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„Die Gemeinschaft soll ganz afrikanisch werden“

Benediktinerabt Anastasius Reiser blickt im Interview auf sein erstes Amtsjahr in Peramiho in Tansania zurück und nennt weitere Pläne – Umgang mit Sexualität, Bedeutung der Familie und Gütergemeinschaft wichtige Themen in der Abtei

Peramiho/Münsterschwarzach (POW) Vor einem Jahr wählten die Mönche der Abtei Peramiho im Süden Tansanias Benediktinerpater Anastasius Reiser (42) aus der Abtei Münsterschwarzach zum vierten Abt von Peramiho. Reiser hat in seinem ersten Amtsjahr bereits wichtige Entscheidungen getroffen und will in den kommenden Jahren die afrikanischen Mönche in die Verantwortung führen. Der Umgang mit der Sexualität, die Frage der Gütergemeinschaft und die besondere Bedeutung der Familie sind Themen, die er in folgendem POW-Interview anspricht, das in Daressalam geführt wurde.

POW: Abt Anastasius, Sie sind seit einem Jahr Abt von Peramiho in Tansania. Wie war die Umstellung von Münsterschwarzach nach Tansania?

Abt Anastasius Reiser: Zunächst musste ich in das neue Amt hineinwachsen. Ich war bereits von 2002 bis 2004 Missionar auf Zeit in Peramiho. Damals arbeitete ich im Verlag, wirkte in der Medienarbeit und war als Priester in der Pfarrei tätig. Nach einer kurzen Zeit in Münsterschwarzach wurde ich am 8. August 2006 zum vierten Abt von Peramiho gewählt. Für mich war es eine gewaltige Umstellung, als Abt nach Tansania zurückzukehren.

POW: Was kann sich jemand in Deutschland unter Peramiho vorstellen?

Abt Anastasius: Peramiho ist eine Benediktinerabtei im Süden Tansanias: mit einer großen Klosterkirche, rechts davon das Priorat Sankt Scholastica der Missionsbenediktinerinnen von Tutzing, links davon das Mönchskloster Sankt Benedikt. Zur Abtei Peramiho gehören 75 Mönche. Sie leben in Peramiho und im Priorat Uwemba in der Diözese Njombe. In Uwemba und Peramiho betreuen die Patres jeweils eine Pfarrei mit 12 bis 15 Außenstationen. In Peramiho umfasst die Pfarrei 28.000 Christen. Insgesamt betreuen wir im Einzugsbereich der Abtei 40.000 Christen. Zur Abtei gehören weiterhin ein Hospital mit Krankenpflegeschule sowie zahlreiche Werkstätten – insgesamt 25 Betriebe: Schreinerei, Autowerkstatt, Druckerei, Schneiderei, Schreinerei, Verlag und vieles mehr. Außerdem befindet sich in Peramiho ein Priesterseminar, in dem die Studenten mehrerer tansanischer Diözesen wohnen und studieren. Wir haben außerdem eine Farm mit 900 Hektar Land, mit rund 600 Rindern und 250 Schweinen. Das Gebiet um Peramiho ist immer noch eine arme Region. Die Leute sind auf unsere Unterstützung angewiesen. Immer wieder kommen die Menschen mit ihren Nöten und Sorgen zu uns und bitten um Nahrungsmittel.

POW: Haben Sie im ersten Jahr bereits wichtige Entscheidung getroffen?

Abt Anastasius: Zunächst habe ich alle Einrichtungen kennen gelernt. Ich habe mit den Mitbrüdern Einzelgespräche geführt und sehr persönliche Kontakte aufgebaut. Ich brauche Zeit, um die afrikanische Kultur und auch die Menschen hier zu verstehen, um herauszubekommen, was sie wirklich denken. In der Abtei waren neben den Gesprächen auch disziplinarische Maßnahmen nötig. Manches war im Laufe der vergangenen Jahre eingerissen. Man hatte versucht, die Afrikaner besser zu integrieren, indem man ihnen große Freiheiten bot. Die Mönche mussten wieder lernen, in der Abtei präsent zu sein, und Absprachen einüben. Das war für sie eine große Umstellung. Heute wissen die Mitbrüder: Es gibt jemand, der danach schaut, wie wir unser Mönchsein leben. Der Nebeneffekt ihrer Anwesenheit im Kloster ist, dass sie mehr miteinander unternehmen. In den 25 Betrieben hatten einzelne Mitbrüder ihren Betrieb als den eigenen gesehen. Mit der Reformierung der Verwaltung versuche ich, klar zu machen, dass die Abtei ein Familienbetrieb ist. Heute arbeiten die Mönche viel stärker zusammen, das Interesse füreinander wächst. Wir haben Gesprächsgruppen gegründet. Das ist neu für die Mönche. Junge afrikanische Mitbrüder treffen sich und reden miteinander: Was steht gerade an? Was ist in Zukunft für uns wichtig?

POW: Sie sprachen von disziplinarischen Maßnahmen. Worum ging es dabei?

