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„Die Obergrenze bei Hass ist längst erreicht“

Hochschulpfarrer Burkhard Hose wirbt in seinem Buch für ein Miteinander mit Flüchtlingen – „Christliche Botschaft in einem grundsätzlich kritischen Verhältnis zu jeder Form des Nationalismus“

Würzburg (POW) Er setzt sich aus Überzeugung für Flüchtlinge ein und hat jetzt ein Buch über seine Arbeit geschrieben. Im folgenden Interview erzählt Hochschulpfarrer Burkhard Hose (49), wieso ihm das Thema wichtig ist und welche Schwierigkeiten er im Dialog mit Nationalisten erlebt hat.

POW: Heute schon eine Hassmail bekommen?

Hochschulpfarrer Burkhard Hose: Nein. Es ist auch nicht so, dass ich jeden Tag eine bekomme. Es gibt sie, und es gibt sie mehr als früher. Aber sie nehmen nicht den Raum ein, den sie mitunter in der öffentlichen Wahrnehmung bekommen.

POW: Sie sind als Pfarrer bekannt, der sich für Völkerverständigung und Flüchtlinge einsetzt. Wie kamen denn Sie zu dem Thema oder das Thema zu Ihnen?

Hose: Es gibt zum einen einen biographischen Anteil, weil ich schon während des Studiums erstmals intensiver mit dem Thema zu tun hatte. Wir hatten damals im Priesterseminar eine Zeitschrift mit Namen „Der Schaukasten“. Im Wintersemester 1987/88 war das Thema „Asylanten in Deutschland“. Ich war Mitglied in der Redaktion und hatte auf diese Weise mit diesem Themenfeld zu tun. Ab dem Wintersemester 1988/89 war ich für ein Jahr zum Studium in Luzern in der Schweiz. Dort habe ich wöchentlich einmal in einer Erstaufnahmeeinrichtung in der Stadt gearbeitet, einem alten Hotel. Wenn ich Menschen auf die Ausländerbehörde begleitete, dann wurde ich oft zunächst als ausländischer Student wahrgenommen. Da musste ich schon einiges ertragen. Gegenüber Geflüchteten herrschte in der Schweiz damals schon eine sehr restriktive Politik.

POW: Welche Bezüge zum Thema haben Sie darüber hinaus noch?

Hose: Hinzu kommt, dass ich von zuhause aus schon immer ein politisch interessierter Mensch gewesen bin. Vor allem in meinen ersten beiden Jahren als Kaplan in Kirchlauter und dann vor allem in Kitzingen kam das Thema Ausländer und Flüchtlinge wieder zu mir. In Kitzingen lebten schon damals viele Menschen, die aus der Türkei stammten und das Stadtbild mitprägten. Wirklich intensiv bin ich dann erst durch meine Tätigkeit als Hochschulpfarrer bei der Katholischen Hochschulgemeinde (KHG) in Würzburg wieder zu dem Thema gekommen. Die Arbeit mit und für Geflüchtete hat in der KHG schon lange einen festen Platz. Insofern bin ich zu diesem Thema gekommen, ohne dass ich mir dieses in besonderer Weise gewählt hätte. Es war also auch nicht so, dass ich das Thema dort eingeführt hätte. Dennoch kam das Thema nochmals in neuer Intensität an mich heran, als wir 2012 für sieben Monate einem äthiopischen Geflüchteten Kirchenasyl geboten haben. Er lebte in dieser Zeit im Verwaltungsgebäude und wir hatten von daher täglich Kontakt mit ihm. Seither hat mich das Thema in dieser Intensität nicht mehr verlassen.

POW: Wie viel Mut hat es 2012 gebraucht, Kirchenasyl zu gewähren? Schon damals stieß diese Entscheidung nicht nur auf allgemeine Begeisterung.

Hose: Gerade im Zusammenhang mit dem Kirchenasyl habe ich schnell gemerkt, dass sich die Geister scheiden und man nicht nur Freunde gewinnt. Eben auch, weil eine solche Entscheidung auch politisch ganz unterschiedlich bewertet wird. Es gibt zum Beispiel dann auch Konflikte mit Behörden. Das war uns aber schon im Vorfeld durchaus bewusst. Mehr als diese institutionellen Spannungen hat mich aber immer mehr das Emotionale beschäftigt. Es geht jeweils um einen konkreten Menschen, für den eine solche Entscheidung existentielle Auswirkungen hat. In meinem Buch wird deutlich, dass es bei allem Engagement und der inhaltlichen Auseinandersetzung auch immer einen persönlichen Anteil braucht. Das macht die Arbeit auch manchmal durchaus anstrengend. Aber das ist der Boden, auf dem das Wir wachsen kann. Ich glaube auch, dass die Beziehungen das tragende Element sind, wenn Menschen mit unterschiedlichem kulturellen Hintergrund und verschiedener religiöser Prägung zusammenleben. Der Staat gibt den rechtlichen Rahmen. Aber wir, die Zivilgesellschaft, müssen diesen Rahmen mit verlässlichen Beziehungen füllen.

