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Dokumentation

„Die Mitbrüderlichkeit muss zur Geschwisterlichkeit werden“

Predigt von Bischof Dr. Franz Jung bei der Missa chrismatis am Montag, 29. März, im Würzburger Kiliansdom

Siehe, wie gut und wie schön ist es, wenn Brüder miteinander in Eintracht wohnen. Es ist wie köstliches Salböl auf dem Haupt, das hinabfließt auf den Bart, den Bart des Aaron, das hinabfließt auf den Saum seines Gewandes. Es ist wie der Tau des Hermon, der niederfällt auf die Berge des Zion. Denn dorthin hat der HERR den Segen entboten, Leben bis in die Ewigkeit.

Liebe Mitbrüder im priesterlichen und diakonalen Dienst,
liebe Schwestern und Brüder,

der kleine Psalm 133 ist das große Loblied auf das gelingende Zusammenleben unter den Christen, so haben ihn zumindest die Kirchenväter gelesen. Die Tradition ist ihnen darin gefolgt. Selbst Dietrich Bonhoeffer beginnt noch sein kleines und bis heute überaus lesenswertes Büchlein über das „Gemeinsame Leben“ mit diesem kleinen Psalm und seinem Lob der Eintracht. Die Väter, allen voran Hieronymus und Augustinus, sahen in dem Psalm sogar die Gründungsurkunde aller klösterlichen Gemeinschaften. Letzterer schreibt:

„Hat doch dieser Psalmtext, dieser süße Klang, diese sowohl für das Ohr wie für das Verständnis so liebliche Melodie auch die Klöster gegründet. Dieser Klang weckte Brüder, die den Wunsch hatten, miteinander zu wohnen. Dieser Vers war ihre Trompete. Er erscholl auf dem ganzen Erdkreis, und die getrennt waren, scharten sich zusammen.“

Eine Klostergründung steht mir nicht vor Augen, wenn ich mit Ihnen heute zur Chrisam-Messe diesen kleinen Psalm meditieren möchte. Sehr wohl aber beschäftigt mich das mitbrüderliche Zusammenleben und Zusammenwirken angesichts der Bildung der neuen Pastoralen Räume. Schließlich soll in den Pastoralen Räumen die Leitung „in solidum“, also in gemeinsamer priesterlicher Verantwortung wahrgenommen werden. Auch wenn in den Gremien mit Einmütigkeit für dieses Leitungsmodell votiert wurde, ist uns allen klar, dass diese Form einem jedem viel abverlangen wird, wenn sie denn erfolgreich praktiziert werden soll. Fragen wir uns also mit dem Psalm, worin die erforderliche Einheit gründet und was es bedeutet, sie zu leben.

Geeint im Einen, in Jesus Christus, dem endzeitlichen Aaron

„Ecce quam bonum et quam iucundum habitare fratres in unum.“ So lautet unser Vers in der Vulgata-Fassung, was zu übersetzen ist mit „Siehe, wie gut und angenehm ist es doch, daß die Brüder zum Einen (hin) wohnen.“ Diese etwas seltsame Formulierung „zum Einen (hin) wohnen“ deutet Augustinus nicht nur als Eintracht, sondern er sieht in ihr einen Hinweis auf den Einen, nämlich auf den einen Herrn Jesus Christus. Durch ihn und in ihm sind alle geeint. Er ist der wahre und einzige Hohepriester seiner Kirche, dessen Präfiguration im ersten Bund der Hohepriester Aaron war. Insofern greift Augustinus die Ausführungen des Hebräerbriefs auf, der das aaronitische Priestertum mit dem ewigen Priestertum Christi vergleicht. Der Verfasser des Hebräerbriefs macht deutlich, dass Christus, der neue Hohepriester, der endzeitliche Mittler ist, weil er nicht nur einmal im Jahr in das Allerheiligste geht, sondern weil er uns für immer in das himmlische Heiligtum vorausgegangen ist (Hebr 9,1-14). Von dort her sendet er seiner Kirche den Heiligen Geist, der in dem köstlichen Salböl versinnbildet ist, das wir heute weihen. Unsere Einheit gründet also in dem Einen, in Jesus Christus, dem wahren und einzigen Hohepriester seiner Kirche, der im Heiligen Geist die irdische Kirche mit dem Leben des dreifaltigen Gottes verbindet.