Abt Anastasius: Einige Mönche verbrachten zu viel Zeit außerhalb der Abtei. Da musste ich eingreifen und unser Mönchsleben neu ordnen. Dabei habe ich nichts über den Zaun gebrochen und nicht von heute auf morgen Änderungen gefordert. Mittlerweile sehen die Mönche das ein: Sie kommen wieder zurück zu ihrem Weg – zurück zum Kloster.

POW: Wie ist das Verhältnis zwischen deutschen und afrikanischen Mönchen?

Abt Anastasius: Das Durchschnittsalter der deutschen und europäischen Mönche liegt über 70 Jahre. Die Afrikaner sind dagegen durchwegs junge Mitbrüder. Afrikaner mit ewiger Profess sind um die 50 Jahre alt. Die 20- bis 30-jährigen Mönche mit zeitlicher Profess sind alles afrikanische Mitbrüder. Im Verhältnis der Nationalitäten haben wir also zunächst ein Generationenproblem. Hinzu kommt, dass die Afrikaner zurückhaltender sind und nicht gleich auf die Europäer zugehen. Die Europäer haben immer versucht, gleichberechtigt mit den Afrikanern umzugehen. Aber in der afrikanischen Kultur scheint es den Europäern gegenüber eine Hemmschwelle zu geben. Die Afrikaner fühlen sich minderwertig. Außerdem sind die Europäer die Älteren, und in der afrikanischen Kultur hat der Ältere absolut das Sagen. Das bedeutet: Wenn der Ältere anwesend ist, ist der Jüngere still. Ich erlebe das oft in Peramiho: Die Alten sagen etwas, und die Jungen schweigen. Erst bei geheimen Abstimmungen wird deutlich, was die Afrikaner wirklich wollen. Ich merke dann: Aha, die drücken sich anonym aus. Hier will ich das Gespräch fördern. Die afrikanischen Mönche sollen den Mut aufbringen, sich zu Wort zu melden.

POW: Sind Afrikaner grundsätzlich für das Mönchsleben geeignet?

Abt Anastasius: Ja. Es gibt gute Beispiele im Kloster. Für Afrikaner ist das Klosterleben aber immer wieder eine Herausforderung. Das Leben in der Familie ist für sie das Höchste. Auch im Kloster reißt das familiäre Band nicht ab. Es gab Versuche, die Loslösung von der Familie bei der Feier der ewigen Profess zu integrieren. Die Eltern mussten zum Altar kommen. Dort wurde ihnen gesagt: „Ab heute ist dies nicht mehr Euer Sohn, er gehört jetzt zu uns.“ Die Eltern mussten dem zustimmen. Eine aktuelle Beobachtung hierzu: Kürzlich war ich bei einer Beerdigung in einem Frauenkloster bei Njombe. In Afrika ist es üblich, dass das Grab von allen Leuten zugeschaufelt wird und die Familie dann die Erde glatt klopft. Selbst in dem Frauenkloster hat die Familie das Grab abgeklopft und zum Schluss gemeinsam einen langen Kranz, den jeder anfassen konnte, aufs Grab gelegt. Mir ist dabei wie ein Blitz aufgegangen: Das Familienband kann bei Afrikanern nicht abreißen. Familie – dazu gehört auch Sexualität: das Zusammenleben von Mann und Frau und das Ausleben der Sexualität. Das wird in der afrikanischen Kultur von Kindesbeinen an gelehrt. Mit dieser Erziehung kommen junge Leute ins Kloster. Unser Mönchsleben ist für sie dann eine große Herausforderung. Ich habe jetzt angefangen, im Kloster offen über Sexualität zu sprechen. Vorher war dies immer ein Tabuthema. Gerade bei den jungen Mitbrüdern merke ich, dass sich durch die offenen Gespräche ein Ventil öffnet.

POW: Welche Themen sprechen Sie außerdem an?

Abt Anastasius: Wichtig ist auch die Gütergemeinschaft: das heißt, dass alles allen gemeinsam gehört. Wie gehe ich mit Geld um? Wenn ich Chef eines Betriebs der Abtei bin – ist das dann mein Betrieb oder der Betrieb des ganzen Klosters? Ich versuche, den afrikanischen Mönchen klar zu machen: Die Einnahmen eines Betriebs gehören dem Kloster und nicht mir und meiner Familie außerhalb der Abtei. Ich habe das Problem thematisiert, nachdem Geld aus dem Kloster in die Familien geflossen ist. Man muss auch sehen: der ganze Staat Tansania ist korrupt. Ich muss davon ausgehen, dass die Leute versuchen, Geld aufzutreiben, um die eigene Familie zu versorgen, und kann nicht davon ausgehen, dass das im Kloster anders ist. Deshalb muss ich jetzt in der Abtei einen Weg finden, dieses Problem anzusprechen und Missbräuche zu vermeiden.

POW: Sie haben schon einige große Themen genannt. Was steht in nächster Zeit noch an?

