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Die Hölle, das sind die anderen

Mobbing – Ein Blick in die Abgründe des Psychoterrors am Arbeitsplatz

Würzburg (POW) Keiner wünscht Karin W. (Name von der Redaktion geändert) einen „Guten Morgen“. Alle schneiden die Sekretärin, weichen ihrem Blick aus. Jeder weiß es, nur sie nicht: Karin W. ist der Dieb. Wortfetzen dringen an ihr Ohr. „Unglaublich ... so was ... Geld fehlt ... nur die W.“. Aus dem Aufgeschnappten muss die Sekretärin den ungeheuerlichen Vorwurf rekonstruieren: Sie soll ihre Kollegin beklaut haben. Karin W. ist Opfer eines Gerüchts – und gleichzeitig der quasi beliebtesten Methode, unliebsame Mitarbeiter zu drangsalieren, zu demütigen, kaltzustellen. Der Nummer Eins im Repertoire der Mobber.

 

„Die W.“ fällt seit langem unangenehm auf. Dafür hat ihre Kollegin akribisch gesorgt: Eigenmächtig schreibt Karin W. Briefe – wozu sie doch schon alleine wegen all der Tippfehler unfähig ist, die ihr unterlaufen. Sie verschlampt Unterlagen, kommt nicht zu Besprechungen. Und ihr erster Diebstahl soll es auch nicht gewesen sein. Erinnert sich doch gar die Büroleiterin, dass ihr schon zweimal Geld gefehlt hat.

 

Mobbing kann jeden treffen

„Ich wusste damals gar nicht, wie mir geschieht“, gesteht Karin W. mit brüchiger Stimme. „Ich habe mich noch gefragt, warum mir keiner was davon sagt, dass im Büro geklaut wird.“ Angespannt sitzt die 56-Jährige auf ihrem Stuhl. Viele kleine Lachfältchen zeugen von der Lebenslust und dem Humor der gebürtigen Rheinländerin. Doch nun ist ihr Blick ernst. Ihre Geschichte zu erzählen, das fällt ihr schwer. Sie knetet ihre Finger, ballt die Hände zu Fäusten. Wo anfangen bei all dem, was vorgefallen ist, was das Selbstbewusstsein ausgehöhlt und so hilflos gemacht hat? Damals hat Karin W. keinen Namen für die Schikanen, die Verleumdungen, die Isolation. Doch heute weiß die 56-Jährige: Sie war ein Mobbing-Opfer. Sie, die nichts so leicht aus der Bahn wirft. Sie, die allein die Verantwortung für ihre beiden 16-jährigen Söhne trägt. Sie, die sich nach der Scheidung ein neues Leben im Spessart aufgebaut hat. Nie hätte Karin W. gedacht, dass ausgerechnet ihr so etwas passieren könnte. Aber Mobbing kann jeden treffen.

 

Einer Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) zufolge wird jeder neunte Arbeitnehmer im Verlauf seines Berufslebens gemobbt. Die Starken ebenso wie die Schwachen, erklärt Klaus Wolf von der Mobbing-Beratungsstelle der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) in Würzburg. Seit acht Jahren kümmert sich der Sozialpädagoge um Betroffene. Rund 1400 Beratungsgespräche hat er bislang geführt. „Es sind die vermeintlichen Exoten in der Gruppe, die zur Zielscheibe werden. Die besonders Fleißigen und Karrierebewussten ebenso wie die Langsameren oder einfach nur die schlechter Gekleideten.“ Doch allein anders zu sein, reicht nicht aus. „Dazu kommt eine besondere äußere Konstellation – beispielsweise ein schlechtes Betriebsklima oder miese Arbeitsbedingungen.“ Die Konflikte werden dann auf eine Person projiziert: den Sündenbock.

 

Vorwurf: Fehlerhafte Arbeit

Selbstbewusstsein und ein bislang unbescholtenes Arbeitsleben schützen nicht davor, zum Sündenbock gemacht zu werden. Diese bittere Wahrheit musste nicht nur Karin W. erkennen, sondern auch Joachim B. (Name von der Redaktion geändert). Dreizehn Jahre arbeitet er als Hausmeister bei einem mittelständischen Unternehmen im Grenzgebiet zwischen Unterfranken und Baden-Württemberg. Dreizehn Jahre, in denen er seinen Arbeitsalltag weitgehend selbst organisiert. „Ich war in den Augen meiner Vorgesetzten der Beste, derjenige, der alles kann und alles macht.“ Stolz und Bitterkeit zugleich schwingen in der Stimme des 50-Jährigen mit. Er ist groß und hager, hat durch das Mobbing noch Gewicht verloren. Eine klassische Folge des systematischen Psychoterrors am Arbeitsplatz.

