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Im Gespräch

„Die Fragen, Probleme und Anliegen sind sehr facettenreich“

Helga Neudert, Internetseelsorgerin des Bistums Würzburg der ersten Stunde, über die Chancen und Herausforderungen des niederschwelligen Angebots

Würzburg (POW) Als das Internet das Laufen lernte, war sie unter den ersten Frauen und Männern, die für das Bistum Würzburg Seelsorge im World Wide Web anboten. Im folgenden Interview erzählt Helga Neudert von den Anfängen und berichtet, welches Erlebnis in den vergangenen mehr als zwei Jahrzehnten ihr als Internetseelsorgerin besonders in Erinnerung geblieben ist.

POW: Frau Neudert, Sie waren 1997 bei den ersten Frauen und Männern, die sich im Auftrag des Bistums Würzburg der Internetseelsorge zuwandten, und sind bis heute dabei. Wie kamen Sie damals zu dieser Aufgabe?

Helga Neudert: Das Arbeiten am Computer war in den 1990er-Jahren völliges Neuland. Es wurde vor allem als Domäne der Männer gesehen. Schmunzelnd denke ich heute an eine Episode, die mich damals sehr ärgerte: 1996 wollte ich mir meinen bereits zweiten Computer kaufen. Ich besuchte ein Fachgeschäft, um mich über aktuelle Modelle beraten zu lassen. Der Verkäufer schaute mich mit großen Augen an und schlug vor, doch mit meinem Mann zu kommen. Ich kaufte mir den Computer mit Internetanschluss dann in einem anderen Geschäft – ohne meinen Mann! Das Internet wurde damals auch bei der Kirche und vor allem in der Pastoral kritisch beäugt. Es gab zum Glück in der Diözese Würzburg aufgeschlossene Menschen mit innovativen Ideen, zum Beispiel den Internetbeauftragten Walter Sauter. 1997 wurde ich gefragt, ob ich einen Computer mit einem Internetanschluss zu Hause habe, ob ich diesen bedienen und ob ich mir eventuell eine ehrenamtliche Mitarbeit – gerade als Frau – bei einer Onlineberatung vorstellen könne. Mein Interesse für diese Pionierarbeit war schnell geweckt. Es machte mir sofort viel Freude, konzeptionell und bei den Vorüberlegungen für eine Netzseelsorge mitzudenken. Im ganzen deutschsprachigen Raum gab es für dieses Vorhaben nämlich keine „Kopiervorlage“.

POW: Wie nahm die Internetseelsorge damals dann konkrete Gestalt an?

Neudert: Ich erinnere mich an viele und lange Planungssitzungen im Bischöflichen Ordinariat Würzburg. 1998 ging schließlich die christliche Onlineberatung ans Netz – und ich durfte von Anfang an dabei sein. Dafür bin ich dankbar. Die ersten Gehversuche waren aufregend und manches musste technisch nachgebessert werden. Wir Mitarbeitenden waren zunächst rund um die Uhr als verfügbar angezeigt. Erst später konnten so genannte Filter für Sperrzeiten eingebaut werden. Bald konnten wir den zunächst sehr kleinen Mitarbeiterkreis erweitern und ich war stolz, einige Kolleginnen zur Mitarbeit zu gewinnen. Schon nach kurzer Zeit wurden den beauftragten Internetseelsorgerinnen und -seelsorgern seitens der Diözese Fortbildungen und Supervisionen zugebilligt. Heute gehört das zum Qualitätsstandard der Internetseelsorge.

POW: Was ist in Ihren Augen die besondere Chance der Internetseelsorge?

Neudert: Die Internetseelsorge Würzburg ist ein niederschwelliges Beratungsangebot. Die Ratsuchenden können anonym bleiben. Die Seelsorgerinnen und Seelsorger sind aber mit den echten Vornamen, kleinen Vorstellungstexten und mit ihren Profilfotos sichtbar. Die Ratsuchenden haben die Möglichkeit, sich ihre Seelsorgerin oder ihren Seelsorger auszuwählen. Wir erreichen mit unserer Onlinearbeit auch die Menschen, die sich (noch) nicht trauen, eine Beratungsstelle aufzusuchen. Und es finden auch Menschen zu uns, die es nicht (mehr) schaffen, eine Kirchentür zu öffnen. Die Fragen, Probleme und Anliegen sind sehr facettenreich: von Partnerschaftsproblemen, Fragen zu Moral und Sexualität, Problemen mit Kindern und Angehörigen über die Suche nach dem eigenen Lebenssinn bis hin zu Existenzängsten und Glaubenskrisen. In der ersten Antwortmail verdeutlichen wir, dass unsere Dialoge vertraulich und auf einen Zeitraum von ungefähr vier bis fünf Wochen begrenzt sind. Wir teilen mit, dass unser Angebot eine Kurzberatung ist, eine Art Erste Hilfe. Dieses klare Setting motiviert die Ratsuchenden, zügig auf ihre Kernanliegen zu kommen. Ich bin auch nach über 20 Jahren immer wieder erstaunt, wie per Mail oft sehr schnell eine große Nähe entsteht und trotzdem eine professionelle Distanz gewahrt wird.

POW: Wo liegen die speziellen Herausforderungen der Seelsorge via Tastatur und Bildschirm?

