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Bischof Dr. Franz Jung bei Missionaren in Bolivien

„Die Hölle von Palmasola“

Bischof Dr. Franz Jung besucht größtes Gefängnis Boliviens – Kirche unterstützt mit Kindergarten und Bildungsangeboten – Gefangene kontrollieren sich gegenseitig

Santa Cruz de la Sierra (POW) Ich war schon einmal im Gefängnis, beruflich, in der JVA Würzburg. Als auf dem Terminplan die Gefängnisseelsorge auftaucht, bin ich nicht überrascht, aber auch nicht vorbereitet auf das, was kommt: das Gefängnis Palmasola nahe bei Santa Cruz de la Sierra. Es ist das größte Boliviens. Wir treffen uns dort mit Gefängnisseelsorgerin Schwester Maria Santissima und Gefängnispfarrer Osvaldo Peña. Vor dem Eingangstor steht eine Schlange. Es sind hauptsächlich Frauen, die ihre Männer im Gefängnis besuchen wollen. Sie bringen Dinge des täglichen Bedarfs mit – Lebensmittel in Plastiktüten. Was sie sonst noch transportieren, ist nicht erkennbar. Handys sind offiziell im Gefängnis verboten. Die Pressekamera musste vorher angemeldet werden, sogar das genaue Modell. Kaum mache ich die ersten Fotos, kommt ein Wärter. Wo Fotos gemacht werden dürfen, wird mir später genau gesagt.

Nachdem wir durch das Tor eingetreten sind, bekommen wir den ersten Stempel auf den Arm. Dann geht es über einen offenen Platz. Schwester Santissima zeigt nach links. Dort ist der Trakt der Frauen und Kinder. Kinder im Gefängnis? Ja, in Palmasola leben die Kinder bis zu einem gewissen Alter bei ihren Müttern im Gefängnis. Die katholische Kirche hat dort einen Kindergarten, in dem die Kinder auch betreut werden. Die Kirche und das Innenministerium haben Verträge geschlossen, erklärt Pfarrer Christan Müssig. Rechter Hand ist ein kleiner Teich, eine Gans läuft dort. Dann kommen wir zu einer kleinen Grotte. Dort warten wir, bevor uns jemand weiterbegleitet. Unser Ziel ist der Gefängnistrakt „PC - 4“ („Puertas Controladas 4“) – auf Deutsch bedeutet es wörtlich „kontrollierte Türen“ – ein Männertrakt.

Es gibt die nächsten Stempel und unsere Pässe werden kontrolliert. Ich habe meinen vergessen, doch ein Foto des Passes reicht. Ich darf erst fotografieren, wenn wir in den Bereichen der Kirche angekommen sind. Direkt hinter dem Tor steht schon ein Begrüßungskomitee der Insassen. Wir schütteln viele Hände. Eine Gruppe wartet mit riesigen Töpfen, um sie in die Großküche zu bringen.

Das Gefängnis sieht aus wie eine kleine Stadt. Es gibt viele kleine Häuschen, teilweise mit Balkonen, außerdem Restaurants und Läden. Auch Frauen laufen dort herum. Es gibt keinen Besuchsraum wie in deutschen Gefängnissen.

Und das Wichtigste: In „PC - 4“ kontrollieren die Insassen sich gegenseitig – nicht das Wachpersonal. Uns begleitet zwar ein Wärter, aber auch verschiedene Kontrolleure des Blocks. Wir gehen durch ein anderes Tor. Hier beginnt der Bereich der katholischen Kirche. Ab hier darf ich fotografieren. Wir setzen uns an einen Tisch, die Männer uns gegenüber. Erst berichtet Schwester Santissima über die Arbeit der Gefängnisseelsorge. 24 Freiwillige arbeiten in der Gefängnisseelsorge mit, teilweise sind sie Gefangene, teilweise kommen sie von außen. Außerdem arbeiten noch zehn Priester und Ordensfrauen mit. Eine Schwester betreut den Kindergarten.