Das Salböl fließt vom Haupt des Hohepriesters auf den Bart

Von ihm her, Christus, dem Haupt, fließt das Salböl herab auf den ganzen Leib der Kirche. Es strömt vom Haupt herab auf den Bart des Aaron, wie es im Psalm heißt. In der Auslegung der Väter verweist der Bart auf das Vollalter und damit die Ältesten, Gemeindeleiter und Apostel. Die Schönheit eines gepflegten Bartes erweist sich darin, sagt Johannes Tauler, dass jedes einzelne Haar sich kraft des Salböls zu einem schmucken Ganzen zusammenfügt. Das kostbare Öl bewirkt, dass der Bart zur Zierde wird und seinerseits das Öl weiterfließen lässt bis das ganze Gewand des Hohepriesters zum Saum hin durchtränkt. So wird die Psalm-Meditation der Väter unversehens zu einem höchst aktuellen Exkurs über Barber-Shops und die Bartpflege. Mag uns das Bild heute kurios anmuten und erheitern, so hat es dennoch nichts von seinem Ernst verloren. Nur wenn diejenigen, denen der amtliche Dienst der Verkündigung, Leitung und Heiligung aufgetragen ist, in Einheit miteinander verbunden bleiben, kann das Salböl ungehindert weiterfließen. Doch wie kann das gehen und was heißt das konkret, so dass man sagen kann: Siehe, wie gut und wie schön ist es, wenn Brüder miteinander in Eintracht wohnen?

Der Wille zur Einheit

Als erstes wäre hier der Wille zur Einheit zu nennen. Einheit muss man wollen. Wenn man sie nicht will, wird man 1000 Gründe finden, mit denen man sich der Verpflichtung zur Einheit entziehen kann. Das sehen wir am Dies. Die einen kommen immer, andere erscheinen nie. Wenn auf Nachfrage übermäßige Belastung als Entschuldigungsgrund angeführt wird, dann mag das zutreffen, betrifft aber im Grunde alle. Wer nicht erscheint, hat meist kein Interesse, signalisiert aber auch, dass er keine Lust hat, das Miteinander seinerseits zu gestalten oder mitzuhelfen, dass das Zusammenkommen nicht nur gut, sondern eben auch schön ist und für alle zum Gewinn wird.

Die Einheit als Auftrag

Eine zweites. Einheit ist kein stabiler Zustand. Wir erfahren immer wieder, wie bedroht und labil die Einheit ist und dass Einheit stets neu errungen werden muss. Natürlich gibt es gewisse Grundsympathien oder Grundantipathien. Aber angesichts geringer werdenden pastoralen Personals wird es kaum möglich sein, nur „Dream-Teams“ oder Wohlfühlteams zusammenzustellen. Die Hauptamtlichen, Priester, Diakone, Pastoral- und Gemeindereferentinnen und -referenten sind aufgerufen, als Teams das notwendige Bemühen um Einheit selbst vorzuleben. Hier gilt der Grundsatz des Führens durch Vorbild. Wenn die Hauptamtlichen es nicht schaffen, die Einheit zu praktizieren, werden die Gemeinden im Pastoralen Raum auch nicht zusammenwachsen oder überhaupt den Impuls wahrnehmen, enger zu kooperieren. Dann mag es äußerlich gut sein, wenn Brüder und Schwestern im Pastoralen Raum formal zusammenwohnen, schön ist es damit noch lange nicht.

Die drei Öle als Werkzeuge der Einheit

Ein drittes. Die drei Öle, die wir heute weihen, dienen als Verweis darauf, wie Einheit gelingen kann. Das Katechumenenöl für die Taufbewerber erinnert uns an unseren eigenen Glaubensweg. Als Mitbrüder und als Team ist es sicher hilfreich, sich erst einmal auszutauschen über den je eigenen Glaubensweg. Wenn man weiß, woher einer kommt, welche Erfahrungen für ihn prägend waren und was ihm jetzt wichtig ist, kann man einander verstehen lernen und beginnen, einen Weg miteinander zu gehen. Vor allen dienstlichen Obliegenheiten braucht es deshalb immer wieder den Mut und den Raum für diese persönlichen Glaubensgespräche, die das Verständnis füreinander wecken.

Das Chrisamöl für die Sakramentenspendung verweist auf die Momente, in denen wir aus der Fülle schöpfen. Das heißt wiederum, einander mitzuteilen, wo man seine geistlichen Kraftquellen hat und welche Gaben man einbringen kann, ohne dass dazu schon das letzte Wort gesprochen wäre. Entfalten sich die Gaben doch oftmals erst, wenn man herausgefordert wird und sich neuen Aufgaben stellt. Nichtsdestoweniger ist es unabdingbar zu wissen, was jeder und jede einbringen kann aufgrund eigener Berufserfahrungen und persönlicher Vorlieben. Aus dem Wissen um die jeweiligen Stärken können die Verantwortlichkeiten zugeteilt werden, die die Last der Arbeit auf mehrere Schultern verteilen.

