Warschau/Würzburg (POW) Erzbischof Kazimierz Nycz (57) hat kein leichtes Amt übernommen: Seit 1. April 2007 steht der frühere Bischof von Koszalin-Kolobrzeg (Köslin-Kolberg) an der Spitze von Polens Hauptstadt-Erzdiözese Warschau. Er folgte Erzbischof Stanislaw Wielgus nach, der nach Bekanntwerden von Geheimdienst-Kontakten während der kommunistischen Ära bei seiner Amtseinführung am Dreikönigstag 2007 zurückgetreten war. In folgendem Interview, das am Rande der Feierlichkeiten zum 70. Priesterjubiläum von Bischof Ignacy Jeż in Koszalin geführt wurde, spricht Erzbischof Nycz über die Aufarbeitung der kommunistischen Zeit.
POW: Herr Erzbischof, Sie haben nach dem spektakulären Rücktritt von Bischof Wielgus eine schwierige Aufgabe übernommen. Was ist Ihnen in diesen ersten Monaten als Erzbischof von Warschau besonders wichtig?
Erzbischof Kazimierz Nycz: Ich respektiere die schwierige Situation zu Jahresbeginn, als Erzbischof Wielgus wegen der Geheimdienst-Vorwürfe zurücktrat. Derzeit beschäftigen mich besonders drei Themen: das Leben der Kirche im Erzbistum Warschau, die politische Lage in der Hauptstadt sowie der Kontakt zwischen Politik und Kirche und vor allem der Umgang der Kirche mit den Medien. Bei allem ist mir dabei ganz wichtig: Ich möchte nach vorne schauen.
POW: Wie hat der Rücktritt von Erzbischof Wielgus die katholische Kirche in Polen verändert?
Erzbischof Nycz: Das ist nicht so einfach zu erklären. Die Kirche hat sehr deutlich gezeigt, dass ihre Bischöfe bereit sind, sich auf ihr Verhalten in der kommunistischen Ära durchleuchten zu lassen. Bischöfe und Kirche können so ein Beispiel für andere gesellschaftliche Gruppen wie Wissenschaftler, Politiker oder Journalisten sein, wie die Vergangenheit aufgearbeitet werden kann. In den vergangenen Monaten waren wir in einer sehr schwierigen Lage: Wenn vermutet wurde, ein Priester oder Bischof sei unschuldig, wurde das in der Öffentlichkeit nicht respektiert. Jeder musste beweisen, dass er unschuldig ist.
POW: Was ist Ihrer Meinung nach in der Kirche bei der Aufarbeitung der kommunistischen Zeit wichtig?
Erzbischof Nycz: Das Ende der kommunistischen Ära liegt 17 Jahre zurück. Vielleicht haben wir mit der Aufarbeitung zu lange gewartet. Aber die Kirche muss in aller Deutlichkeit sagen: Es waren nur sehr wenige Priester, die mit dem kommunistischen Geheimdienst zusammengearbeitet haben. Einzelne Priester tragen Verantwortung für diese Kollaboration, nicht aber die ganze Kirche. Ich warne auch vor dem Fehler, über das Handeln der Kirche in der kommunistischen Zeit aus heutiger Sicht zu sprechen, ohne die damalige politische Lage zu berücksichtigen. Das Verhalten einzelner Priester muss mit Blick auf die damaligen schwierigen Bedingungen gesehen werden. Aber: Wir müssen die Vergangenheit aufarbeiten und abschließen und dann nach vorne blicken.
POW: Wie sollte die Kirche mit den Priestern und Bischöfen umgehen, die kollaboriert haben?
Erzbischof Nycz: Wir müssen genau unterscheiden, wenn wir die Priester beurteilen wollen. Die wenigen, die mit dem kommunistischen Geheimdienst zusammengearbeitet haben, müssen ihr Amt verlassen. Andere Priester, die aus besonderen Gründen mit dem Geheimdienst kollaboriert haben – beispielsweise weil sie Baumaterial für ihre Kirche benötigten oder Medikamente für einen Schwerkranken –, müssen wir vorsichtig behandeln. Sie dürfen nicht sofort verurteilt werden. Vielmehr müssen wir im Gespräch klären, wie sie zu einer Zusammenarbeit gedrängt wurden. Wieder andere Priester wollte die Geheimpolizei bewusst gewinnen. Die Geheimpolizisten schrieben über sie, obwohl diese Priester gar nicht wussten, dass sie Kollaborateure sind – und es auch nicht waren. Die genauen Umstände müssen mit jedem einzelnen Priester geklärt werden.
POW: Sie selbst haben den Kommunisten widerstanden. Haben sie Verständnis für Priester, die kollaboriert haben?
Erzbischof Nycz: Für manche Priester habe ich schon Verständnis. Den Priestern, die wie der heilige Apostel Petrus Jesus und die Kirche verraten haben und jetzt um Verzeihung bitten, kann ich auch verzeihen. Solche Fälle gab es in unserer Kirche.
POW: Wie muss die polnische Gesellschaft insgesamt mit der Aufarbeitung dieser Vergangenheit umgehen?
Erzbischof Nycz: Ich habe am Fronleichnamsfest ganz klar und deutlich gesagt: Wenn die Wunden geheilt sind, dürfen wir sie nicht mehr öffnen. Es gibt aber auch schmutzige Wunden, die nicht so schnell heilen. Die ganze Gesellschaft ist gefordert, diese Wunden aus der kommunistischen Zeit zu säubern und zu heilen. Als die Kirche vor zwei Jahren Kommissionen eingesetzt hatte, um die Vergangenheit aufzuarbeiten, haben Medienvertreter gesagt, diese Aufarbeitung komme zu spät und sei nicht intensiv genug. Jetzt, wo man mit einem neuen Gesetz auch andere Gruppen wie Wissenschaftler, Politiker oder Journalisten auf ihre Kontakte zum kommunistischen Geheimdienst durchleuchten will, höre ich oft, das sei nicht nötig. Für unsere Gesellschaft ist aber eine saubere Aufarbeitung notwendig.
POW: Was ist für die Kirche in Polen in nächster Zeit wichtig?
Erzbischof Nycz: Zuerst müssen wir vor allem den Glauben vertiefen. Dann gilt es, den Kontakt zu den Eliten zu verstärken. Priester und Laien müssen enger zusammenarbeiten. Ohne diese Zusammenarbeit können wir nicht in die Zukunft gehen.
Interview: Bernhard Schweßinger (POW)
(2507/0893; E-Mail voraus)
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