POW: Provokativ gefragt: Haben die Leute von AfD und Pegida zu wenig Kontakt zu Ausländern und Flüchtlingen?

Hose: Es gibt Untersuchungen, dass AfD und Pegida gerade dort besonders stark sind, wo es am wenigsten Geflüchtete gibt. Ich persönlich bin überzeugt, dass derjenige deutlich weniger für Vorurteile anfällig ist, der sich auf Begegnung einlässt.

POW: An Ihre Adresse richten sich in Leserbriefen oder auf Facebook öfter Vorwürfe, dass Sie für einen Geistlichen zu politisch und zu wenig kirchlich im engen Sinn aktiv seien. Wie stehen Sie dazu?

Hose: Kirchliches und karitatives Handeln ist immer politisch. Denn wir stellen uns dabei immer auf die Seite derjenigen, die in der Gesellschaft die schwächere Position haben. Für mich gehört in diesem Zusammenhang auch immer die Frage dazu: Warum hat jemand die schwächere Position? Damit bin ich schnell bei strukturellen Fragen. Es gibt keine reine Wohltätigkeit ohne eine politische Seite. Davon bin ich überzeugt. Wer nur Suppe an Arme austeilt ohne zu fragen, warum die Armen arm sind, der versteht sie nicht und versteht auch nicht den Sinn von Wohltätigkeit. Wenn man mit Kirche zu tun hat, trifft man neben all dem, was gut läuft, auch immer auf Punkte, bei denen es strukturelle Probleme gibt.

POW: Zum Beispiel?

Hose: Was uns in der Flüchtlingshilfe derzeit beschäftigt, ist das Bayerische Integrationsgesetz. Darin wird Integration vordergründig als Forderung gegenüber den Geflüchteten dargestellt, als deren Bringschuld. Es geht aber um ein Ankommen, um das Zusammenwachsen von Gesellschaft, damit Menschen gut zusammen leben können. Das Integrationsgesetz ist dafür ein denkbar schlechtes Vorzeichen.

POW: Warum?

Hose: Weil es einseitig eine Bringschuld vonseiten der Geflüchteten festschreibt. Damit werden sie alle unter den Grundverdacht gestellt, sich nicht integrieren zu wollen. In der Praxis erlebe ich das ganz anders. Außerdem ist für mich der Begriff der Leitkultur noch immer sehr problematisch. Er wird als abschottender Kampfbegriff verwendet. „Ihr müsst das so übernehmen, damit Ihr hier dazugehört.“ Da fehlt mir die Offenheit für den Anderen. Für mich reicht es zunächst, was im Grundgesetz und unserem Rechtssystem festgelegt wird. Das müssen wir einfordern. Aber wenn der Staat meint, er müsste bestimmen, wie Menschen zu leben haben, dann finde ich das anmaßend. Der Begriff des Christlichen ist in den vergangenen Jahren in einem Umfang missbraucht worden, dass es für mich als Christ und Theologe nur schwer auszuhalten ist. Wenn Pegida zur Verteidigung des christlichen Abendlands aufruft, dann frage ich: Was verstehen sie denn unter christlichen Werten?

POW: Gab es denn schon mal einen echten Dialog zwischen Ihnen und Pegida-Leuten?

Hose: Noch nicht. Es gab Ansätze zum Dialog auf der Straße, bei einer Begegnung. In diesem Zusammenhang hat mich ein Identitärer angeschrieben, der sich als Jurastudent und Mitglied einer schlagenden Verbindung vorgestellt hat. Er schrieb mich unter Pseudonym an und stellte mir seine Gedanken vor, die mir sehr fremd sind. Er schlug ein Treffen vor. Das hat mich interessiert und ich habe eingewilligt, weil ich mich einmal von Angesicht zu Angesicht mit einem Menschen treffen wollte, der solche Ansichten vertritt. Er kam dann zum vereinbarten Treffpunkt und hatte zwei Begleiter dabei.

POW: Das klingt, als hätte er Angst vor Ihnen gehabt.

