Schweinfurt (POW) Es gibt Menschen, die alleine sterben: ohne Angehörige, ohne Freunde, ohne jemanden, der sich um das Begräbnis kümmert. In Schweinfurt gibt es deshalb eine Trauerfeier für Menschen, die keine Angehörigen haben. Joachim Werb ist Diakon in der Gemeinde Sankt Anton in der Pfarrei Heilig Geist in Schweinfurt. Er hat die Trauerfeiern initiiert. In Zusammenarbeit mit dem evangelischen Dekanat und dem Friedhofsamt möchte er Verstorbenen, die keine bekannten Angehörigen haben oder deren Identität unbekannt ist, einen würdevollen Abschied ermöglichen. In Unterfranken sind die Trauerfeiern bisher einzigartig.
POW: Was ist die Idee hinter der Trauerfeier für Menschen ohne Angehörige?
Joachim Werb: Die Trauerfeier für Menschen ohne Angehörige ist eine würdevolle Form, Abschied zu nehmen. Gerade für Menschen, die man vielleicht nur flüchtig gekannt hat. Menschen, die keine Angehörigen haben, die aber trotzdem einen gut gestalteten Abschied in Schweinfurt haben sollen. Die Idee ist aus der zunehmenden Situation entstanden, dass immer mehr Menschen diese Erde ohne Abschied, ohne Angehörige und ohne Trauerfeier verlassen.
POW: Wann wurden die Trauerfeiern ins Leben gerufen?
Werb: Die erste Trauerfeier für Menschen ohne Angehörige hat im April 2024 stattgefunden. Die Impulse kamen eigentlich aus der City Kirche in Halle. Dort wurde in Zusammenarbeit mit den Bestattern und dem dortigen Friedhofsamt eine monatliche Form gefunden, Menschen ohne Angehörige sehr stilvoll beizusetzen. Diese Idee hat mich fasziniert, weil wir als Seelsorger viel am Friedhof sind und die familiären Abschiedsfeiern kennen und gestalten. Aber was ist mit den Menschen, die so etwas nicht haben? Gehören die nicht zu unserem Zuständigkeitsbereich oder gehören sie doch dazu?
POW: Für wen werden die Gedenkfeiern ausgerichtet?
Werb: Jährlich sterben zirka 30 bis 40 Personen, deren Begräbnis nicht von Angehörigen finanziert wird. Denen möchten wir ein würdevolles Gedenken mit der entsprechenden Feier ermöglichen. Aus der Bevölkerung nehmen im Schnitt zwischen 70 und 100 Personen an den Trauerfeiern teil. Das ist eine überraschend hohe Zahl. Und ich merke auch bei den Gesprächen, die im Anschluss stattfinden, dass es vielen ein Anliegen ist. Sie empfinden es als eine Art Weckruf: „Den hätten wir fast vergessen“ oder „Der war auch mal in unserem Leben und ist ein Stück mitgegangen.“ Wir versuchen, die Feier möglichst nicht in den klassischen Riten zu vollziehen, sondern so, dass auch ein atheistisch orientierter Mensch oder jemand, der nicht an Gott geglaubt hat, nicht vereinnahmt wird. Wir wollen Respekt, Würde und der Trauer einen Namen geben.
POW: Wie läuft eine Trauerfeier für Menschen ohne Angehörige ab?
Werb: Ein ganz wichtiges Element ist Musik. Es werden meist weltliche Lieder wie „Sound of Silence“ oder „Angels“ gesungen und dabei auf der Gitarre und Keyboard begleitet. In diesem Jahr wird der Song „Still“ von Jupiter Jones gesungen. Es gibt einen Impuls oder eine thematische Auslegung. Allerdings keine theologische Deutung, sondern wir versuchen, die Lebensgeschichte der Menschen in den Blick zu nehmen.
POW: Was berührt Sie an den Trauerfeiern am meisten?
Werb: Der wohl stärkste Moment ist das Verlesen der Namen, die auf den Urnen stehen. Die werden in guter Zusammenarbeit mit den Bestattern sehr feierlich und optisch ansprechend präsentiert. Ich bin immer wieder überrascht, was für ein Blumenmeer hinterher da liegt. Die Leute sind eingeladen, Blumen oder ein Erinnerungsstück abzulegen. Wir hatten beispielsweise vergangenes Jahr jemanden dabei, der im Schachclub war. Der Schachclub hat extra ein Abschiedsbuch für den Menschen gestaltet und es vorne hingelegt. Das war ein sehr ergreifender Moment.
POW: Was macht die Trauerfeiern in Schweinfurt so besonders?
Werb: Das Besondere ist für mich immer, dass wir als Seelsorger ein Terrain betreten, das uns eigentlich fremd ist. Wir müssen aufpassen, dass wir bei solchen Veranstaltungen in Sprache, in Riten und im Auftreten einen Raum eröffnen, wo die Menschen gut mit ihrer Trauer und ihren Fragen umgehen können. Es ist wichtig, dass wir Respekt haben, auch vor Menschen, die große Distanz zur Kirche haben. Die Rückmeldungen sind oft hinterher: „Das haben wir gar nicht gedacht, dass Kirche so was auch macht“ oder „Warum macht ihr das?“ Meine Antwort lautet: Weil uns diese Menschen auch wertvoll sind. Mir ist es deshalb wichtig, dass wir hier in der Stadt ein Zeichen setzen, dass die Sterbekultur, die wir hier anbieten, für alle Menschen offen ist.
Die nächste Trauerfeier für Menschen ohne Angehörige findet am Dienstag, 21.Oktober, um 10 Uhr in der Trauerhalle des Schweinfurter Friedhofs statt. Zum Abschluss zieht die Trauergemeinde zu einer neu hergerichteten Grabstätte, wo die Urnen beigesetzt werden.
Das Interview führte Judith Reinders (POW)
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