Port Elizabeth/Würzburg (POW) In Port Elizabeth in Südafrika leitet Würzburgs Domkapellmeister Martin Berger derzeit einen Meisterkurs in der Chorarbeit mit Kindern. In folgendem POW-Interview spricht er über seine Erfahrungen „in einem anderen Teil unseres Planeten“.
POW: Sie sind derzeit Gast des „Eastern Cape Childrens Choir“ und der Nelson Mandela Universität in Port Elisabeth in Südafrika. Welche neuen Erfahrungen sammeln Sie bei dem Meisterkurs in Südafrika?
Domkapellmeister Martin Berger: Es ist für mich sehr bereichernd, wieder in einem anderen Land mit einer anderen Kultur arbeiten zu können. Südafrika ist 12.000 Kilometer von Deutschland entfernt, und man ist in einem anderen Teil unseres Planeten – da ist vieles anders. Vor zwei Jahren haben wir mit den Würzburger Domsingknaben Südafrika bereist und dabei auch ein Konzert in Port Elisabeth gegeben, das damals in der regionalen Presse sehr viel Beachtung fand. Im vergangenen Jahr hat uns der gastgebende „Eastern Cape Childrens Choir“ (ECCC), einer der besten südafrikanischen Kinderchöre, in Würzburg besucht und einen Gottesdienst und ein Konzert gestaltet. Lionel van Zyl, Leiter dieses Chores und „Deputy Head of the Music Department“ der Nelson Mandela Universität hat mich in diesem Jahr eingeladen, einen Meisterkurs in Port Elizabeth zu leiten. Ziel war dabei zum einen, europäische Chormusik auf hohem Niveau mit den Kindern zu realisieren, zum anderen, Lehrerinnen und Lehrern, Studentinnen und Studenten der Nelson Mandela Universität durch die Möglichkeit der Hospitation neue Anregungen in der Chorarbeit mit Kindern zu geben. Seine Einladung und seine vielfältigen Kontakte haben dazu geführt, dass ich gerade das Land bereise, um mein Wissen im Bereich Chorleitung zu teilen und selbst vom Wissen meiner Kollegen zu profitieren. Daneben hat mich die Universität als Jurymitglied des renommierten Charles-Bryar-Award berufen, mit dem sie besonders talentierte Studierende auszeichnet und mit einem Stipendium fördert.
POW: Chorleitung in Südafrika: Ist das mit Ihrer Aufgabe im Würzburger Dom zu vergleichen? Wo liegen die Unterschiede?
Berger: Der Hauptunterschied liegt darin, dass in einem Chor wie dem ECCC die unterschiedlichen Kulturen und sozialen Schichten Südafrikas aufeinander treffen: Afrikaaner, Xhosa, Zulu, Coloured haben in diesem Land einen eigenen kulturellen und historischen Background und damit auch einen völlig unterschiedliches Zugang zum Singen. Während in Europa Singen nur noch fast ausschließlich als Kunstform gepflegt wird, ist es für die farbige Bevölkerung Teil ihrer Identität. Schwarze Kinder singen und tanzen immer und überall, weil Singen Ausdruck ihrer Emotionalität ist. Das ist natürlich ein fantastisches Erlebnis für einen Musiker. Die musikalischen Grundvoraussetzungen sind allerdings sehr verschieden: Südafrika hat elf Nationalsprachen und genauso viele Bevölkerungsgruppen. Englisch ist damit für 90 Prozent der Bevölkerung nicht die Muttersprache, sondern lediglich Kompromisssprache. Das heißt, dass sich nicht nur der Chorleiter ständig in einer Fremdsprache bewegt, sondern auch fast alle Kinder des Chores.
POW: Wie bringen Sie die verschiedenen Kulturen zusammen?
