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Dokumentation

„Die Hoffnung aber lässt nicht zugrunde gehen“

Predigt von Bischof Dr. Franz Jung im Würzburger Kiliansdom in der Predigtreihe in der Osterzeit im Heiligen Jahr 2025 zum Thema „Hoffnungsorte“ am Sonntag, 27. April 2025 zum Thema: Die Bahnhofsmission in Würzburg

Liebe Schwestern und Brüder,

in der Predigtreihe im Dom anlässlich des Heiligen Jahres mit dem Motto „Pilger der Hoffnung“ soll es um Hoffnungsorte gehen. Ich darf als Bischof heute den Anfang machen mit meinem Hoffnungsort, der Bahnhofsmission in Würzburg. Zu Beginn will ich kurz erzählen, wie ich zu diesem Ort kam. Alles begann mit der Bischofsweihe!

Das Weiheversprechen, den Armen und Heimatlosen beizustehen

„Bist du bereit, um des Herrn willen den Armen und den Heimatlosen und allen Notleidenden gütig zu begegnen und zu ihnen barmherzig zu sein?“ So wurde ich vor der Weihe gefragt. Ich habe diese Frage mit „Ja“ beantwortet und im Anschluss daran nach einer Möglichkeit gesucht, diesem Versprechen sichtbaren Ausdruck zu verleihen. Als Bischof besucht man viele soziale Einrichtungen der Caritas und anderer Träger der Wohlfahrtspflege. Aber ich wollte nicht nur „Alibi“-Besuche machen, sondern ein festes Engagement eingehen, das den Ernst meines Weiheversprechens unterstreicht.

Festakt zu „120 Jahre Bahnhofsmission Würzburg“

Dann kam der Festakt „120 Jahre Bahnhofsmission Würzburg“ im Jahr 2019. Es war eine beeindruckende Feier, an deren Ende der Aufruf stand, die Bahnhofsmission zu unterstützen, sei es mit Geld oder Sachspenden, oder gar mit der eigenen Zeit.

Ich weiß noch, wie ich von diesem Festakt zurückkam und mir sagte: „Das ist es“.

Hier kannst du dich einbringen. Es ist nur wenige Gehminuten vom Bischofshaus entfernt. Du brauchst keine Spezialausbildung. Eine feste Schicht einmal im Monat mit vier Stunden muss drin sein - trotz der Terminfülle im bischöflichen Kalender.

Bahnhofsmission als Hoffnungsort?

Doch ist die Bahnhofsmission wirklich ein Hoffnungsort? Darüber kann man sich trefflich streiten. Der erste Eindruck scheint dem jedenfalls zu widersprechen. Schon mein allererster Dienst in der Bahnhofsmission konfrontierte mich mit allen Spielarten des Elends, die man meist nur theoretisch kennt, aber denen man hier ungefiltert begegnet: Armut, Einsamkeit, Fluchterfahrung, Obdachlosigkeit, Suchtverhalten, Arbeitslosigkeit und Krankheiten aller Art, die die gewohnten Begleiterscheinungen der Not sind.

Das alles an einem Ort geballt stimmt einen alles andere als hoffnungsvoll. Im Gegenteil. Es war ein Schock, der Armut in ihren vielen Gesichtern – Gesichtern im wahrsten Sinne des Wortes! – nämlich in Menschen, zu begegnen, so ganz offen und ungeschönt. Angesichts dieser Erfahrung mag man mit Recht fragen, ob die Bahnhofsmission überhaupt ein Hoffnungsort ist oder doch das Gegenteil dessen.

Hoffnung besteht in Spannungsverhältnissen

Zur Beantwortung dieser Frage hilft es zu klären, was Hoffnung auszeichnet. Erst wenn geklärt ist, was die Hoffnung ausmacht, kann auch der Frage nachgegangen werden, ob die Bahnhofsmission ein Hoffnungsort ist oder nicht. Was also zeichnet die Hoffnung aus? Hoffnung, so würde ich sagen, ist kein fester Zustand, sondern Hoffnung bezeichnet immer ein Spannungsverhältnis. Die Hoffnung lebt in der Spannung zwischen einem unerwünschten Ist-Zustand und der Aussicht darauf, dass es einmal besser wird, dass sich vielleicht sogar einmal der Ideal-Zustand einstellt. Die Hoffnung zeigt sich dabei als innere Spannkraft, die nicht klein beigibt, sich nicht unterkriegen lässt, sondern sich ausstreckt nach der Veränderung zum Besseren.

