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Im Gespräch

„Die Umweltkrise ist eine spirituelle Krise“

Moraltheologe Rosenberger: Der Gott der Bibel liebt alle Geschöpfe – Neues Buch betrachtet kritisch die These vom Menschen als „Krone der Schöpfung“

Würzburg/Linz (POW) „Krone der Schöpfung? Ursprünge des christlichen Anthropozentrismus und Möglichkeiten seiner Überwindung“ hat der Moraltheologe Professor Dr. Michael Rosenberger, Priester des Bistums Würzburg und Inhaber des Lehrstuhls für Moraltheologie an der Katholischen Privatuniversität Linz sowie seit 2004 ehrenamtlicher Umweltsprecher des Bistums Linz, sein neues Buch genannt. Darin befasst er sich mit der These, dass der christliche Anthropozentrismus wesentlich zur gegenwärtigen Umweltzerstörung und zur Ausbeutung der Tiere beigetragen habe. Im folgenden Interview erklärt er, wie es zu dieser Annahme kam und warum die Umweltkrise auch eine spirituelle Krise sei.

POW: Herr Professor Dr. Rosenberger, was bedeutet „christlicher Anthropozentrismus“ und was hat dieser mit der Ausbeutung der Natur zu tun?

Professor Dr. Michael Rosenberger: Seit einer Publikation des US-amerikanischen Historikers Lynn White in der renommierten Zeitschrift „Science“ im Jahr 1967 steht die These im Raum, dass das Christentum der Hauptschuldige an der modernen Umweltzerstörung sei. Denn das Christentum habe 2000 Jahre lang den Anthropozentrismus vertreten, also die Überzeugung, dass die ganze Welt allein für den Menschen geschaffen sei, so dass er sie beliebig nutzen könne, solange er nur nicht seinen eigenen Artgenossinnen und Artgenossen schade. Nichtmenschliche Lebewesen hingegen hätten keinen eigenen Wert, weil sie keine Vernunft besäßen. So hat es die Kirche in der Tat seit frühen Zeiten gelehrt, und es steht noch immer im Katechismus der katholischen Kirche. Papst Franziskus versucht allerdings in seiner Enzyklika „Laudato si“ eine Korrektur, indem er allen Geschöpfen einen „Eigenwert“ zuspricht. Doch im Bewusstsein der Glaubenden ist das noch nicht angekommen. Mein Buch stellt nun die Frage, woher die frühe christliche Theologie die Idee des Anthropozentrismus nahm und wie man diese Entscheidung korrigieren kann.

POW: Und woher kommt dieser Blick auf den Menschen und seine vermeintlich überlegene Stellung?

Rosenberger: Die frühe Kirche orientiert sich stark an den Überzeugungen der griechisch-römischen Mehrheitsgesellschaft. Und die griechische Philosophie vertrat seit ungefähr 500 vor Christus einen starken Anthropozentrismus. Der ist in den ersten christlichen Jahrhunderten so fest und tief in den Menschen verwurzelt, dass das Christentum keine Chance hat, ihn zu überwinden. Trotzdem nimmt man in der Bibel eine positivere Sicht der Tiere und Pflanzen wahr, und die will man auch nicht leugnen. Alle sind Gottes geliebte Geschöpfe, und alle loben auf ihre Weise den Schöpfer. Das erkennen die meisten Theologen der ersten Jahrhunderte voll und ganz an, und manche haben wie Basilius oder Augustinus sogar eine große Tierliebe. Sie beobachten Tiere erstaunlich genau und entdecken an ihnen großartige Fähigkeiten. Aber am griechischen Grunddogma, dass Tiere vernunftlos sind und daher keinen eigenen Wert haben, kommen auch Basilius und Augustinus nicht vorbei. Und irgendwann, einige Jahrhunderte später, weiß niemand mehr, dass der Anthropozentrismus eigentlich nicht aus der Bibel stammt, sondern aus der heidnischen Philosophie. Tiere werden abgewertet, man spricht ihnen ab, dass sie in den Himmel kommen, und ebnet so den Weg zu ihrer unbegrenzten Nutzung.

POW: Wie könnte Ihrer Ansicht nach eine christliche Umwelt- und Tierethik aussehen?

Rosenberger: Wir müssten uns viel mehr auf unsere biblischen Wurzeln besinnen. Anders als die Schöpfungsmythen der Griechen erzählt die Bibel von einem Gott, der alle Geschöpfe liebt, der sie alle selber erschafft und wunderbar am Leben hält. Seine Fürsorge gilt ihnen allen. Das Weihnachtsevangelium sagt, dass Gott „Fleisch geworden“ ist (Joh 1). „Fleisch“ meint aber nicht „Mensch“, sondern „Geschöpf“. Gott wird Geschöpf, und er teilt damit in Liebe und Solidarität das Leben all seiner Geschöpfe. Sie alle sind ihm wichtig, ihnen allen bringt er sein Licht. Die Volksfrömmigkeit hat das entgegen der amtlichen kirchlichen Lehre immer festgehalten, denn sie stellt Ochs und Esel an die Krippe. Sie gehören zur Heiligen Familie und sind Geschwister Jesu. Genau so sagt es auch Papst Franziskus, der von einer „universalen Familie“ aller Geschöpfe spricht. Das bedeutet letztlich eine ganz andere Sicht der Welt als im Anthropozentrismus. Der Mensch ist weder der Nabel der Welt noch die „Krone der Schöpfung“, wie man seit dem 18. Jahrhundert gesagt hat. Er ist ein wundervoller, aber kleiner Teil eines großen Ganzen, das er nicht einmal ansatzweise durchschaut und versteht, vor dem er vielmehr staunend verstummen sollte. Denn auch darin hatte Lynn White bereits 1967 recht: Die Umweltkrise ist eine spirituelle Krise, und sie kann ohne eine Erneuerung der Spiritualität nicht geheilt werden.

Michael Rosenberger: „Die Krone der Schöpfung? Ursprünge des christlichen Anthropozentrismus und Möglichkeiten seiner Überwindung“. 420 Seiten. 99 Euro. Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2023, ISBN 978-3-7560-1148-3. Kostenfreier Zugang in der Nomos eLibrary unter https://www.nomos-elibrary.de/10.5771/9783748917090/krone-der-schoepfung?page=1.

Interview: Kerstin Schmeiser-Weiß (POW)

(3223/0894; E-Mai voraus)

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