Das Krankenöl hingegen erinnert an Misserfolge, Verletzungen und Belastungen, die jeder mit sich herumträgt und die die Zusammenarbeit mitunter erschweren oder gar verunmöglichen können. Je offener es gelingt, sich auch über diese heiklen Punkte ehrlich und vertrauensvoll auszutauschen, umso eher wird es möglich sein, achtsam miteinander umzugehen, ohne alte Verwundungen neu aufzureißen oder Befürchtungen in unnötiger Weise zu Bedrohungen werden zu lassen. Dazu bedarf es der Einübung einer Konfliktkultur, auf deren Basis es möglich wird, Probleme, Fehler und Konflikte offen anzusprechen und nach Wegen zu suchen, die Störungen im Miteinander zu beheben.

Geschwisterlichkeit statt nur Mitbrüderlichkeit

Es ist gut und schön, wenn es gelingt, dass Brüder miteinander in Eintracht wohnen. Die Eintracht unter den Brüdern darf aber nicht dazu führen, dass hier im Geheimen die eigentliche Politik gemacht wird, während alle anderen außen vor sind. Das Gegenteil muss der Fall sein. Die Mitbrüderlichkeit muss zur Geschwisterlichkeit werden. Denn die geweihten Amtsträger müssen sich als Motoren der Einheit verstehen, die den Raum eröffnen, dass sich alle anderen einbringen und mitgestalten können. Nur so wird das Amt seiner Rolle als Dienstamt gerecht und befördert das Einswerden untereinander. Wäre es anders und müsste man konstatieren, dass die Amtsträger die angestrebte Einheit torpedieren, würde man dem Amt schweren Schaden zufügen und an seiner Legitimität berechtigte Zweifel aufkommen lassen.

Es ist wie köstliches Salböl auf dem Haupt, das hinabfließt auf den Bart, den Bart des Aaron, das hinabfließt auf den Saum seines Gewandes.

Das Salböl ist nicht in der Verfügung der Brüder, die mit dem amtlichen Dienst betraut sind. Das Salböl will und muss weiterfließen auf das hohepriesterliche Gewand. Man könnte auch sagen, es muss weiterfließen auf alle, die Christus angezogen haben, wie Paulus im Galaterbrief sagt (Gal 3,27 / Kol 3,10 / Röm 13,14). Wo Einheit überzeugend gelebt und vorgelebt wird, da wirkt sie anziehend. Die Jerusalemer Urgemeinde faszinierte die Zeitgenossen, weil die Apostel mit den Gläubigen ein Herz und eine Seele waren und die tiefe Sehnsucht der Menschen nach echter geistlicher Gemeinschaft ansprachen.

Da mag uns das Katechumenenöl daran erinnern, dass gerade in diesen Zeiten der erzwungenen Vereinzelung durch Corona Menschen nach Sinn und Gemeinschaft fragen und wir aufgerufen sind, genau hinzusehen, auch über unsere engen Pfarrgrenzen hinaus. Die Stärkung durch das Chrisamöl ermutigt uns, beherzt Zeugnis zu geben in Wort und Tat von der Hoffnung, die uns erfüllt. Und natürlich brauchen wir auch das Krankenöl, um all die zu begleiten, aufzubauen und zu trösten, die in den Tagen der Pandemie an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit kommen und auf der Strecke zu bleiben drohen.

Die Einheit, die der Psalm besingt, ist also keine abgeschlossene Einheit einer kleinen Gruppe, zu der nur eingeweihte Zutritt haben, sondern die einladende Einheit einer Kirche, die als pilgerndes Volk Gottes alle mitnehmen will auf dem Weg zum himmlischen Vater.

Psalm 133 als Wallfahrtslied und Gebet auf dem Weg zur Einheit

Wenn wir jetzt die heiligen Öle weihen, mögen wir uns daran erinnern, dass der kleine Psalm 133 im Psalter unter den Wallfahrtsliedern steht. Das heißt, der Psalm ist ein Gebet für unseren Weg. Denn das Gebet ist die eigentliche Kraft und der Ort, an dem wir uns der Einheit mit Gott und der Einheit untereinander vergewissern. Die äußeren Grenzen der Pastoralen Räume haben wir beschrieben. Sie inhaltlich zu füllen, wird noch eines längeren Prozesses bedürfen. Da kann dieser kleine Psalm mit seiner Vision vom guten und schönen Zusammenleben immer wieder Gewissenserforschung, Ermutigung und Hoffnung sein, um weiter auszuschreiten auf dem Weg zur Eintracht.

Siehe, wie gut und wie schön ist es, wenn Brüder miteinander in Eintracht wohnen. Es ist wie köstliches Salböl auf dem Haupt, das hinabfließt auf den Bart, den Bart des Aaron, das hinabfließt auf den Saum seines Gewandes. Es ist wie der Tau des Hermon, der niederfällt auf die Berge des Zion. Denn dorthin hat der HERR den Segen entboten, Leben bis in die Ewigkeit.