Lässt sich die Hoffnung als Spannungsverhältnis beschreiben, kann man auch die Bahnhofsmission als Hoffnungsort bezeichnen. Denn die Arbeit in der Bahnhofsmission bleibt voller Spannungen, die jeder, der sich dort engagiert, erfährt. Von einigen dieser Spannungsverhältnisse möchte ich kurz erzählen.

Bahnhofsmission in der Spannung zwischen Endstation und Haltestelle

Das beginnt beim Bahnhof selbst. Er ist einerseits der Ort höchster Mobilität. Andererseits aber auch der Ort, an dem sich all diejenigen versammeln, für „die der Zug im Leben abgefahren“ zu sein scheint. Man erschrickt nachgerade über die vielen Metaphern, die der Welt des Bahnhofs entlehnt sind, um menschliche Not zu beschreiben. Da ist die Rede von denen, „die auf dem Abstellgleis gelandet sind“, oder von den „Abgehängten“ und „Ausrangierten“.

Inmitten dieser Spannung versteht sich die Bahnhofsmission bewusst als Haltestelle, nicht als Endstation. Auch wenn sie auf den ersten Blick für viele wie eine Endstation erscheinen mag, von ihrem Selbstverständnis her will die Bahnhofsmission dennoch Haltestelle sein. Ein Ort, um einzukehren und aufzutanken. Ein Ort, um Kraft zu schöpfen für die nächste Wegetappe, wie auch immer sie aussehen mag. Denn die Hoffnung geht voran und bleibt nicht stehen. Sie streckt sich immer neu nach dem aus, der vor uns liegt, nach Christus selbst (Phil 3,13).

Bahnhofsmission in der Spannung zwischen zugeschlagenen Türen und offener Tür

„Wo soll ich denn hin? Ich kann nirgendwo hin…“ so schrie neulich jemand seine ganze Verzweiflung heraus, nachdem ihm wieder einmal die Tür gewiesen worden war. In der Bahnhofsmission begegnet man Menschen, hinter denen sich im Leben viele Türen geschlossen haben. Sie haben keinen Ort, wo sie hingehören und wo sie hinkönnten. Deshalb fahren sie oft ziellos durch die Lande, ohne jemals anzukommen.

Angesichts so vieler verschlossener Türen will die Bahnhofsmission die Tür offenhalten. Und zwar für 24 Stunden an sieben Tagen die Woche. Es ist der einzige Ort in Würzburg, der immer geöffnet ist und an dem man immer jemanden antreffen kann. Das macht die Bahnhofsmission so besonders. „Siehe, ich habe vor dir eine Tür geöffnet, die niemand mehr schließen kann“ wird in der Offenbarung des Johannes zum Engel der Gemeinde von Philadelphia gesagt (Offb 3,8). „Philadelphia“ aber heißt übersetzt „Bruderliebe“. Diese Bruderliebe hält in Gestalt der Bahnhofsmission die Tür immer offen. Das macht sie zu dem Hoffnungsort unserer Stadt.

Bahnhofsmission in der Spannung zwischen Hilfsangebot und Ohnmacht

Wer bei der Bahnhofsmission arbeitet, muss lernen, mit der Spannung zwischen Helfen-Wollen und Ohnmacht zurechtzukommen. So ging es mir jedenfalls am Beginn meiner Tätigkeit. Man kommt mit viel Idealismus und will helfen. Aber das Gegenüber entscheidet, ob es die Hilfe annehmen will und oder nicht. So habe ich anfangs mehrfach versucht, jemandem eine Arbeitsstelle zu verschaffen, spürte aber bald, dass der andere nicht zieht und im Letzten eigentlich auch gar nicht will.