Anschließend stellen die Häftlinge sich selbst vor. Die Taten, für die sie verhaftet wurden, nennen sie in der Regel nicht. Eine andere Schwester versichert uns, dass viele auch unschuldig in Palmasola säßen, viele hätten aber auch schwere Verbrechen begangen. Manche Insassen sind schon zwölf Jahre dort. Ein Problem sei, dass viele Menschen in Untersuchungshaft säßen und noch gar keinen Prozess hatten. Die Männer sagen, es gebe nur zehn Pflichtverteidiger und vier Richter. Wer kein Geld für einen Anwalt hat, habe wenig Chance, das Gefängnis zu verlassen. Geld und damit auch Korruption spielen eine wichtige Rolle im Gefängnis. Die Gefangenen berichten, dass viel Geld auf dem Weg aus oder in das Gefängnis versickern würde. Es würden viele Menschen mitverdienen und sich persönlich bereichern. Viele Dinge im Gefängnis kosten Geld, manche Gefangenen berichten auch, dass Schlafplätze Geld kosteten. Ein Bett für jeden gebe es bei weitem nicht, doch wir sehen keinen der Schlafräume von innen.

Geld und Korruption sind für die Inhaftierten nicht die einzige Herausforderung. Ein Insasse berichtet, dass seine Familie ihn immer mehr vergesse. Die Männer wiederholen das Wort „podrido“. Das bedeutet so viel wie „verfault“. In Deutschland würde man wohl sagen: „Man versauert im Gefängnis.“ Es kümmert sich keiner mehr um einen. Ein anderer Gefangener berichtet, dass während der Coronapandemie keine Besucher mehr in das Gefängnis gelassen wurden. Ohne Essenszufuhr von Angehörigen hätten die Insassen die Straßenkatzen gegessen, erzählen die Insassen.

Wie viele Menschen genau in Palmasola gefangen sind, weiß wohl niemand genau. Pfarrer Müssig berichtet, dass man bisher von 5000 Gefangenen ausgegangen sei. Beim Zensus 2024 sollen es dann 8000 gewesen sein. Ein offizielles Ergebnis gebe es noch nicht.

Die Gefangenen zeigen uns den Bereich der Kirche. Es gibt einen Raum für alte Gefangene sowie extra zuständige Beauftragte. Sie nennen sich „Delegación 3ra Edad“ – die Beauftragten für die dritte Lebensphase, also den Lebensabend. Danach laufen wir durch die Schulräume. Es gibt Unterricht in Mathematik, Biologie, Elektrotechnik und Spanisch. Anschließend gehen wir durch die Gefangenenstadt, immer begleitet von den Kontrolleuren – oder besser: Aufsehern? Wir gehen in eine erste Schreinerei. Die Gefangenen arbeiten hier und verkaufen die Gegenstände auch. Bei der nächsten Station sind wir in einer Art Verkaufsraum. Hier wird an verschiedenen Gewerken gearbeitet, aber auch gleichzeitig verkauft. Es gibt Drechsler, die Holz bearbeiten und dann verkaufen. Jemand knüpft Hängematten. Bischof Jung bekommt ein Holzkreuz geschenkt. Es ist ein bisschen das Skurrile an diesem Ort: Mitten im Gefängnis werden Devotionalien wie Rosenkränze und Kreuze hergestellt. Unser nächstes Ziel ist die Kirche. Und jetzt wird es noch skurriler. Wir gehen durch eine Gasse und landen auf einem riesigen Sportplatz. Drumherum sind Tribünen, und die Gefangenen feuern sich beim Fußballspielen an. Wir gehen um das Spielfeld herum und landen in der Kapelle.

Dort ist es ruhig. Die ersten Musiker beginnen zu spielen. Anschließend folgt der Gottesdienst in der „Hölle von Palmasola“, wie Bischof Jung nach dem Besuch seine Eindrücke bilanziert. Die Messe in dem Gefängnis hat Bischof Jung nachhaltig beeindruckt. Für ihn war sie einer der Höhepunkte seiner Pastoralreise: „Die Inbrunst, mit der wir Gottesdienst gefeiert haben, diese Sehnsucht nach Segen, das sind Bilder, die man nie mehr vergisst.“ Die Sehnsucht nach Segen ist groß. Während des Gottesdienstes segnet der Bischof mit Weihwasser. Das Weihwasser wird mit einer Rose verteilt. Die Männer bekommen es erst in die Hand und bekreuzigen sich dann. Außerdem lassen sie die Devotionalien aus den eigenen Werkstätten segnen.

Nach dem Gottesdienst verlassen wir das Gefängnis wieder durch die Schleusen. Und ich bin ehrlich froh, dass ich draußen bin.

Aus Bolivien berichtet Anna-Lena Ils (Medienhaus des Bistums Würzburg)

(2124/0543; E-Mail voraus)

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