Würzburg/Aschaffenburg (POW) Wegen der Coronakrise sind auch die Psychosozialen Beratungsstellen für Suchtprobleme (PSB) des Diözesan-Caritasverbands Würzburg bis auf Weiteres geschlossen. Die Arbeit geht aber per Telefon, Videochat und Online weiter. Wie die Tätigkeit unter den besonderen Bedingungen der Ausgangsbeschränkungen konkret aussieht, schildert Daniel Elsässer, Leiter der PSB Aschaffenburg, im Telefoninterview.
POW: Herr Elsässer, viele Dienste der Caritas verzichten zum Schutz von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, aber auch, um das Coronavirus nicht weiter zu verbreiten, auf den direkten Kontakt mit Klientinnen und Klienten. Wie geht Beratung auf Distanz?
Daniel Elsässer: Wir arbeiten als PSB-Team vom Büro oder von daheim aus und haben komplett auf die Beratung übers Telefon, über Videochat und online umgestellt. Zum Glück sind wir schon länger digital unterwegs, aber eine Umstellung bedeutet das schon für viele Kolleginnen und Kollegen – und für die Betroffenen am anderen Ende der Leitung auch. Das Ideal der Beratung ist immer noch die unmittelbare Begegnung mit den Menschen, also von Angesicht zu Angesicht. Berater und Klient sitzen einander gegenüber und kommen ins Gespräch. Zu telefonieren oder sich über einen Videochat auszutauschen, das ist etwas anderes. Was vor Wochen noch eine Ergänzung war, ist nun der Regelfall, weil es anders nicht geht.
POW: Wo genau sehen Sie die Herausforderungen?
Elsässer: Je weniger Informationen Sie haben, desto mehr müssen Sie sich konzentrieren. Und das kostet viel Energie. Jeder kann das selbst ausprobieren in dieser Zeit: Eine Stunde mit einem Menschen am gemeinsamen Tisch oder auf dem Sofa zu sprechen, braucht viel weniger Konzentration als ein Videochat über Skype oder ein einstündiges Telefonat. Als Berater brauchen wir auch die nonverbalen Signale unseres Gegenübers, und die fallen am Telefon weg. Die Erfahrung zeigt: Nach fünf oder sechs Gesprächen, bei denen es ja in der Regel um ernsthafte Konflikte geht, ist die Power raus, selbst bei langjährigen Beraterinnen und Beratern.
POW: Um welche Problemlagen geht es in der PSB, und sind durch die Krise neue hinzugekommen?
Elsässer: Alles, was zur Sucht werden kann, ist bei uns Thema. Wir beraten Menschen, die von legalen und illegalen Drogen abhängig sind; wir beraten Menschen bei Glücksspielsucht, aber auch Frauen und Männer mit Depressionen, Ängsten und Suizidgedanken. Die Krise schafft neue Notlagen. Viele Probleme verstärken sich, wenn der Mensch durch Isolation auf sich zurückgeworfen wird. Wer schon Depressionen hatte, wird diese unter Umständen noch stärker spüren; wer immer mal wieder suizidale Gedanken hegte, läuft unter Umständen Gefahr, diese nun in die Wirklichkeit umzusetzen.
POW: Wie gehen Sie damit um?
Elsässer: Wir nehmen die Menschen erst einmal sehr ernst mit ihren Problemen und beschwichtigen nicht vorschnell. Dann geht es darum, Perspektiven zu eröffnen, sodass die Betroffenen aus ihrer inneren Isolation herauskommen können. Das ist ja nicht einfach, wenn sie niemanden besuchen sollen und die Selbsthilfegruppen keine Treffen mehr abhalten dürfen. Wir versuchen, gemeinsam mit dem Klienten zu schauen, warum das Leben weiterhin lohnen kann. Ich gehe davon aus, dass in den nächsten Wochen mehr Fälle aufschlagen werden, bei denen es um depressive Zustände oder gar suizidale Gedanken geht, denn für viele Menschen ist die Lage familiär und wirtschaftlich wirklich schwer. Wenn wir den begründeten Verdacht haben, jemand könnte sich etwas antun, informieren wir selbstverständlich die Polizei. Aber dafür braucht es viel Erfahrung. Wir müssen die Menschen schützen und wollen keinen blinden Alarm auslösen. Da geht es um Vertrauen und Verantwortung.
POW: Die Grenzen sind geschlossen. Die Ausgangsbeschränkungen werden überwacht. Wird damit das Thema „illegale Drogen“ uninteressant?
Elsässer: Leider nicht. Wir stellen fest, dass die Preise für illegale Drogen immer weiter steigen. Und wer sich das nicht mehr leisten kann, geht nicht in den Entzug, sondern schwenkt auf Ersatzdrogen um. Das ist dann meist Alkohol. Es ist zu befürchten, dass der Alkoholkonsum mit allen negativen Folgen gerade zunimmt.
POW: Seit einigen Jahren ist die Spielsucht ein großes Thema in der PSB. Nun haben die Spielhallen geschlossen, und die vielen Automaten in der Gastronomie sind auch nicht mehr zugänglich. Gibt es so etwas wie einen „kalten Entzug“ für Spielsüchtige?
Elsässer: Wer jetzt schon unter Spielsucht leidet, steigt nun um auf Online-Angebote. Die bewegen sich in einem gesetzlichen Graubereich, haben aber seit ein paar Wochen enormen Zulauf. Wir befürchten, dass Menschen mit bestimmten Dispositionen über die Online-Angebote in die Sucht einsteigen, weil die Langeweile zum Zocken verführen kann. Das wird uns nach der Krise vermutlich noch sehr beschäftigen. An dieser Stelle ist der Staat als Gesetzgeber gefragt, der aber gleichzeitig am Glücksspiel mitverdient.
POW: Mal ganz praktisch: Wie bahnen Sie eine Beratung über Videochat an?
Elsässer: Für die Videoberatung nutzen wir einen sicheren und datenschutzkonformen Dienst. Der Klient bekommt auf Anfrage eine E-Mail mit Uhrzeit und Link, über den er sich einwählen kann. Die meisten unserer Klienten nutzen den Dienst über eine App fürs Smartphone. Zum ausgemachten Zeitpunkt startet zuerst der Berater das Programm, dann steigt der Klient über den Link ein. Das funktioniert ganz gut.
POW: Wird die Krise zumindest an dieser Stelle auch zur Chance, das große Thema „Digitalisierung“ voranzubringen?
Elsässer: Wir brauchen die Begegnung von Mensch zu Mensch. Das spüren wir auch in unserem Team, das gerade auf Distanz gegangen ist. Kommunikation lässt sich digital nicht einfach ersetzen. Aber klar: Wir sind hier in einem Lernfeld unterwegs und werden mit Sicherheit einiges für die Zeit nach der Krise mitnehmen.
POW: Haben Sie zum Schluss noch einen Tipp für die Leserinnen und Leser, um gut durch die nächsten Tage und Wochen zu kommen?
Elsässer: Schauen Sie, was Ihnen emotional guttut, was Ihnen Stabilität verleiht. Eine gute Tagesstruktur ist hilfreich und gewährleistet Abwechslung. Und: Bevor jemandem die Decke auf den Kopf fällt oder sich destruktives Handeln anbahnt, sollte er eine Beratungsstelle anrufen. Wir und viele Kolleginnen und Kollegen in Unterfranken und darüber hinaus sind ja weiterhin für die Menschen da.
Interview: Dr. Sebastian Schoknecht (Caritas)
(1520/0420; E-Mail voraus)
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