Liebe Schwestern und Brüder,
das Hosanna des heutigen Palmsonntags hat eine eigenartige Ambivalenz: Zum einen stimmen wir ein in den Lobpreis Davids: "Ihr Tore, hebt euch nach oben, hebt euch, ihr uralten Pforten; denn es kommt der König der Herrlichkeit. Wer ist der König der Herrlichkeit? Der Herr der Heerscharen, er ist der König der Herrlichkeit.“ “ (Ps 24, 9-10)
Und auf der anderen Seite eröffnet der Einzug Jesu in Jerusalem die schmerzensreiche Karwoche mit seinem Leiden und Sterben. Dabei klingt uns noch nach der Verhandlung bei Pilatus der Ruf der aufgehetzten Volksmenge im Ohr: „Kreuzige ihn!“ (Mk 15,13)
Die Diskrepanz zwischen „Hosanna dem Sohne Davids“ und dem „Kreuzige ihn“ ist keine Angelegenheit des jüdischen Volkes alleine, sondern unserer aller Angelegenheit. Nicht die Juden haben Schuld am Tode Jesu – sondern die Menschheit – also auch wir. Es ist mehr als bedauerlich, ja verwerflich, wenn eine einseitige Sicht dem Volk der Juden die Schuld an Jesu Tod gegeben hat und damit Nährboden antisemitischer Haltungen und Ausschreitungen geworden ist. Es ist für uns als Christen zutiefst beschämend, dass Judenpogrome und Holocaust in unserem Land auf das Schreckliste gewütet haben.
Wir sind eben feierlich in unseren Dom eingezogen mit Palm- oder Buchszweigen in unseren Händen und haben uns dabei an den Einzug Jesu in Jerusalem erinnert und zugleich den Einzug in unsere Stadt, in unseren Dom, in unser Leben erbeten. Dann haben wir die Passion Jesu nach dem Evangelisten Markus gehört, die uns eindrucksvoll das Leiden Jesu schildert. Beides gehört offensichtlich zusammen und wird auch oft genug in unserem eigenen Leben als Realität erfahrbar.
Jesus zieht nicht mit Glanz und Gloria in Jerusalem ein. Er reitet auf einem jungen Esel. Zwar breiteten damals viele ihre Kleider auf der Straße aus, damit er darüber hinweg in die Stadt einziehe und andere bestreuten mit abgerissenen Zweigen den Weg, aber es war der Einzug armer Leute. Jesus erhält keinen Staatsempfang, keinen Glamoureinzug eines Stars. Er kommt ja auch nicht als prachtvoll gekleideter König daher. Er, der Weltenherrscher, kommt in Gestalt des Gottesknechtes daher, wie ihn Jesaja schildert und wie wir in der ersten Lesung heute morgen vernommen haben.
Der Prophet Jesaja schildert in vier Gedichten, den sogenannten Gottesknechtsliedern den vollkommenen Jünger Jahwes, „der sein Volk sammelt und Licht der Völker ist, der den wahren Glauben predigt, der durch seinen Tod die Sünden des Volkes sühnt und der von Gott verherrlicht wird.“ (Einleitung zu den Prophetenbüchern. In: Neue Jerusalemer Bibel. Herder: 1985. 1015)
Wenngleich heftig darüber diskutiert wird, wer letztendlich mit diesem Gottesknecht bei Jesaja gemeint ist, der Knecht, der eindeutig Mittler des neuen Heiles ist, trägt messianische Züge. Jesus selbst hat die Texte über das Leiden des Knechtes und dessen stellvertretende Sühne aufgegriffen und auf sich und seine Sendung angewendet. Man braucht nur auf die Einsetzungsworte beim Letzten Abendmahl zu schauen, wenn er sagt: „Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird“ (Lk 22,19) oder bei Markus nachzulesen: „Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele.“ (Mk 10,45)
Es ist erschütternd, gerade im Zusammenhang mit dem Hosanna des heutigen Tages, noch einmal den ersten Lesungstext vom Propheten Jesaja zu hören: „Gott, der Herr, gab mir die Zunge eines Jüngers, damit ich verstehe, die Müden zu stärken durch ein aufmunterndes Wort. … Ich hielt meinen Rücken denen hin, die mich schlugen und denen, die mir den Bart ausrissen, meine Wangen. Mein Gesicht verbarg ich nicht vor Schmähungen und Speichel.“ (Jes 50, 4 und 6)
Der Herr begibt sich freiwillig in dieses Sühneleiden. Er wehrt sich nicht – obwohl er die Macht dazu hätte. Er durchleidet die Schmach und den schrecklichen Kreuzigungstod, weil er auf Gottes Hilfe vertraut. Er stirbt aus Liebe – für dich und mich. Amen.