Abt Anastasius: "Die Wirtschaftlichkeit unserer Abtei. Wir müssen es schaffen, gut zu wirtschaften und noch besser auf eigenen Beinen zu stehen. Theoretisch könnten wir uns von unseren Betrieben ernähren. Doch für die Finanzierung unserer Hilfsprojekte sind wir immer noch auf Spenden angewiesen: Trinkwasser, Krankenhaus, Gesundheitsdienst, Ausbildung, Ökologie. Wir wollen künftig mit den Einnahmen des Klosters eigene Projekte starten, beispielsweise Missionsprojekte, damit die Afrikaner das Missionsbewusstsein auch leben können. Wichtig ist mir außerdem, dass die Gemeinschaft einen spirituellen Weg in die Zukunft geht und spirituell wächst.

POW: Sie sind als junger Abt von Deutschland nach Tansania gekommen. Es war scheinbar 2006 noch nicht möglich, einen Afrikaner zu wählen. Sind sie der Abt, der die Abtei einmal an eine afrikanische Leitung übergeben wird?

Abt Anastasius: Ja. Mein Ziel als Abt von Peramiho ist, dass die Gemeinschaft ganz afrikanisch wird. Heute geht es darum, junge afrikanische Mitbrüder auszubilden – zu Priestern und zu Handwerkern. Sie müssen später für die Gemeinschaft Verantwortung übernehmen. Wir wollen im Herbst zwei afrikanische Mitbrüder nach Würzburg schicken, damit sie dort Theologie studieren. Sie sollen auch später die Kontakte nach Deutschland pflegen. Auch bilden wir junge Mönche in Buchhaltung aus. Ich will nach und nach den afrikanischen Mönchen die Verantwortung übergeben.

POW: Ein Blick in die tansanische Gesellschaft: Ist Aids zur Zeit das Hauptproblem in Tansania?

Abt Anastasius: Nein, das würde ich nicht sagen. Aids wird von der Regierung angegangen und öffentlich thematisiert. Ich habe unangemeldet eine Schulklasse besucht und die Schüler nach Aids gefragt. Sie wussten alle, welche Krankheit Aids ist und wie man sich schützt. Das Hauptproblem Tansanias ist die Korruption. Es fehlt die nötige Arbeitsmoral und oft das Herzblut für eine Aufgabe. Ein Beispiel: Jüngst hat die Regierung Geld von der Europäischen Union für den Gesundheitsdienst erhalten. Die Gehälter in den staatlichen Krankenhäusern sind daraufhin stark gestiegen. Die Folge: Die Fachkräfte wenden sich von den kirchlichen Krankenhäusern ab und wechseln in die Regierungskrankenhäuser, weil sie dort besser bezahlt werden. Mittlerweile zahlen wir dieselben Gehälter. Aber trotzdem gehen Fachleute in staatliche Krankenhäuser, weil bei uns mehr gearbeitet wird.

POW: Wie stark ist die Armut spürbar?

Abt Anastasius: Die Armut kommt wieder. Gerade in den Städten entstehen eine ganz reiche Oberschicht und eine arme Unterschicht. Menschen ziehen vom Land in die Stadt und rutschen ab. Ihr Lohn ist gering, die Lebenshaltungskosten höher. Wenn jemand auf dem Land lebt und bleibt, hat er die Möglichkeit, Nahrungsmittel selbst anzubauen und davon zu leben. Hier kann man nicht von Armut sprechen. Diese Menschen haben genug zu essen, sie können einiges von ihren Agrarprodukten auf dem Markt verkaufen und haben noch Geld für die Krankenhauskosten.

POW: Was fasziniert Sie an Tansania?

Abt Anastasius: Mich faszinieren die Menschen in Tansania, ihre Unmittelbarkeit: So wie sie denken, so geben sie sich oft. Freuen sie sich, so freuen sie sich spontan. Ärgern sie sich, so ärgern sie sich spontan. Dieses Unmittelbare gefällt mir an der Kultur. Das Land ist sehr angenehm und landschaftlich wunderbar. Ein Problem ist die Infrastruktur. Die Straßen fehlen. Der Norden des Landes ist im Gegensatz zum ärmeren Süden besser entwickelt. Da müsste noch vieles geschehen.

Interview: Bernhard Schweßinger (POW)

Zur Person: Anastasius Reiser wurde 1964 in Sinsheim, Kreis Rhein-Neckar, geboren und stammt aus Zeutern bei Karlsruhe. Nach einer Ausbildung als Mess- und Regelmechaniker und dem Besuch des Kollegs Sankt Pirmin in Sasbach, den er mit dem Abitur abschloss, trat er 1989 ins Kloster Münsterschwarzach ein. Seine ersten Gelübde legte er am 6. April 1991 ab. Anschließend studierte er Theologie in Würzburg. Bischof Dr. Paul-Werner Scheele weihte ihn 1999 zum Priester. Bis Herbst 2002 war Pater Anastasius Rektor im Lehrlingsheim Sankt Plazidus in Münsterschwarzach. Danach ging er für zwei Jahre nach Peramiho in Tansania, wo er im Verlag und in der Druckerei beschäftigt war. 2004 kehrte er nach Münsterschwarzach zurück. Dort war er bis zur Wahl zum Abt von Peramiho am 8. August 2006 als Magister für die zeitlichen Professen, 1. Cantor der Choralschola und Webmaster tätig.

(3307/1136; E-Mail voraus)

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