Hose: Nein (lacht). Wir haben zunächst unsere Argumente ausgetauscht. Dann habe ich ihn befragt, weil die Identitären immer als Argument anführen, dass sich Menschen verschiedener Herkunft nicht miteinander vermischen sollen. Ich habe ihn gefragt: Wie ist es, wenn sie in einem anderen Land jemanden kennen lernen und sich verlieben? Dann ist er zunächst kurz erschrocken, hat sich dann aber schnell gefangen. Er hat gesagt, das sei ihm passiert. Er hat dann gesagt: „Aber ich habe schnell gemerkt, dass meine Verantwortung gegenüber der Volksgemeinschaft wichtiger ist als meine persönlichen Interessen.“ Das Gespräch war danach ziemlich schnell zu Ende.  Am folgenden Tag schickte er mir eine schroffe Nachricht auf Facebook. Das Gespräch habe ihm gezeigt, dass mit mir nicht zu reden sei, sondern dass man mich bekämpfen müsse. Er hat dann auch sein Profil auf Facebook gelöscht. Das war ein Dialog, der mir gezeigt hat, wo es irgendwie unweigerlich endet. Ich habe leider noch keine guten Gesprächserfahrungen gemacht. Ich hatte ganz am Anfang von Pegida mal ein Angebot vom Bezirksvorstand der AfD und eines von Pegida, mal bei einer ihrer Demos auf deren Tribüne meinen Standpunkt zu erläutern. Ich habe beides nicht gemacht. Die Sprache und diese Plattform auf einer Demo sind nach meiner Überzeugung nicht der richtige Rahmen für ein sachliches Gespräch.

POW: In Ihrem Buch machen Sie anhand konkreter Beispiele Mut, sich zu engagieren. Glauben Sie, dass die Leute, die Sie eigentlich erreichen wollen, es zur Hand nehmen?

Hose: Ich habe von vielen, und zwar von mehr Menschen, als ich selbst gedacht habe, gehört, dass es ihnen gutgetan hat, das Buch zu lesen. Und wenn ich damit das erreiche, bin ich mehr als zufrieden. Ich glaube nicht, dass das Buch irgendjemanden überzeugt, der feindlich gegenüber Flüchtlingen eingestellt ist. Als der Verlag auf mich zukam, dieses Buch zu schreiben, habe ich gemerkt, dass es mir selbst gutgetan hat, meine Erfahrungen aufzuschreiben. Weil alle Beispiele echte Erlebnisse sind, habe ich von vielen Menschen Rückmeldungen bekommen, dass sie sich dadurch bestärkt fühlen in ihrem Engagement. So etwas braucht es, weil die lauten negativen Stimmen an allen nagen, die in diesem Feld arbeiten.

POW: Was sagen Sie denen, die kritisieren, dass Sie womöglich ein zu positives Bild zeichnen? Die sich darüber beschweren, dass es mitten in Deutschland zum Teil Räume gibt, in der die staatliche Gewalt nicht mehr greift, wo es eigene Rechtsprechung in Vierteln mit mehrheitlich ausländischer Bevölkerung gibt?

Hose: Ich sehe nichts zu positiv. Ich kenne auch Enttäuschung von Ehrenamtlichen und aus eigener Erfahrung. Ganz bewusst habe ich mich entschieden, positive Geschichten zu erzählen, weil sie etwas verändern.

POW: Sie zeichnen die Welt also nicht einfach schön?

Hose: Nein, was wir mehr als genug erleben – und da ist für mich die Obergrenze schon längst erreicht –sind Hass und aufpeitschende Parolen. Diese zerstören die Gesellschaft. Natürlich sind negative Geschichten ernst zu nehmen, damit man realistisch bleibt. Aber gerade in der aktuellen Situation braucht es motivierende Geschichten, die die Menschen ermutigen, den Weg weiter zu gehen. 

POW: Wenn Sie in zehn Jahren ein weiteres Buch schreiben sollten, welchen Titel könnte es tragen?

Hose: „Leben im neuen Wir“. Es wäre mein Wunsch, dass das irgendwann Realität wird. Dass sich Dinge, von denen wir noch nichts wissen und ahnen, auf dem neuen Weg ergeben. Diese positiven Geschichten würde ich dann gerne erzählen. Natürlich weiß ich noch nicht, wie dieses neue Wir aussieht. Für mich habe ich wahrgenommen, dass ich eine Entwicklung in diese Richtung spüre.

POW: Sie meinen damit auch ein Wegkommen aus dem um sich greifenden Egoismus?

Hose: Vor allem was dessen Ausprägung im Nationalismus, also den kollektiven Egoismus, angeht. Der Nationalismus ist in dieser Vehemenz in Deutschland ein neues Phänomen. Dem müssen wir uns stellen. Gerade als Christen. Wir haben einander schon immer als Brüder und Schwestern verstanden, über alle Landesgrenzen hinweg. Das fand ich als Kind schon toll, wenn ich als Sternsinger unterwegs war: Es hat etwas mit mir zu tun, wenn es Menschen anderswo auf der Welt schlecht geht. Deswegen bewegt sich die christliche Botschaft in einem grundsätzlich kritischen Verhältnis zu jeder Form des Nationalismus.

Burkhard Hose: Aufstehen für ein neues Wir!,144 Seiten, 14,99 Euro, Adeo-Verlag, Asslar 2016, ISBN 978-3-86334-124-4.

Interview: Markus Hauck (POW)

(0417/0084; E-Mail voraus)

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