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Im Gespräch

„Digitalisierung ersetzt nicht die persönliche Begegnung“

Weihbischof Ulrich Boom, Leiter der Hauptabteilung Seelsorge im Bistum Würzburg, zum Thema „Seelsorge in Zeiten von Priestermangel“ – „Priester müssen sich den Herausforderungen der heutigen Zeit stellen“

Würzburg (POW) Die Prognosen im Bistum Würzburg gehen in der Zukunft von 30 Prozent weniger Seelsorgepersonal aus. Das betrifft auch die Priester. Bereits heute sind Priester für mehr als eine Pfarrgemeinde zuständig. Im POW-Interview spricht Weihbischof Ulrich Boom, Leiter der Hauptabteilung Seelsorge des Bistums Würzburg, unter anderem über die Vielzahl der Gottesdienste im Bistum und über die Verteilung des Seelsorgepersonals in Stadt und Land.

POW: Wie verändert sich die Seelsorge durch den aktuellen Priestermangel?

Weihbischof Ulrich Boom: Ich habe meine Schwierigkeiten mit dem Begriff des Priestermangels. Die Anzahl der Priester, die wir haben, spiegelt eine Realität wider. Wenn wir früher mehr Priester hatten, dann hatten wir auch mehr Gläubige und die Zahl der Katholiken war größer. Wir bemerken insgesamt eine Überalterung der Priester. Viele von denen, die jetzt sterben, sind vor Beginn oder Ende des Krieges geboren. Viele Männer, die den Krieg durchlebt haben, sind Priester geworden, weil sie das Dritte Reich oft hautnah erlebt haben und sich sagten: „Wenn ich hier heil herauskomme, dann wähle ich einen Beruf, in dem ich mein Leben Gott weihe.“ Das hat sich wohl in den folgenden Jahren einfach fortgesetzt. Allerdings erleben wir jetzt einen Umbruch der Priesterzahlen. Wobei wir sehen müssen, dass die Anzahl der Kinder pro Familie auch geringer geworden ist. Außerdem ist die kirchliche Sozialisation zurückgegangen. Wenn wir weniger Priester haben, bedeutet das auch, dass die Pastoral sich verändert. Heute gibt es zum Priester noch weitere Berufungen, wie zum Beispiel zum Diakon, zu Gemeinde- und Pastoralreferentinnen und -referenten. Aber auch da stellen wir fest, dass die Zahl rückläufig ist. All das haben wir als deutsche Bischöfe in dem Dokument „Gemeinsam Kirche sein“ beschrieben. Darin heißt es, dass wir alle als Getaufte und Gefirmte zur Verbreitung der Freude des Evangeliums gesandt sind. Es gibt Verschiedenheiten: gesandt – beauftragt – geweiht. Alle Getauften sind gesandt, wie sie das auch immer machen. Dann gibt es viele Beauftragte, die das in einer besonderen Weise tun, so zum Beispiel die oben erwähnten Berufsgruppen. Die Weihe ist dann bei einem Priester nicht ein Mehr an Berufung als bei anderen pastoralen Berufsgruppen, aber Christus wird in besonderer Weise in dieser Welt sichtbar. Was für alle Christen gilt, steht für den Priester unter einem höheren Anspruch. Demut und Bescheidenheit sind angesagt.

POW: Was bedeutet es, wenn bei einer gleichbleibenden Fläche des Bistums weniger Priester zur Verfügung stehen?

Weihbischof Boom: Fläche spielt keine Rolle. Der Priester ist nicht nur Priester für die Getauften, sondern er ist für alle Menschen da. Insofern wird eine Diözese oder Gemeinde nie kleiner oder größer. Ein Problem ist zum Beispiel die Spendung der Sakramente. Wenn manche Priester so viele Trauungen in zwei oder drei Jahren hätten, wie ich früher als Kaplan in einem Jahr, würden sie sich freuen. In der Folge – nicht dass ich das gutheiße – finden auch nicht so viele Taufen statt. Auch das sind Veränderungen, die in der Gesellschaft stattfinden. Für einen Priester unserer Tage bedeutet all das, sich den veränderten Herausforderungen unserer Zeit zu stellen: Den Menschen in seiner Lebenswelt verstehen. Verstehen heißt ja nicht alles gutheißen. Zum Beispiel sagen wir ganz schnell: „Die Leute kommen nicht zur Kirche.“ Wenn ich in meinen Verwandtschafts- oder Freundeskreis schaue, sehe ich, was Familien alles regeln müssen. Vielleicht muss eine Familie die Wochenendbeziehung organisieren. Sie muss schauen, wie die Kinder versorgt werden, wenn beide arbeiten. Eine Familie muss sehen, dass sie das Geld zusammen bekommt. Manches ist oft auf Kante genäht. Dann sind Familien froh, wenn sie eine Durchschnittszeit am Sonntag von zwei, drei Stunden haben, wo Eltern und Kinder sich als Familie treffen können. Und wir kommen mit unseren Ansprüchen. Geht das? „Wer versichern will, muss verstehen“, sagt eine große Versicherung. Die Kirche ist eine große Versicherungsgemeinschaft, dass das Leben mehr ist, als all das, was wir zu können und zu leisten vermögen.

POW: Ist der Bedarf an Gottesdiensten zu groß für die Zahl der Priester, die wir haben?

