Liebe Schwestern und Brüder,
In diesen Tagen waren in unseren Medien große Schlagzeilen zu vernehmen: Physiker jubeln: Higgs-Teilchen nachgewiesen – fast. Dann darunter im Text: Das jahrzehntelang gesuchte Higgs-Teilchen ist wahrscheinlich gefunden. (Volksblatt)
Worum geht es dabei? Vor zirka 50 Jahren hatte der heute noch lebende britische Physiker Peter Higgs auf eines der letzten noch fehlenden Teilchen verwiesen, das wesentlich zur Erklärung des Kosmos gesucht wird. Dieses Teilchen gilt als ein letzter unbekannter Baustein der Materie und es soll erklären, warum Materie überhaupt eine Masse hat.
So weit – so gut. Was soll das am heutigen Hochfest unserer Frankenapostel?
Nicht einmal die Klügsten – so schreibt die FAZ (am 5. Juli) – haben davon eine Ahnung. Und doch spricht alle Welt über das Ergebnis eines teuren Experimentes, das im weltweit größten Teilchenbeschleuniger LHC (Large Hadron Collider) seit über zwei Jahren experimentell erforscht wird. Nun gab das europäische Forschungszentrum CERN in Genf bekannt, dass es sich um das gesuchte Higgs-Teilchen handeln könne.
Irrtümlich wurde dieses Teilchen, das man möglicherweise nachgewiesen, aber nicht gesehen hat, als Gottesteilchen bezeichnet. Alle Welt horcht auf und mutmaßt schon, dass sich hier Gott durch den Schöpfungsplan entschlüsseln oder gar ersetzen ließe.
Dabei hat diese drei Milliarden teure Spurensuche zur Erklärung des physikalischen Weltbildes nichts mit der Gottesfrage zu tun. Aber die Tatsache, dass sich die unglücklich verbreitete Bezeichnung Gottesteilchen aus der unglücklichen Verstümmelung eines Buchtitels "Das gottverdammte Teilchen" ergeben hat, zeigt, wie anfällig unsere Gesellschaft ist, die Erkenntnisse moderner Forschung als Suche nach dem Beweis der Nicht-Existenz Gottes zu missdeuten.
Unsere drei bekannten Frankenapostel, deren Gebeine hier in Neumünster ruhen, und deren Gefährten, die in ihrer vorhandenen ältesten Lebensgeschichte, der passio minor, erwähnt werden, haben im siebten Jahrhundert aus unmittelbarer Betroffenheit und gläubiger Annahme der Heiligen Schrift das eigene Land, Familie Freunde, Karriere und sichere Zukunft aufgegeben und sind wahrhaft ein Wagnis eingegangen, das sie letztendlich mit ihrem Leben bezahlt haben.
Gottes Existenz ist weder über physikalische Experimente zu beweisen noch zu leugnen.
Die Wege zu Gott führen über den Verstand und das Herz.
Unser Heiliger Vater wird nicht müde aufzuzeigen, dass Glaube und Wissen keine Gegensätze bilden. Auch moderne Wissenschaft ist kein gottloses Unterfangen, sondern – im richtigen Verständnis betrieben – eine diesseitige Mitarbeit am Schöpfungsplan.
Aber das alleine genügt nicht.
Die Welt hungert nach Gott. Wir haben trotz aller wissenschaftlichen, technischen und wirtschaftlichen Erfolge so viel Leid und Elend in der Welt, dass wir nicht einmal unsere ausländischen Konzelebranten und Mitfeiernden bemühen müssen, um die Dringlichkeit unseres Glaubenszeugnisses zur Linderung der Not einfordern zu müssen.
Der Erfolg in der Suche nach dem Higgs-Teilchen liegt nicht im Sichtbarmachen dieses winzigsten Teilchens, sondern in der Entschlüsselung der experimentell gefundenen Daten.
Der Erfolg im gelebten Glauben aber liegt in der Sichtbarwerdung der handgreiflichen Nächstenliebe. Glaube zielt auf die Zeugnistat. „An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen“ (Mt 7,16) überliefert der Evangelist Matthäus ein Wort Jesu im Blick auf die falschen Propheten.
Unsere Frankenapostel haben ihren Glauben durch die alles in ihrem Leben verändernde Tat sichtbar gemacht. Sie haben mit Gott Mauern übersprungen, das heißt Barrieren der Angst, des Nichtverstehens, des Egoismus und des Wohlergehens zugunsten der Verbreitung des Evangeliums. Sie haben sich konkret auf den Weg gemacht und die Nächstenliebe gelebt.
Die Generationen vor uns haben auch ohne modernste Forschung gelebt – aber ohne Liebe? Großer wissenschaftlich-technischer Erfolg ist zu begrüßen – aber davon allein können wir nicht leben. Wir brauchen die bezeugte und gelebte Liebe. Wo finden wir den Motor, die eigenen Lebensmauern zu überwinden, wenn nicht in der uns offenbarten und von Mitmenschen in ihrem Leben bezeugten Liebe Gottes?
Vor uns haben Millionen von Menschen dieses Glaubensabenteuer gewagt. Wer hindert uns, es ihnen gleich zu tun?
Amen.