Das zeigte mir, dass es nicht darum geht, für andere etwas zu tun, sondern dass man es immer mit ihnen tun muss. Der Mensch, der mir begegnet, entscheidet frei darüber, was für ihn gut ist und was nicht. Meine Hoffnung ist noch lange nicht seine Hoffnung. Hoffnungsort wird die Bahnhofsmission erst dort, wo man einander zuhört und verstehen lernt, was jetzt ein nächster guter Schritt sein könnte und was mein Beitrag dabei sein könnte. Denn im Letzten muss jeder sein Leben selbst in die Hand nehmen. Ich aber darf für ihn hoffen und ihn dabei begleiten, ohne ihn jedoch zu bevormunden oder zu meinen, ich wüsste es besser. Hoffnung gibt frei, ohne fallen zu lassen. Wie sagt es Paulus so schön: „Unsere Hoffnung für euch ist unerschütterlich“ (2 Kor 1,7).

Bahnhofsmission in der Spannung zwischen Verlust und Bewahren der Würde

„Ich bin doch kein Unmensch!“ Dreimal wiederholte der Gast lautstark diesen Satz. Er klang wie der Einspruch gegen ein Urteil. Oder wie eine Selbstvergewisserung gegen alle äußere Evidenz. Oder wie eine letzte, trotzige Behauptung der eigenen Würde. Mensch oder Unmensch? Bei der Bahnhofsmission geht es immer um das spannungsreiche Thema Würde. Würde als Selbstachtung. Würde, die von anderen mit Füßen getreten wurde. Würde, die man einklagen möchte, auch wenn kaum eine Aussicht besteht, mit der Klage durchzukommen.

Wenn Hoffnung auf Überleben dadurch gesichert wird, die Würde des Anderen zu wahren, ihn in seiner Würde zu bestärken und ihn so zu ermutigen, sich nicht aufzugeben, dann ist die Bahnhofsmission ein Hoffnungsort. Menschen dürfen hierherkommen ohne Vorbedingungen, ohne sich rechtfertigen zu müssen, ohne Berechtigungs- oder Bezugsscheine. Sie sind hier immer willkommen und angenommen, denn ihre Würde gewinnen sie von Christus her, den wir in den Armen erkennen und dem wir in den Armen dienen (Mt 25,40).

Bahnhofsmission in der Spannung zwischen Zuversicht und Zynismus

Wer an der Armutsgrenze arbeitet, braucht Ausdauer und jede Menge Idealismus. Ausdauer, weil die Armut göttliche Eigenschaften hat, wie Hans Magnus Enzensberger einmal pointiert sagte. Denn Armut ist „allgegenwärtig“ und „ewig“. Ein Ende des eigenen Engagements ist nicht absehbar.

Zugleich braucht man eine gehörige Portion Frustrationstoleranz. Oftmals überkommt einen der Eindruck, als würden Menschen seit Jahren auf der Stelle treten. Ein Fortschritt ist trotz aller Unterstützung nicht in Sicht. Es sind immer wieder die gleichen Geschichten von Benachteiligung und Unrecht, von Verletzungen und Zurücksetzungen, in die sich Besucherinnen und Besucher verheddern und nicht mehr herauskommen. Auch dabei überkommt einen als Mitarbeiter der Bahnhofsmission bisweilen ein Gefühl von Müdigkeit und Mutlosigkeit, manchmal auch von Ärger oder Frust. Die Frage, kann ich eigentlich irgendetwas bewirken, kann ich wirksame Hilfe leisten, sie bohrt und geht an die Substanz.

Ausgespannt zwischen Zweckoptimismus einerseits und drohendem Zynismus andererseits geht man seinen Verpflichtungen nach. Rettung bietet in solchen Situationen oftmals der Humor. In der Tat lachen wir oft und viel: über die unfreiwillige Situationskomik des Alltags, über eine ironische Bemerkung oder eine lustige Begebenheit, von der jemand zu berichten weiß. Der Humor bietet die Möglichkeit innerer Distanzierung. Er ist eine Einladung, einmal einen Schritt zurückzutreten, durchzuatmen und sich nicht zu wichtig zu nehmen. Ja, auch der Humor ist eine Form der Hoffnung. Denn wer noch lachen kann, der hat sich erhoben über das Bedrängende der gegenwärtigen Notsituation, der geht nicht auf oder gar unter in der Erfahrung der Vergeblichkeit. Geteilte Freude stärkt die gemeinsame Hoffnung in die Sinnhaftigkeit dessen, was man tut. Nicht umsonst mahnt der Apostel Paulus „Seid fröhlich in der Hoffnung“ (Röm 12,12). Denn aus der Freude erwächst die Geduld, die wiederum durch das Gebet gestärkt wird.