Weihbischof Boom: Gottesdienste sollten immer gehalten werden. Man muss zwischen den vielen Formen der Gottesdienste und der Feier der heiligen Messe unterscheiden. Ein Gottesdienst in einer Gemeinde kann auch von Gottesdienstleiterinnen und -leitern übernommen werden. Dazu kann der Bischof beauftragen. Auch nochmal eine besondere Weise des Gesandtseins. Bisweilen glaube ich, dass wir in den Gemeinden eine Inflation der Messen haben. Ob alle Feiern wirklich würdig und schön sind? Wir erleben leere oder halbleere Kirchen, weil die Gläubigen aus verschiedenen Gründen nicht kommen können. Ob das alles gut ist, wenn wir uns als der letzte Rest versammeln, weiß ich nicht. Ich würde das für mich wenigstens in Frage stellen. Gott dafür danken, dass er in unserem Leben ist, steht immer an und kann in vielfältigen Formen getan werden. Wir müssen aber auch um Berufungen beten. Nicht in der Intention, dass alles so wird wie früher, sondern um uns der Führung Gottes anzuvertrauen und um vielleicht zu erahnen, was Gott uns in dieser Zeit sagen will.

POW: Viele Kirchengemeinden haben in der Corona-Pandemie Onlineangebote entwickelt. Ist die Digitalisierung die Lösung?

Weihbischof Boom: Die Online-Gottesdienste sind keine letzte Antwort und Lösung. Social Media und die anderen digitalen Angebote sind ein wichtiges Medium, um mit Menschen in Kontakt zu kommen. Ich glaube, dass zur Feier des Gottesdienstes die persönliche Begegnung gehört. Das haben die Leute auch zurückgemeldet. Ich halte die Angebote sinnvoll für Menschen, die gar nicht kommen können. Aber es ist zum Beispiel ein ganz anderes Erleben, wenn ich zuhause sitze und alleine singe oder wir singen in Gemeinschaft in der Feier der heiligen Messe oder in anderen Gottesdiensten. Gemeinschaft gehört zur Feier des Gottesdienstes dazu. Gelernt haben wir, dass die Medien eine ganz große Hilfe sind, um in Beziehung zu treten und auch Beziehungen zu pflegen. Aber das ersetzt nicht die persönliche Begegnung. Nicht nur mit den Priestern, sondern unter allen Gläubigen.

POW: Fällt es leichter, in der Stadt die Gläubigen zu binden, wo häufiger Gottesdienste stattfinden?

Weihbischof Boom: Ich glaube, das ist eher umgekehrt. In der Stadt, wo viel pastorales Personal ist, nicht nur Priester, entlässt man den einzelnen Gläubigen, dass er gar nichts tun muss. Ich denke, auf dem Land ist der Zusammenhalt als Gemeinde größer. Wir haben viele kleine Gemeinden, die sich mit viel Engagement um ihre Kirchen oder Kapellen kümmern. In einer Stadtgemeinde gibt es viele verschiedene Gruppen. Man sucht sich seine Gottesdienstgemeinde aus. Da gibt es große Unterschiede zwischen Stadt und Land. Ich sehe manchmal eine große Ungerechtigkeit zwischen beiden. Zum Beispiel wird in der Stadt viel mehr angeboten oder die Gemeinden liegen viel enger zusammen. Auf dem Land sind sie weiter auseinander. Ich weiß vom Domkapitel, dass es in die Umgebung fährt, um die sonntägliche heilige Messe zu feiern. Von Würzburg profitieren zum Beispiel der Ochsenfurter Gau und die Dekanate Kitzingen sowie Würzburg-rechts und -links des Mains. Da ist für mich, mit Blick auf das Personal, wenigstens eine gefühlte Ungerechtigkeit da. Aber wir haben auch das Problem, dass sich Priester und anderes pastorales Personal nicht so schnell auf Stellen auf dem Land bewerben. Es ist einfacher, Stellen in den Städten zu besetzen. Die Pastoral auf dem Land funktioniert ganz anders. Dort gibt es weniger Arbeitskreise und Gesprächsgruppen, als in der Stadt. Auf dem Land müssen die Priester oder das pastorale Personal die sein, die von Gemeinde zu Gemeinde ziehen. Wir sind da eher Wandermissionare. Wir Bischöfe sollten das noch mehr vorleben.

POW: Fühlen die Menschen sich manchmal vom Bistum im Stich gelassen und nicht ausreichend seelsorgerisch betreut?

Weihbischof Boom: Dieses Gefühl ist ganz bestimmt in den Gemeinden und bei den Gläubigen da. Früher ist es so gewesen, dass in den Gemeinden ein Priester oder eine pastorale Mitarbeiterin, ein pastoraler Mitarbeiter war. Die Menschen kennen das so. Heute trifft das allerdings nicht mehr zu. Das betrifft übrigens alle pastoralen Berufe. Wo früher Personal hingeschickt wurde, kommt heute keiner mehr hin. Und dann kommt plötzlich das Gefühl: „Ich zahle meine Kirchensteuer und ich muss denen hinterherlaufen, die sind gar nicht mehr vor Ort.“ Ich verstehe die Verärgerung, die dadurch entsteht. Ich möchte aber auch eine Lanze brechen für die vielen Priester und pastoralen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die treu und bisweilen über das Maß ihrer Kräfte ihren Dienst tun.

Interview: Anna-Lena Ils (POW)

(4820/1198; E-Mail voraus)

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