 

Durch seine eckige Brille blickt Joachim B. immer wieder auf den mit Unterlagen dick gefüllten Ordner. Die Dokumentation seiner Leidenszeit. Das Mobbing beginnt, als eben jene Vorgesetzte, von der er sich bislang so geschätzt fühlt, zur Geschäftsführerin aufsteigt. Joachim B. erinnert sich, wie plötzlich Aufgabenbereiche ausgelagert werden, die bislang ihm unterstanden. Auf die Frage nach dem Warum habe er lediglich die Antwort erhalten, dass etwas nicht in Ordnung gewesen sei. Was genau er falsch gemacht haben soll, erfährt er nicht. Fortan hält ihn die „gnädige Frau“, wie Joachim B. die Geschäftsführerin nennt, an der „kurzen Leine“. „Ich durfte keinen Erfolg mehr haben“, räumt er wütend ein.

 

Während es im Fall von Joachim B. alleine die Vorgesetzte ist, die mobbt, gesellen sich bei Karin W. zur Kollegin am Schreibtisch gegenüber alsbald weitere Verbündete in den Kreis der Mobber. „Anfangs hab ich der Büroleiterin gefallen, weil ich im Gegensatz zur anderen Sekretärin immer gute Laune hatte“, beteuert die Rheinländerin wehmütig. Doch rasch zeigen die Hetzereien ihrer Kollegin Wirkung. „Wenn die in einem Brief von mir einen Fehler gefunden hat, ging sie damit zur Chefin. Und anschließend kam sie pfeifend zurück aus deren Büro.“ Die Stimmung ihr gegenüber wird zunehmend aggressiv. Sie habe nur noch auf Anweisung zu handeln, brüskiert sie eines Tages die Büroleiterin. Als sie im Beisein ihrer Kollegin die Vorgesetzte darauf aufmerksam macht, dass diese keine Gelegenheit auslasse, um sie anzuschwärzen, entgegnet die Leiterin mit einer Drohung: „Wir werden sie beobachten“. Die Worte haben sich in Karin W.s Gedächtnis eingebrannt. Ihre Hände zittern vor ungläubiger Empörung. Die angekündigte Kontrolle überschreitet alle Grenzen. „Meine Handtasche wurde durchstöbert, Briefe geöffnet.“

 

Im Teufelskreis gefangen

Die Taktik der Mobber geht auf: Karin W. wird unsicher, liest von ihr getippte Briefe dreimal Korrektur – aus Angst, ihr könnte ein Fehler unterlaufen sein. Sie findet keinen Schlaf mehr, quält sich morgens zur Arbeit – immer mit einem unguten Gefühl im Bauch. „Irgendwann sind die Betroffenen in einem Teufelskreis gefangen“, stellt Mobbingberater Wolf fest. „Der permanente Stress bei der Arbeit lässt sie wie erschlagen nach Hause kommen. Dort finden sie kaum mehr Erholung, weil sie die Probleme nicht los lassen. Sie sind immer angespannt, dauernd in Hab-Acht-Stellung.“ Die Konsequenz: Konzentrationsschwierigkeiten, mehr Fehler – willkommenes Futter für die Mobber. Auf Abmahnungen folgen Depressionen. Bei manchen führt der Terror zu einem post-traumatischen Stresssymptom. Jahr für Jahr sehen rund 1800 Betroffene bundesweit keinen Ausweg mehr und nehmen sich deshalb das Leben, so das Ergebnis einer Analyse des TÜV Rheinland aus dem Jahr 2002. Was den einen sowohl psychisch als auch physisch fertig macht, schweißt die Mobber zusammen. Der Kriegspfad schafft Verbündete. Das sei der vermeintlich positive Effekt für die Täter, erläutert Wolf. Doch geht das Mobbing-Opfer eines Tages, dauert die Suche nach dem nächsten meist nicht allzu lang.