Bahnhofsmission in der Spannung zwischen christlichen Engagement und fehlgeleitetem Ersatz staatlicher Fürsorge

Wie oft höre ich den Satz: Wenn die Stadt und der Staat ihren Verpflichtungen endlich nachkämen, dann bräuchte es gar keine Bahnhofsmission. Ein Satz, in dem der Vorwurf mitschwingt, dass man durch eine Anlaufstelle wie die Bahnhofsmission die nötigen Maßnahmen der öffentlichen Hand geradezu verhindere und den Armutszustand auf Dauer stelle, anstatt das Problem bei der Wurzel zu packen.

Bei allen richtigen Überlegungen verkennt eine solche Argumentation, dass es trotz der bestehenden Unterstützungsangebote immer Menschen geben wird, die durch alle Sicherungsnetze fallen, aus welchen Gründen auch immer. Wie sagt Jesus im Johannesevangelium so provozierend: „Die Armen habt ihr immer bei euch. Mich aber habt ihr nicht immer bei euch“ (Joh 12,8). Wer aber Christus hat, der hat auch durch ihn einen Blick für die allgegenwärtigen Armen.

Insofern kann und will die Bahnhofsmission nicht die öffentliche Armenfürsorge ersetzen. Sie will für die da sein, für die es keine Hilfen gibt. Insofern macht sie auch immer wieder auf Nöte aufmerksam, die bislang noch nicht im Blick waren. Der Hoffnungsort Bahnhofsmission hat dadurch etwas Prophetisches. Er lädt dazu ein, genauer hinzuschauen und zielgerichteter zu helfen.

Die Besucher der Bahnhofsmission als „Pilgerinnen und Pilger der Hoffnung“

Ich komme zum Schluss. „Wir rühmen uns der Bedrängnisse; denn wir wissen: Bedrängnis bewirkt Geduld, Geduld aber Bewährung, Bewährung Hoffnung. Die Hoffnung aber lässt nicht zugrunde gehen; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist“ (Röm 5,3-5). So schreibt der Apostel Paulus im Römerbrief.

Wenn die Bedrängnisse zur Schule der Hoffnung werden, dann wird man auch die Bahnhofsmission als Schule der Hoffnung bezeichnen können. Denn hier lernt man die vielfachen Bedrängnisse der Menschen kennen. Hier übt man sich in der Geduld. Hier ist man im Einsatz auf Bewährung. Auch dass die Hoffnung das unverfügbare Geschenk des Heiligen Geistes bleibt, lernt man hier. Es ist der österliche Geist der Auferstehung, der an das neue Leben glaubt. „Hoffnung oftmals wider alle Hoffnung“, wie derselbe Paulus sagt (Röm 4,18).

 Durch sie wird die Bahnhofsmission zum „Feldlazarett“, also genau zu dem, was der gestern zu Grabe getragene Papst Franziskus von seiner Kirche forderte. Zum Ort, an dem die göttliche Barmherzigkeit den Armen und Notleidenden vermittelt wird. Zum Ort, an dem man die eigene Verletzlichkeit zeigen kann und darf, wie der Auferstandene dem Apostel Thomas seine Wunden zeigt im heutigen Evangelium. Weil der Herr die Wunden in neues Leben gewandelt hat, dürfen wir die berechtigte Hoffnung hegen, dass unser Einsatz nicht vergebens ist.

Die Besucherinnen und Besucher der Bahnhofsmission sind für mich jedenfalls die beeindruckendsten „Pilgerinnen und Pilger der Hoffnung“. Jeden Tag beginnen sie aufs Neue mit ihrer Pilgerschaft. Jeden Tag trägt sie die Hoffnung, nur heute etwas zu essen zu bekommen, nur heute die Erfahrung der Wertschätzung zu machen, nur heute einem freundlichen Gesicht zu begegnen und nur heute ein wirkliches Gespräch zu finden. Die Bitte um das tägliche Brot aus der Hand des himmlischen Vaters leben sie so konkret wie nur wenige von uns. Lassen wir sie auf dieser Pilgerreise nicht allein. Stärken wir sie in ihrer Hoffnung durch unsere Aufmerksamkeit und Zuwendung. Denn die gemeinsame Hoffnung lässt niemanden zugrunde gehen. Genau dafür steht die Bahnhofsmission, auch hier in Würzburg. Amen.