich nicht übereinander erhebt, sondern jeder in Demut den anderen höher einschätzt als sich selbst (Phil 2,3), gerade weil wir durch Christus miteinander verbunden sind. Und weil jede und jeder weiß, wie viel der Herr für sie oder ihn persönlich getan hat.
Nicht umsonst sprechen wir gleichermaßen demütig wie dankbar vor der Kommunion: „Herr, ich bin nicht würdig, dass Du eingehst unter mein Dach.“ Aber Du, Herr, Du machst mich deiner würdig.
Die Eucharistie bewahrt uns vor der geistlichen Demenz und Vergesslichkeit
„Das Medikament, das ich hier bekommen habe, heißt Jesus Christus.“ Denn dieser Christus bewahrt uns in der Eucharistiefeier vor dem Vergessen. Der Wiederholungsbefehl Jesu „Tut dies zu meinem Gedächtnis“ weist uns darauf hin, dass wir nie vergessen sollen, was der Herr Großes an uns getan hat. Zugleich ist die Feier der Eucharistie selbst die Vergegenwärtigung des Heilsgeschehens. Immer wenn wir Eucharistie feiern, ist der Herr selbst unter uns gegenwärtig und reicht uns seinen Leib und gibt uns Anteil an seinem Kelch. So bewahrt uns dieses Medikament vor der geistlichen Demenz, die vergisst, was wir dem Herrn verdanken. Aus der dankbaren Erinnerung folgt der Lobpreis der Großtaten Gottes, der in der Kirche nie verstummt.
Die Eucharistie erinnert uns an die Zusage der Vergebung
„Das Medikament, das ich hier bekommen habe, heißt Jesus Christus.“ Denn die Eucharistie wirkt blutstillend und entzündungshemmend. Sie zeigt uns den Preis der Erlösung, die Christus uns durch sein Blut erworben hat. So bewahrt sie uns davor, selbst fremdes Blut zu vergießen. Sie verhindert, dass wir uns in Gewalt- und Rachephantasien ergehen, die uns innerlich krank machen und zu einer chronischen Entzündung der Seele führen. Weil Christus uns geliebt hat, als wir noch Feinde Gottes waren, sollen auch wir in ihm unsere Feinde lieben und vergeben (Röm 5,10).
Die Eucharistie wirkt persönlichkeitsverändernd
„Das Medikament, das ich hier bekommen habe, heißt Jesus Christus.“ Würde man die Packungsbeilage zu den Risiken und Nebenwirkungen dieses Medikaments durchlesen, würde man auf die Warnung treffen: Vorsicht, die Einnahme dieses Medikaments kann Persönlichkeitsveränderungen bewirken!
Eine Warnung, die man in diesem Falle gerne in Kauf nähme. Denn genau darauf kommt es an: Die Eucharistie will nicht etwas heilen, sondern in Christus den ganzen Menschen erneuern. Auch wenn wir immer wieder spüren, wie weit wir noch davon entfernt sind, so hilft eine regelmäßige, tägliche oder zumindest sonntägliche Einnahme, diesem Ziel immer näher zu kommen.
Das Kommuniongebet des Priesters für alle
„Was wir mit dem Mund empfangen haben, Herr, das lass uns mit reinem Herzen aufnehmen, und diese zeitliche Speise werde uns zur Arznei der Unsterblichkeit.“
So betet der Priester nach jeder Kommunion. Ich liebe dieses kleine Gebet. Am heutigen Fronleichnamsfest möchte ich es uns allen ans Herz legen. Wer mit einem reinen Herzen zum Altar hinzutritt und in der Sehnsucht nach innerer Heilung die Kommunion empfängt, dem wird diese zeitliche Speise wahrhaft zur Arznei der Unsterblichkeit. Denn wie sagt Jesus in seiner Abschiedsrede im Johannesevangelium: „Das ist das ewige Leben: dass sie dich, den einzigen wahren Gott, erkennen und den du gesandt hast, Jesus Christus“ (Joh 17,3). Genau das wünsche ich uns. Amen.
(Es gilt das gesprochene Wort!)