Neudert: Wir Internetseelsorgerinnen und -seelsorger haben von den Ratsuchenden kein Bild vor Augen, hören keine Stimme, nehmen keine Gerüche wahr, Mimik und Körpersprache fallen weg. Wir sind auf den geschriebenen Text angewiesen. Das ist durchaus herausfordernd. In meinem Kopf entstehen – wie auch bei jeder „richtigen“ Beratung – immer eigene Bilder. Als systemische Beraterin weiß ich, dass das meine Hypothesen sind. Häufig formuliere ich diese als solche und stelle Fragen. Die Ratsuchenden haben so die Möglichkeit, sich abzugrenzen. Häufig finden sie durch meine Fragen eine eigene Spur. Mit meinen Impulsen will ich Mut machen, dass die Ratsuchenden weiter nach Lösungen Ausschau halten und dass sie sich eventuell eine andere professionelle Unterstützung suchen. Oft wird mir rückgemeldet, dass allein schon das Da-Sein, das „Zuhören“ ihnen weiterhilft. Häufig lese ich Sätze wie: „Es tut einfach gut zu wissen, dass da eine reale Person ist, die meine Zeilen liest und die sich Zeit für mich nimmt.“

POW: Gibt es eine Episode, an die Sie sich besonders gerne erinnern?

Neudert: Ich habe nach fast 25 Jahren Internetseelsorge viele wertvolle und positive Erfahrungen machen dürfen. Natürlich gab es auch belastende Situationen, zum Beispiel wenn ein Dialog ohne große Erklärung beendet wurde und ich mit Fragen und Zweifeln zurückblieb. Es machte mir aber in all den Jahren viel Freude, Menschen ein kleines Stück ihres Lebens begleiten zu dürfen und zu erleben, dass sie eine neue Lebensperspektive sehen. Ein Ereignis hat mich nachhaltig beeindruckt: Es war in den Anfangsjahren, als die Ratsuchenden noch unbegrenzt mailen und sich auch nach einem längeren Abstand noch einmal melden konnten. Eine junge Frau schickte mir anderthalb Jahre nach unserem Beratungsdialog eine Mail mit einem Foto ihres drei Monate alten Kindes. Sie bedankte sich sehr herzlich und schrieb ausführlich, was der damalige intensive und umfassende Dialog in ihrem Leben bedeutet hat. Sie habe wieder neuen Lebensmut gefasst, und habe keine Suizidgedanken; sie habe sich auf eine Partnerschaft eingelassen und sei glücklich mit ihrem Mann und mit ihrem kleinen Kind.

POW: Wohin wird sich die Internetseelsorge in Zukunft weiterentwickeln?

Neudert: In den vergangenen Jahren kamen neben E-Mails weitere virtuelle Kommunikationsmöglichkeiten hinzu. Der digitale Austausch läuft heute meist über Messenger-Dienste. Es wird zusätzliche Formate geben müssen, die den Ratsuchenden mit verändertem Kommunikationsverhalten entgegenkommen. Der Beauftragte für Internetseelsorge, Pastoralreferent Walter Lang, macht sich dafür stark, diese auf den Weg zu bringen. Ich hoffe sehr, dass die Diözese Würzburg das Seelsorgsangebot via Internet auch künftig unterstützen wird. Es braucht Mut und Kreativität gerade auch im virtuell-kommunikativen Bereich. Dann hat die Pastoral eine Zukunft und Kirche kann auch künftig für die Menschen da sein.

Interview: Markus Hauck (POW)

Zur Person:

Helga Neudert, Jahrgang 1956, ist Religionslehrerin im Kirchendienst und arbeitet als Referentin für Ganztagsschulbildung. Nach dem Studium von Theologie und Romanistik an der Universität Würzburg absolvierte sie von 1980 bis 1982 ein kirchliches Referendariat beim Erzbistum Freiburg. Von 1981 bis 1984 unterrichtete sie in Heidelberg an einer Realschule Religion und absolvierte zudem eine Weiterbildung in Krankenhausseelsorge. In der Elternzeit arbeitete sie unter anderem beim Kinderschutzbund und der Telefonseelsorge ehrenamtlich mit und absolvierte die Ausbildung zur Hauswirtschaftsmeisterin. Von 1989 bis 2008 war Neudert in Teilzeit, seither in Vollzeit als Religionslehrerin im Kirchendienst tätig, unter anderem am Würzburger Mozart-Gymnasium, von 1991 bis 2017 an der Würzburger Goethe-Hauptschule sowie von 2017 bis 2020 an der Don-Bosco-Berufsschule Würzburg mit Schwerpunkt Migration und Integration. Seit 1997 wirkt Neudert zudem in der Schulpastoral, seit 1998 auch in der Internetseelsorge. Ehrenamtlich ist sie unter anderem seit 2018 als Vorsitzende des Dekanatsrats Würzburg-Stadt aktiv. Neudert besitzt Zusatzqualifikationen unter anderem in Gestaltpädagogik (IGB), Schulpastoral (ThiF), Systemischer Beratung (SG) und Ehrenamtsmanagement (HKFM) und ist Integrationslehrkraft für Deutsch als Zweitsprache (BAMF). Sie ist verheiratet, Mutter von drei erwachsenen Töchter und siebenfache Großmutter.

(0422/0119; E-Mail voraus)

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