Würzburg (POW) Vor 1600 Jahren ging der Kirchenvater Hieronymus bei der Übersetzung des alttestamentlichen Buchs Judit mitunter sehr kreativ ans Werk. Vom Originaltext ließ er nur etwa die Hälfte übrig. Das zeigt Dr. Lydia Lange, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Altes Testament und biblisch-orientalische Sprachen der Universität Würzburg, in ihrer Doktorarbeit auf. Diese ist nun als Buch unter dem Titel „Die Juditfigur in der Vulgata. Eine theologische Studie zur lateinischen Bibel“ im Verlag De Gruyter erschienen, schreibt die Universität Würzburg in einer Pressemitteilung.
Das alttestamentliche Buch Judit erzählt die Geschichte der schönen und frommen Witwe, die ihre Stadt und das ganze Volk Israel vor dem Heer des assyrischen Generals Holofernes rettet. Die griechische Originalfassung des Buchs sei um 100 vor Christus entstanden. Lange habe sich in ihrer Doktorarbeit mit den verschiedenen lateinischen Übersetzungen des Buchs befasst, allen voran mit der um 400 nach Christus vom Kirchenvater Hieronymus geschaffenen „Vulgata“-Fassung. Schon ein erster Vergleich habe gezeigt: Hieronymus kürzte und veränderte den Text so stark, dass seine „Übersetzung“ nur noch etwa zur Hälfte mit dem Original übereinstimme. „Hieronymus hebt Judit als besonders keusch hervor – aber im griechischen Original und in den anderen lateinischen Übersetzungen kommt dieses Wort gar nicht vor“, sagt Lange. Im Ursprungstext handele Judit zudem ohne göttlichen Beistand, doch Hieronymus lasse Gott in die Handlung eingreifen: Gerade weil Judit so keusch sei, verhelfe Gott ihr zu noch größerer Schönheit.
Um zu klären, warum der Übersetzer das machte, befasste sich Lange auch mit Hieronymus selbst und seinen überlieferten Werken und Briefen. „Hieronymus umgab sich in Rom mit reichen Witwen und Jungfrauen“, sagt sie. Ihnen habe er nahegebracht, wie sie auf Gottes Wegen leben sollten – nämlich keusch und asketisch. Die Frauen sollten zum Beispiel fasten, sich nicht schminken und zurückgezogen leben. Dieses Anliegen habe der Kirchenvater wohl in seine Übersetzungsarbeit einfließen und in der Figur der Judit kumulieren lassen. Möglicherweise habe Hieronymus auch den alten Erzählstoff für die Gegenwart aufbereitet. Im griechischen Textoriginal gehe Judit zum Beten stets alleine in ein Zelt auf dem Dach ihres Hauses. In der Übersetzung dagegen verrichte sie ihre Gebete gemeinsam mit anderen Frauen in einer Kammer im Haus – „so war es zu Hieronymus Zeiten in Rom üblich“. In ihrer Doktorarbeit zeigt Lange auf, wie und unter welchen Perspektiven Hieronymus mit dem Text gearbeitet und ihn weiterentwickelt hat.
Lydia Lange: Die Juditfigur in der Vulgata. Eine theologische Studie zur lateinischen Bibel. 456 Seiten, 129,95 Euro. Verlag De Gruyter, 2016, ISBN 978-3-11-048823-4.
(3416/0924; E-Mail voraus)
Hinweis für Redaktionen: Foto abrufbar im Internet