 

Karin W.s Söhnen bleiben die Probleme ihrer Mutter nicht verborgen. „Mama, warum bist Du so traurig?“, fragen die beiden Jungs. „Du bist ein ganz anderer Mensch, so kennen wir Dich gar nicht.“ Jeden Tag stellen sich Karin W. und Joachim B. dieselbe Frage: Was wird heute passieren? Sie gehen mit dem Gedanken an die Arbeit zu Bett und stehen mit ihm auf. Bei Joachim B. führt die Situation soweit, dass er sich bereits vor Arbeitsbeginn übergeben muss. Auch er schläft kaum noch. Für seine Leidenschaft, ausgedehnte Touren mit dem Mountainbike, findet er keine Kraft mehr. „Man macht seinen Job, geht nach Hause, setzt sich vor den Fernseher und trinkt öfters mal ein Bier zu viel“, gesteht er ernst. Der 50-Jährige balanciert nahe am Abgrund. „Man versucht, auf irgendeine Weise seine Gefühle zu betäuben. Klar weiß man, dass der Griff zur Flasche falsch ist. Aber stecken Sie mal in so einer Situation.“ Er fühlt sich schlecht und minderwertig, geht kaum noch unter Leute. „Ich bin heilfroh, dass in der Zeit kein Alkoholiker aus mir geworden ist.“

 

Kaltgestellt, traumatisiert, arbeitslos

Der Teufelskreis zieht weiter seine Bahn. Denn in mehr als der Hälfte der Fälle endet der Psychoterror nach Informationen der BAuA erst durch eine Kündigung oder die Auflösung des Arbeitsvertrags. Diesem Schicksal können weder Joachim B. noch Karin W. entrinnen. „Ich habe mir immer gesagt: Du bist eine allein erziehende Mutter, also halte besser den Mund, denn du brauchst den Job“, versucht die Sekretärin hilflos zu erklären, warum sie mehr als zwei Jahre den ständigen Angriffen und öffentlichen Demütigungen standhielt. Per Auflösungsvertrag trennt sie sich von ihrem Arbeitgeber. Zu diesem Zeitpunkt ist sie schon mehrere Wochen von ihrem Hausarzt wegen des Mobbings krank geschrieben. Auch Joachim B. hat nach rund zwei Jahren keine Kraft mehr für den täglichen Kampf. Sein Hausarzt attestiert ihm erhebliche Beschwerden ausgelöst durch eine „konfliktträchtige psychische Belastungssituation“. Eine für den Patienten „schier auswegslose“ Situation, durch die ihn Mobbingberater Wolf begleitet. Die Kündigung kann Joachim B. nur durch eine Klage abwenden. Seinen Arbeitsplatz verliert er dennoch: Man einigt sich außergerichtlich. Mobbing ist dabei kein Thema. Die Stelle des Hausmeisters sei vielmehr „outgesourct“ worden, heißt es in einer Stellungnahme seines ehemaligen Arbeitsgebers. „Ich wurde ourgesourct“, wiederholt Joachim B. noch immer fassungslos. Für ihn bis heute unglaublich. Die Mobbing-Vorwürfe weist der Arbeitgeber mit aller Deutlichkeit von sich. Eine namentliche Nennung des Unternehmens wird unter Androhung von rechtlichen Schritten gegen den einstigen Mitarbeiter untersagt: Mobbing gegen Joachim B. habe nie stattgefunden.

 

Nachdem Karin W. ihren Job verloren hat, ist sie ganz unten. Ihre Söhne, Freunde und Mobbingberater Wolf helfen ihr langsam wieder auf die Beine. „Es war wichtig für mich, die Einschätzung eines Außenstehenden zu erhalten“, erklärt sie rückblickend auf ihre Gespräche mit Wolf. Schließlich habe sie sich immer wieder die Frage gestellt: Was habe ich alles verkehrt gemacht? Angst, Unsicherheit und Anspannung nehmen viele Mobbing-Opfer mit an einen neuen Arbeitsplatz. Doch einen Job zu finden, gestaltet sich sowohl für Karin W. und als auch für Joachim B. schwierig. Wer über 50 ist, hat schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Die Sekretärin hat kein Arbeitszeugnis erhalten und sich auch nicht darum bemüht. „Ich möchte denen nicht noch einmal die Chance geben, mich zu verletzen.“ Was bleibt, ist die Unsicherheit. Karin W. hält sich und ihre Familie mit 400-Euro-Jobs über Wasser. „Ich habe diese Zeit tief in meinem Inneren versenkt und meine Lebenslust wieder gewonnen.“ Joachim B. dagegen ist arbeitslos. Er sucht wieder nach einer „richtigen Aufgabe“. Wie damals, als er der Hausmeister war, „der alles kann und alles macht“.

Eva Wiedemann (POW)

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