Berger: Die Traditionen und Kulturen dieser Kinder könnten gegensätzlicher nicht sein. Für Xhosa oder Zulu-Kinder ist unsere europäisch geprägte Kunstmusik oft schwer fassbar und unsere Vorstellung von Chorgesang manchmal auch. Singen ist individueller Ausdruck von Emotionalität und die Vorstellung, besonders intensiv an Stücken zu arbeiten, ist vielen hier unverständlich. Meine Idee, dass eine Probe möglichst pünktlich beginnt, habe ich am ersten Tag zu Grabe getragen und unsere Vorstellung von musikalischer Präzision ist in vielen Kulturen, aus denen die Kinder kommen, kein anzustrebendes Ideal. Für die überwiegend aus weißen Familien stammenden wohlhabenden und musikalisch vorgebildeten Kinder ist das kein Problem. Enorm sind auch die sozialen Unterschiede: Kinder aus extrem reichen Familien singen hier mit Kindern aus den Townships, die außer der Schulspeise oft keine zweite Mahlzeit am Tag haben. Viel extremer kann man das nicht erleben. Ein solcher Kinderchor spiegelt aber authentisch die Situation dieses Landes wider, das versuchen muss, seine Extreme zu einem Ganzen zu bündeln und Gegensätze zu vereinen.
POW: Wie erleben Sie afrikanische Kinder und Jugendliche in den Chören und beim Gesang?
Berger: Sehr offen, sehr motiviert, sehr dankbar und vor allem sehr zufrieden. Die Kinder lachen oft, ausgelassen und gern. Das Bewegendste ist, dass hier nichts selbstverständlich ist. Für die Kinder war die Tatsache, dass jemand zu ihnen kommt, um mit ihnen zu arbeiten, ein ungeheurer Ansporn. Besonders die Dankbarkeit der Kinder hat mich tief berührt. Es gab kaum ein Kind, das mir als Dankeschön nicht eine persönliche Karte oder einen Brief geschrieben hat. So etwas erlebt man ganz selten im Leben. Vielleicht nehmen wir in Deutschland vieles zu selbstverständlich, da können wir viel von den südafrikanischen Kindern lernen.
POW: Wie erleben Sie das Land Südafrika?
Berger: Südafrika ist ein faszinierendes Land, dessen Schönheit unbeschreiblich ist. Mein Aufenthalt ist bereits mein dritter Besuch, daher kenne ich die meisten touristischen Ziele. Da ich ausschließlich mit Einheimischen zu tun habe, erlebe ich das Land aus sehr unmittelbarer Perspektive. Südafrika ist ein Land großer Gegensätze, und es ist schon ein kleines Wunder, dass es nach dem Ende der Apartheid ein so friedliches Miteinander der Kulturen gibt. Südafrika ist ein außerordentlich gastfreundliches Land, die Menschen hier freuen sich gern und ehrlich. Besonders beeindruckend war für mich ein Kurzbesuch bei den Mariannhiller Missionaren in Durban, wo ich einen kleinen Einblick in deren Arbeit gewann. Dort wird hervorragende Arbeit geleistet. Erschütternd ist natürlich die Aids-Problematik. In den ländlichen Homelands von Kwazulu-Natal liegt die Infektionsrate bei geschätzten 50 bis 60 Prozent. Das kann einen nicht unberührt lassen. Auch die ungeheure Armut in den Townships um die Großstädte ist unbegreiflich. Trotzdem wirken die Menschen im Gespräch sehr zufrieden. Entgegen allen Behauptungen erlebe ich dieses Land auch als sicher – wenn man sich an gewisse Spielregeln hält.
POW: Die „Würzburger Dommusik“ ist in Südafrika nicht unbekannt. Welche Neuigkeiten aus Südafrika können Sie den Würzburger Domchören mitteilen?
Berger: Es ist wirklich unglaublich, wie sehr sich die Menschen an die Konzerte der Domsingknaben im Jahr 2005 in Mariannhill und Port Elizabeth erinnern. Man merkt daran, dass die Menschen nicht übersättigt sind. Der Besuch von Kindern und Jugendlichen aus Europa ist für sie ein Geschenk. Für das nächste Jahr haben wir eine offizielle Einladung erhalten, mit einem Chor der Würzburger Dommusik in Südafrika zu konzertieren. Jetzt müssen wir sehen, ob wir sie annehmen können.
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